Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 39 / VI / 2006

FRÜHE RINGHALLENTEMPEL UND ÄGYPTEN [1]

Die enorme Größe der archaischen ionischen Dipteroi, tiefe und verdunkelte Vorhallen, figurengeschmückte Säulenschäfte in Ephesos und Didyma und einige bautechnische Merkmale scheinen auf Vorbilder in der ägyptischen Sakralarchitektur zurückzugehen [2]. Der möglichen Abhängigkeit des frühen dorischen Peripteros von ägyptischen Architekturformen stehen viele Forscher jedoch sehr skeptisch gegenüber. Als scheinbar entscheidendes Argument gegen die Adaption ägyptischer Bauformen gilt die Existenz griechischer Peripteraltempel im 8. und im frühen 7. Jh. v.Chr., also lange bevor sich Ägypten für Fremde öffnet und einen Anstoß für neue Entwicklungen in der griechischen Architektur und Skulptur geben kann [3]. Früheisenzeitliche Apsidenbauten stehen am Beginn einer hypothetischen Entwicklungsreihe, die gleichsam als Verwirklichung einer "Bauidee" zum dorischen Tempel des frühen 6. Jhs. v.Chr. führt [4]. Als Zwischenglieder werden geometrische Tempel in Samos, Thermos, Rakita und Ephesos genannt. Indes kann durch keines dieser Beispiele die Existenz des griechischen Ringhallentempels vor dem 2. Viertel des 7. Jahrhunderts als belegt gelten [5]. In Griechenland ist der Poseidontempel in Isthmia der früheste rekonstruierbare Peripteraltempel im kanonischen Schema mit Langbau, Pronaos, Ringhalle und Ziegeldach. Die Mauern der Cella waren erstmalig - zumindest bis zu einer gewissen Höhe - aus vorgefertigten Kalkquadern errichtet. Eine Datierung dieses Gebäudes in die Mitte des 7. Jhs. ist wahrscheinlich [6]. In Ephesos wurde etwas früher ein kleiner Tempel mit umlaufender Stützenstellung errichtet, in weiterer Folge aber nicht erneuert sondern durch eine Hofanlage (einen Sekós) ersetzt. In Griechenland und Ionien scheinen erste Steintempel, die Ringhalle und die Werksteintechnik in der Zeit um 660 v.Chr. aufzutreten. Die monumentale griechische Tempelarchitektur entwickelte sich offenbar wie die Marmorskulptur im Kontext neuer wirtschaftlicher und kultureller Kontakten. Als Psammetichos I. ab ca. 664 v.Chr. Ägypten wiedervereinigte, siedelte er griechische und karische Söldner in Ägypten an. Er schloß ein Bündnis mit Gyges von Lydien und nahm die Unterstützung griechischer Flotten in Anspruch [7]. Wer in Griechenland und Ionien ein Heiligtum nach monumentalen Vorbildern ausstatten wollte, mußte sich nun zwangsläufig mit der ägyptischen Sakralarchitektur und Skulptur auseinandersetzen [8].


Der frühe Ringhallentempel in Ephesos steht offenbar außerhalb der festländisch-griechischen Entwicklung. Eine gewisse Ähnlichkeit mit ägyptischen Stationstempeln (vgl. die Nechbetkapelle von El Kab in der Abb.) könnte darauf hindeuten, daß man ein Schema aus einer fremden Bautradition zunächst nur in unzureichender Bautechnik umsetzen konnte. In Isthmia und vielleicht in Korinth wurden in der Mitte des 7. Jhs. erstmals Langtempel in Werksteintechnik und mit umlaufender Säulenstellung errichtet. Intensive Kontakte zu Ägypten könnten solche architektonischen Neuerungen initiiert haben [9]. Insbesondere in Samos und Ephesos, wo sich im Zeitraum von ca. 670 bis 570 v.Chr. ganz einfache ägäische Kultbauten gleichsam in Entwicklungssprüngen zu den größten Tempeln des Mittelmeerraumes entwickelt haben, kann man vor dem Hintergrund intensiver Ägyptenkontakte von einem "Ringen mit dem Problem des Monumentalen" [10] sprechen.

[1] Die Arbeit des Verf. wird durch ein Schrödinger-Stipendium des FWF gefördert. http://www.fwf.ac.at/de/abstracts/abstract.asp?L=D&PROJ=J2376
[2] H. Kienast, in: M. Bietak (Hrsg.), Archaische Griechische Tempel und Altägypten (2001) 39; D. Arnold, Temples of the last Pharaohs (1999) 4. 70; W. Koenigs, Städel-Jahrbuch N.F. 19, 2005, 130.
[3] E. Østby in: Bietak a.O. 27ff.; E.R. Gebhard ebenda 43; W. Koenigs a.O. 128.
[4] Vgl. G. Gruben, Griechische Tempel und Heiligtümer (2001) 383. 385.
[5] H.J. Kienast in: Agalma. FS Despinis (2001) 18; ders. in: Säule und Gebälk, DiskAB 6 (1996) 16 ff.; W. Martini, JdI 101, 1986, 24; W.R. Gauß, Griechische Apsidenbauten (Diss., Salzbg. 2000) 96 f.; M. Weißl, ÖJh 71, 2002, 324.
[6] R. Felsch, JdI 116, 2001, 5; J.B. Salmon, Wealthy Corinth (1984) 60 f.; vgl. E.R. Gebhard, in: Bietak a.O. 43 mit Anm. 9.
[7] Herodot 2, 152; 154; P.W. Haider in: U. Höckmann - D. Kreikenbom (Hrsg.), Naukratis (2001) 197 ff.
[8] Vgl. Martini a.O. 25 f.
[9] Salmon a.O. 60 f.; dagegen: E.R. Gebhard, in: Bietak a.O. 43 ff.
[10] nach: G. Rodenwaldt, AM 44, 1919, 179; vgl. W. Koenigs a.O. 129 f. 132.

© Michael Weißl
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This article should be cited like this: M. Weißl, Frühe Ringhallentempel und Ägypten, Forum Archaeologiae 39/VI/2006 (http://farch.net).



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