Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 63 / VI / 2012

DAS "ATRIUMHAUS"
Zu den Ursprüngen eines Bautyps

Die Frage nach den Ursprüngen des über die Beschreibungen Vitruvs [1] definierten „römischen Atriumhauses“ wird in den letzten Jahren verstärkt diskutiert. Grundlegend für das neue Aufleben der Diskussion waren dabei vor allem die Entdeckungen Carandinis [2] in Rom und die aktuellen Forschungen durch Bentz und Reusser im etruskischen Marzabotto [3]. Einzelne architektonische Elemente der vitruvianischen Beschreibungen lassen sich im Befund italischer Häuser ab der Wende vom 6. zum 5.Jh. v.Chr. durchaus erkennen. Zu diskutieren bleibt jedoch, ob dies ausreicht um funktional in den „frühen Atriumhäusern“ Wohnhäuser für die mittelitalischen Eliten zu sehen. Diese Interpretation resultiert im Wesentlichen aus den Beschreibungen Vitruvs und der Identifizierung idealtypischer Atriumhäuser im archäologischen Befund Pompejis. Eine Rückprojektion der Architektur und Funktion römisch republikanischer Bauten auf die etruskische Wohnarchitektur erscheint jedoch problematisch.

Der Ursprung der Bauform liegt in archaisch-klassischer Zeit, es gilt allerdings zu differenzieren zwischen dem vitruvianischen Atriumhaus das sowohl architektonisch als auch sozial-funktional definiert ist und den allgemein als Hofhäuser anzusprechenden Bauten, deren architektonische wie auch sozial-funktionale Ebene weniger klar greifbar sind. Die Entwicklung des Atriumhauses aus dem Bautyp des Hofhauses resultiert im Wesentlichen aus neuen architektonischen Konzepten des 6./5.Jh. v.Chr. Orthogonale Stadtanlagen und regelmäßige Straßennetze bedingen eine architektonische Anpassung der Wohnarchitektur. Aus dem Hofhaus mit Eingangskorridor entwickelt sich eine axiale Anlage, die im 5.Jh. v.Chr. aber noch immer einen zentralen Hof und kein echtes Atrium aufweist (Abb. 1). Das Atrium als Empfangsraum im Sinne elitären Wohnens wie es bei Vitruv verstanden wird, kann im archäologischen Befund archaisch-klassischer, mittelitalischer Hofhäuser nicht nachgewiesen werden, sondern findet sich erst im 3.Jh. v.Chr. [4]. Die Anwendung des Begriffs „Atriumhaus“ auf Hofhäuser vorrömischer Zeit ist somit problematisch, da mit diesem über architektonische Ähnlichkeiten hinaus, fast schon automatisch eine Rückprojektion der sozialen Hierarchie römisch-republikanischer Zeit erfolgt.

[1] Vitruv, Zehn Bücher über Architektur, Buch 6, III-V (Übersetzung C. Fensterbusch [Darmstadt 1964]).
[2] A. Carandini - A. Carafa, Palatium e Sacra via, 1. Prima delle mura, l´età delle mura e l´età delle case arcaice, Bolletino di Archeologia 31-33, 1995 (Roma 2000). A. Carandini, Palatino, Velia e Sacra via : paesaggi urbani attraverso il tempo (Roma 2004).
[3] M. Bentz - Ch. Reusser, Das Haus der Hippokampen in Marzabotto (IV, 1,2), in: M. Bentz - Ch. Reusser (Hrsg.), Etruskisch-italische und römisch-republikanische Häuser, Studien zur Antiken Stadt 9 (Wiesbaden 2010), 106-116.
[4] Die Baugeschichte der ältesten Häuser Pompejis ist bislang nicht eindeutig geklärt worden. Ob bereits im 4.Jh. v.Chr. „echte Atrien“ vorhanden sind, muss daher offen bleiben – dazu A. Wallace-Hadrill, Rethinking the Roman atrium house, in: R. Laurence - A. Wallace-Hadrill, Domestic Space in the Roman World: Pompeji and beyond, JRA Suppl.22, 1997, 219-240.

© Martin Auer
e-mail: Martin.Auer@uibk.ac.at

This article should be cited like this: M. Auer, Das „Atriumhaus“. Zu den Ursprüngen eines Bautyps, Forum Archaeologiae 63/VI/2012 (http://farch.net).



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