Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 63 / VI / 2012

RADMUSTER UND DEREN BISHERIGE INTERPRETATION ALS RÖMISCHES MÜHLESPIEL
Versuch einer Neudeutung

Thema des Referats, das im Rahmen des diesjährigen Archäologentages gehalten wurde, waren radförmige Muster (Abb.), die an verschiedenen Stätten des römischen Reiches anzutreffen sind. Bislang wurden diese kreisförmigen Ritzungen mit zumeist acht Speichen als sogenannte Rundmühle interpretiert. Hierbei soll es sich um eine Variante des römischen Mühlespiels handeln, wie verschiedene Wissenschaftler sowie insbesondere Besucherführungen archäologischer Parks und Repliken in Museumshops vermitteln wollen [1]. Verursacher dieser Spielregelrekonstruktion ist Carl Blümlein [2], der diese Radmuster als erster mit Bemerkungen Ovids gleichsetzte. An zwei Stellen heißt es, dass, nachdem man seine Steine auf ein Brett gesetzt hat, das Spielziel darin bestand, jene in eine Reihe zu bringen [3]. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Kreismuster für eine derartige Spielregel vollkommen ungeeignet sind. Da nur die „Mühle“ durch die Mitte gilt, würde jeder vernünftige Spieler seinen ersten Stein exakt dort platzieren. Sein Gegenspieler könne demnach nur mehr dann gewinnen, wenn Ersterer unvorsichtigerweise seinen Stein aus dem Mittelpunkt herausziehen sollte. Demnach ergäbe sich ein langweiliges und uninteressantes Spiel, was dem eigentlichen Unterhaltungswert von Spielen gänzlich widerspricht!

Nach der Präsentation einiger originaler Ritzungen von der Westküste Kleinasiens wurde der Vergleich mit einem Stich von Jacques Stella (17.Jh.) gezogen, bei dem drei Knaben vor einem am Boden aufgemalten Quadrat stehen, welches Diagonalen in acht Teile separieren [4]. Der die Illustration begleitende Reim gibt Aufschluss über das Spielziel: Beim „franc du carreau“, in der englischen Übersetzung „avoid the square“ genannt, sollten die geworfenen Steine keine der aufgezeichneten Linien berühren. Unter Berücksichtigung griechischer Quellen, die ein kreisförmiges Wurfspiel namens ὢμιλλα bezeugen [5], wurde schließlich die ursprüngliche Theorie Lamers bestätigt [6]. Tatsächlich dürften diese radförmigen Ritzungen Wurfspiele meinen, was durch die zumeist vorherrschende Vergesellschaftung mit Mühle und ludus duodecim scriptorum-Spielen unterstrichen wird [7].

[1] Z.B. A. Rieche, Römische Kinder- und Gesellschaftsspiele, Schriften des Landesmuseums Aalen 34 (Stuttgart 1984) 21; E. Salza Prina Ricotti, Giochi e giocattoli, vita e costumi dei romani antichi 18 (Rom 1995) 98–100 Abb. 74 b. 76; moderne „Rundmühlen“ und Repliken persönlich gesehen in den archäologischen Parks von Xanten (Deutschland) und Carnuntum (Österreich).
[2] C. Blümlein, Bilder aus dem römisch-germanischen Kulturleben. Nach Funden und Denkmälern (München 1918) 101 f. Abb. 320 a–d.
[3] Ov. trist. 2, 481 f.; Ov. ars 3, 365 f.
[4] St. Appelbaum (Übers.), Jacques Stella. Games & Pastimes of Childhood (New York 1969) Nr. 17; C.-M. Girisch, Spielzeug und Spiele in der Spätantike und im frühen Christentum (Dipl. Universität Wien 2007) 40 f. Abb. 26.
[5] Eupol. 288; Hsch. s.v. ὢμιλλα; Pl. Ly. 206 d; Poll. 9, 102; Suid. s.v. ὢμιλλαν; DNP 4 (1998) 1005. s.v. Geschicklichkeitsspiele (R. Hurschmann).
[6] RE XIII (1927) 2005 s.v. lusoria tabula (Lamer).

© Claudia-Maria Behling
e-mail: claudia@behling.at

This article should be cited like this: C.-M. Behling, Radmuster und deren bisherige Interpretation als römisches Mühlespiel. Versuch einer Neudeutung, Forum Archaeologiae 63/VI/2012 (http://farch.net).



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