Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 63 / VI / 2012

ZUR WIEDERVERWENDUNG VON STEINDENKMÄLERN IN CARNUNTUM

Baustein ist ein kostbares Material. Seine Gewinnung ist aufwändig, sein Transport teuer. Für die Errichtung fester Häuser brauchte man zu allen Zeiten geeignetes festes Baumaterial, und nicht nur in den schweren Zeiten der Spätantike und des Mittelalters versuchte man, den Aufwand seiner Beschaffung möglichst gering zu halten.
Bei der Arbeit am Corpus Signorum Imperii Romani für Carnuntum [1] ergab sich der Wunsch, die sehr zahlreichen und vielfältigen Spuren der Wiederverwendung an den Steindenkmälern Carnuntums in ihrer Aussage zu erfassen und zu verstehen, und sie wenn möglich einem Zeithorizont zuzuweisen.
Der zweite Auslöser für diese Fragestellung sind mehrere neue und teils spektakuläre Carnuntiner Befunde der letzten Jahre, die den Bestand an wiederverwendeten Denkmälern wesentlich bereichern, deren wissenschaftliche Auswertung aber erst begonnen hat.

Die unterschiedlichen Formen der Wiederverwendung von Steinmaterial lassen sich für Carnuntum mit den folgenden Schlagwörtern charakterisieren:
1. „Sinnvolle Entsorgung“
Zertrümmerte und wiederverwendete Werksteine in Fundamenten, Entsorgungsgruben oder Steinpackungen wurden beispielsweise häufig im Heiligtum für Iuppiter Heliopolitanus auf der Flur Mühläcker beobachtet [2].
2. „Quaderbeschaffung“
Große, sekundär zugerichtete Blöcke trifft man in spätantiken Bauwerken, z.B. im sog. Heidentor von Carnuntum, an statisch stark beanspruchten Stellen an [3].
3. „Großflächiges recycling“
Aus Altbefunden im Legionslager [4] oder dem rezenten Befund einer spätantiken Kanalabdeckung [5] können wir auf die systematische Abräumung bereits verlassener (Grab)areale und die Wiederverwendung des gewonnenen Steinmaterials an nahe gelegenen Bauwerken schließen.
4. „Selektive (pietätvolle) Wiederverwendung“
Nur wenige Beispiele dieser Art von Zweitverwendung sind aus Carnuntum bekannt, so etwa der sog. Kaiserkonferenzaltar, für den ein prominentes älteres Denkmal mit der Bau- und Weihinschrift der Tetrarchen versehen wurde [6].
5. „Spolien“
Die überlegte und sichtbar gemachte Wiederverwendung von ornamentierten Werksteinen kann in Carnuntum an zahlreichen mittelalterlichen und neuzeitlichen Bauten bis in die Gegenwart hinein beobachtet werden.

[1] G. Kremer, Götterdarstellungen, Kult- und Weihedenkmäler aus Carnuntum, mit Beiträgen von Ch. Gugl, Ch. Uhlir und M. Unterwurzacher, CSIR Carnuntum Suppl. 1 (Wien, im Druck).
[2] V. Gassner – E. Steigberger – B. Tober, Das Heiligtum des Iuppiter Heliopolitanus in Carnuntum. Überlegungen zu den älteren Kultbauten an der Ostseite, ihrer Ausstattung und den Mechanismen ihrer Aufgabe, CarnuntumJb 2009–2011 (2011) 129–171.
[3] W. Jobst, Das Heidentor von Carnuntum. Ein spätantikes Triumphalmonument am Donaulimes (Wien 2001).
[4] E. Nowotny, Die Grabungen im Standlager zu Carnuntum 1908–1911, RLÖ 12 (Wien 1914) Sp. 83 f. Abb. 14.
[5] F. Humer – A. Konecny, FÖ 48, 426; A. Konecny, Untersuchungen im Bereich des projektierten Parkplatzes am westlichen Ortsrand von Petronell-Carnuntum: die Kampagne 2009, AÖ 21/1, 2010, 31–32.
[6] F. Humer – G. Kremer (Hrsg.), Götterbilder – Menschenbilder. Religion und Kulte in Carnuntum, Katalog der Ausstellung im Archäologischen Museum Carnuntinum im Rahmen der Niederösterreichischen Landesausstellung 2011, Katalog des NÖ Landesmuseums NF 498 (St. Pölten 2011) 167.

© Gabrielle Kremer
e-mail: gabrielle.kremer@oeaw.ac.at

This article should be cited like this: G. Kremer, Zur Wiederverwendung von Steindenkmälern in Carnuntum, Forum Archaeologiae 63/VI/2012 (http://farch.net).



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