Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 39 / VI / 2006

DIE INSEL AIGINA UND IHRE EINWOHNER IM SPIEGEL DER ANTIKEN LITERARISCHEN ZEUGNISSE: DIE AUSEINANDERSETZUNG ZWISCHEN AIGINA UND ATHEN

Die begünstigte geographische Lage der Insel Aigina inmitten des saronischen Golfes hat sowohl zu ihrer außergewöhnlichen Stellung in prähistorischer Zeit, als auch zu einer überregionalen Bedeutung in historischer Zeit beigetragen. Im Laufe des 7. und 6. Jhs. v.Chr. entfaltete sich Aigina unter günstigen politischen und historischen Rahmenbedingungen zu einer führenden Handelsmacht Griechenlands und erlebte am Übergang vom 6. zum 5. Jh. seine wirtschaftliche und kulturelle, aber auch militärische Blütephase, die mit der Zuteilung des Ehrenpreises für die besten Leistungen in der Schlacht bei Salamis ihren Höhepunkt erreichte.


Das aufstrebende Athen entwickelte sich im 6. Jh. zu einem starken handelspolitischen Konkurrenten. Durch die demokratischen Reformen des Kleisthenes kam zur wirtschaftlichen Konkurrenz eine politisch-ideologische Gegnerschaft hinzu, die durch den Kontrast zwischen dorischem und attisch-ionischem Identitätsempfinden zusätzlich verstärkt wurde. Die daraus resultierenden kriegerischen Auseinandersetzungen erstreckten sich beinahe über die gesamte 1. Hälfte des 5. Jhs.
Durch den massiven Ausbau der attischen Flotte im Zuge der Perserkriege übernahm Athen die maritime Vormachtstellung, der Aigina auf Dauer nichts entgegenzusetzen hatte. 457/6 v.Chr. wurde der Insel die Auslieferung ihrer Kriegsflotte, die Schleifung ihrer Stadtmauern und der Beitritt in den attisch-delischen Seebund auferlegt. Unmittelbar nach Ausbruch des peloponnesischen Krieges zwangen die Athener die gesamte Bevölkerung sogar zum Verlassen ihrer Heimat. Als grausamer Schlusspunkt eines jahrzehntelangen Konflikts wurden die Vertriebenen schließlich 424 v.Chr. in ihrem Exil in der Thyreatis, dem Grenzgebiet zwischen Argolis und Lakonien, überfallen, nach Athen verschleppt und hingerichtet.
Die Beharrlichkeit, mit der von athenischer Seite die Ausschaltung der wirtschaftlichen Konkurrenz der Aigineten betrieben wurde, lässt sich größtenteils mit der strategischen Bedeutung erklären, die der Insel durch ihre geographische Lage zukam. Darüber hinaus empfand Athen gegenüber Aigina ein tiefes Hassgefühl, das im Neid auf den durch die sprichwörtliche Handelstätigkeit der Einwohner erzielten wirtschaftlichen Erfolg begründet lag.
Dieser Hass hat in der antiken Literatur zahlreiche Spuren hinterlassen, die über eine Aufzählung von Fakten der politisch-kriegerischen Auseinandersetzungen hinausgehen. Da aiginetische Lokalhistoriker aus dem 5. oder 4. Jh. nicht bekannt sind, haben sich Informationen über die Geschichte Aiginas beinahe ausschließlich im Zusammenhang mit Athen erhalten. Demnach wird über Aigina vorwiegend aus dem Blickwinkel seiner größten Rivalin berichtet. Das Urteil über diese Insel, das sich in der attischen Geschichtsschreibung des 5. Jhs. manifestiert hat und einen maßgeblichen Einfluss auf die folgenden Jahrhunderte ausübte, fällt entsprechend negativ aus. Ihre Einwohner werden als hochmütig und arrogant beschrieben und treten vorwiegend als Verräter, Perserfreunde, Gottesfrevler, Feiglinge, Diebe und Betrüger in Erscheinung. Hierbei handelt es sich durchwegs um tendenziöse Charakterisierungen, in der die in Athen herrschende antiaiginetische Stimmung zum Ausdruck kommt.
Ein Geschichtsbuch eines aiginetischen Schriftstellers würde zweifellos andere Informationen beinhalten. In Ermangelung eines derartigen Werkes bleibt zur Gegengewichtung des negativ gefärbten Bildes der attischen Geschichtsschreibung lediglich die Möglichkeit, sich an die Gedichte Pindars zu wenden, auch wenn diese keine objektiven historischen Fakten liefern, sondern die Insel Aigina aus dem Blickwinkel von einem ihrer größten Anhänger zeigen.

Diese Untersuchungen sind im Rahmen des FWF-Projekts "TESTIMONIA. Die antiken literarischen Zeugnisse über die Insel Aigina und ihre Einwohner" entstanden.

© Jörg Weilhartner
e-mail: joerg.weilhartner@sbg.ac.at

This article should be cited like this: J. Weilhartner, Die Insel Aigina und ihre Einwohner im Spiegel der antiken literarischen Zeugnisse: Die Auseinandersetzung zwischen Aigina und Athen, Forum Archaeologiae 39/VI/2006 (http://farch.net).



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