Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 39 / VI / 2006

EIN GOTT, DER NICHT RICHTET.
Das Zeusbild am olympischen Ostgiebel und die Religionsanschauung der Griechen

In diesem Vortrag möchte ich die Interpretationsfrage zum Zeusbild am olympischen Ostgiebel diskutieren. Die bisher geäußerten Ansichten über die Bedeutung der Einmischung des Zeus in die Welt der Menschen können grob in zwei Gruppen geteilt werden:
- die Meinung, die diese Szene als die Ausübung der Gerechtigkeit (dike) durch Zeus ansieht,
- und die Meinung, die diese Szene als die Ver- bzw. Zuteilung des Schicksals (moira) durch Zeus interpretiert.
Die zuerst erwähnte Meinung vertritt A. Stewart. Das Kapital für den Tempelbau wurde aus der Beute nach der Eroberung der Pisa durch Elis gewonnen. Es ist daher nicht daran zu zweifeln, dass die Themenwahl des Ostgiebels daran anknüpft. Letztere Meinung wurde von E. Buschor vorgeschlagen. Nach ihm teilt Zeus sozusagen jedem sein eigenes Schicksal zu.
Es finden sich andererseits zahlreiche weitere Beispiele, bei denen Götter im Streit der Heroen einmischend dargestellt sind. (1) Der Schutz: Hier zugehörige Beispiele sind äußerst zahlreich. (2) Der Urteilsspruch: Die Götter stehen ausnahmslos in der Mitte, heben eine Hand hoch, zu einer Partei deutend, um deren Sieg zu deklarieren. (3) Vermittlung und Psychostasie: "Der Streit zwischen Herakles und Kyknos" (Abb.), "der Streit um den Dreifuss zwischen Herakles und Apollon" und "die Psychostasie".


Betrachtet man nun die drei Kategorien im Überblick, zeigt sich, dass Zeus nur bei der dritten Kategorie auftritt. Zeus wird nie als eine Schutzgottheit für einen bestimmten Heros dargestellt.
Die Interpretation von Buschor ist offensichtlich die für die antike Kunst und Religionsauffassung treffendere Lösung: Der Zeus, den sich die antiken Griechen vorgestellten, war der Gott, der über Gut und Böse der handelnden Menschen nicht gerichtet hat.

© Toshihiro Osada
e-mail: osada@geijutsu.tsukuba.ac.jp

This article should be cited like this: T. Osada, "Ein Gott, der nicht richtet. Das Zeusbild am olympischen Ostgiebel und die Religionsanschauung der Griechen", Forum Archaeologiae 39/VI/2006 (http://farch.net).



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