Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 63 / VI / 2012

MENSCHENKNOCHEN UND MENSCHENNIEDERLEGUNGEN IN SIEDLUNGSGRUBEN DER BEFESTIGTEN HÖHENSIEDLUNG VON STILLFRIED A.D. MARCH, NIEDERÖSTERREICH
Gängige Praxis der Totenbehandlung in der späten Urnenfelderzeit (1000-750 v.Chr.)?

An der Prähistorischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien läuft ein Projekt zu den Tier- und Menschenniederlegungen der urnenfelderzeitlichen Höhensiedlung von Stillfried an der March (2011-2013). Diese sollen unter Einbeziehung naturwissenschaftlicher Untersuchungen neu ausgewertet werden.
Der Fundort steht für einen früh entdeckten und durch außergewöhnliche Funde quer durch die Zeiten berühmt gewordenen Höhenrücken, ca. 40km nordöstlich von Wien an der Grenze zur Slowakei gelegen. In der späten Urnenfelderzeit und am Übergang zur Hallstattzeit befand sich hier eine befestigte zentrale Ansiedlung der Podoler Kultur (= jüngerer Abschnitt der mitteldonauländischen Urnenfelderkultur, Hallstatt B nach Reinecke, etwa 1000-750 v.Chr.).
Die an wichtigen Handelsstraßen, wie der späteren Bernsteinstraße, gelegene 23 Hektar große Anlage war an der ungeschützten Westseite mit einem besonders mächtigen Wall ausgebaut. Dort und am angrenzenden sog. Hügelfeld wurden in den 1970er und 80er Jahren Forschungsgrabungen von der Universität Wien unter der Leitung von Professor Fritz Felgenhauer durchgeführt.
Von den etwa 200 Objekten aus dem betrachteten Zeitraum beinhalteten rund 25 davon außergewöhnliche Befunde, die zum Teil auf besondere, nicht alltägliche Handlungen rückschließen lassen. Diese fanden sich großteils in 2-3m tiefen Gruben, die sich nicht von den damals üblichen Wirtschaftsgruben unterscheiden lassen. Anstatt des üblichen Siedlungsabfalles zeigten sich menschliche Überreste in Form einzelner Knochen (hauptsächlich Schädel(teile),7 Nachweise) und drei Niederlegungen von Menschen im Sehnenverband. Zu Letzteren gehören zwei Massendepositionen (7 Personen in einem Ereignis niedergelegt; 23 Personen in allen Erhaltungszuständen in mehreren Handlungsschritten deponiert). Zum anderen liegen Niederlegungen von Wild- und Haustieren in allen Kombinationen vor, wobei der Gattung Hirsch die Hauptrolle zukommt. Auch die Vergesellschaftung von Mensch und Tier ist vertreten.
Durch einheitliche Verfüllschichten wurden die Niederlegungen, die sich oft auf künstlich geschaffenen Stein- oder Scherbenunterlagen befanden, danach dem Alltagsgebrauch entzogen.

Gut vergleichbare, jedoch etwas ältere Befunde mit menschlichen Überresten finden sich in großer Zahl in Böhmen (Knovízer Kultur), einzelne Schädelteile sind auch von niederösterreichischen und süddeutschen Siedlungen der späten Urnenfelderzeit bekannt.
Die Häufigkeit dieser außergewöhnlichen Befunde von Stillfried lässt den Schluss zu, dass hier eine Totenbehandlung neben der von der Urnenfelderzeit gut bekannten Brandbestattung gefasst wird. Beim Versuch einer Deutung wird das Gemeinsame, das diese Befunde verbindet, im Vordergrund zu stehen haben. Der regionalen und überregionalen Verbreitung dieser Phänomene kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.

Literatur
F. Felgenhauer, Forschungen in Stillfried (FIST), Band 1-9/10; Bände 1-6 als Veröffentlichungen der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Ur- und Frühgeschichte 1974-1992. I. Hellerschmid, Die urnenfelder-/hallstattzeitliche Wallanlage von Stillfried an der March. Ergebnisse der Ausgrabungen 1969-1989 unter besonderer Berücksichtigung des Kulturwandels an der Epochengrenze Urnenfelder-/Hallstattkultur, Mitteilungen der Prähistorischen Kommission 63 (2006). M. Griebl - I. Hellerschmid, Menschenknochen und Menschenniederlegungen in Siedlungsgruben der befestigten Höhensiedlung von Stillfried an der March, Niederösterreich. Gängige Praxis der Totenbehandlung in der späten Urnenfelderzeit (1000-750 v.Chr.)?, in: N. Müller-Scheeßel (Hsg.), „Irreguläre“ Bestattungen in der Urgeschichte. Norm, Ritual, Strafe …? Internationale Tagung in Frankfurt a. M. (3.-5.2.2012), Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte (in Vorbereitung).

© Monika Griebl, Irmtraud Hellerschmid
e-mail: Monika.Griebl@oeaw.ac.at, Irmtraud.Hellerschmid@oeaw.ac.at

This article should be cited like this: M. Griebl - I. Hellerschmid, Menschenknochen und Menschenniederlegungen in Siedlungsgruben der befestigten Höhensiedlung von Stillfried a.d.March, Niederösterreich. Gängige Praxis der Totenbehandlung in der späten Urnenfelderzeit (1000-750 v.Chr.)?, Forum Archaeologiae 63/VI/2012 (http://farch.net).



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