Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 39 / VI / 2006

ZEUGNISSE WEIBLICHER ÜBERGANGSRITEN IM DEMETERHEILIGTUM VON HERAKLEIA / POLICORO

Der agrarisch-thesmophorische Charakter des Demeterkultes in Herakleia ist an zahlreichen Votivgruppen ersichtlich. Das zeigen die unzähligen Miniaturgefäße als Behälter für Primitialopfer, die Weihungen von Sicheln, die Darstellung von Broten und Kuchen auf figürlichen Terrakotten, die Funde von Kultmahlutensilien und auch das Schweine- bzw. Ferkelopfer. Darüber hinaus gibt es einzelne Votive, welche die herakleotische Demeter und wahrscheinlich auch ihre "Kultgefährtinnen" Artemis und Aphrodite als Begleiterinnen in den verschiedenen Lebensphasen vor allem der Frauen ansprechen. Diese Funde lassen sich mit Ritualen verbinden, die mit dem Eintritt in das Erwachsenenalter, der Hochzeit und der Geburt eines Kindes begangen werden.
Votive, die auf einen Weiheakt im Rahmen von Initiationsriten hinweisen, sind figürliche Rasseln, Astragale und Gliederpuppen - Kinderspielsachen, die in Epigrammen der Anthologia Palatina als Weihegaben an bestimmte Gottheiten, vor allen Artemis, angeführt sind (Anth. Pal. VI 280; VI 309). Webgewichte hingegen - meist allgemein als zur weiblichen und häuslichen Sphäre gehörige Votive erklärt - könnten als Werkzeug für Webarbeiten im Rahmen vorhochzeitlicher Riten angesehen werden. An Beispielen im Demeterheiligtum wurden Gebrauchsspuren beobachtet, die eine Verwendung in ihrer primären Funktion als Webstuhlgewichte nahelegen. Der Fund von über 300 Gewichten im edificio quadrato des Heraion an der Selemündung hat zu der Annahme geführt, daß hier junge Frauen in Vorbereitung ihrer Hochzeit für eine bestimmte Zeit im Dienst der Göttin standen und Kleider für die Kultstatue webten. Für den Fund eines sog. Tempelschlüssels aus dem Votivdepot 66 A im Demeterheiligtum ist eine übertragene Bedeutung als Votivgabe durch S. Pompeius Festus überliefert, der Schlüsselweihungen von Frauen mit der Bitte um eine leichte Geburt erklärt ("clavim mulieribus consuetudo erat donare ob significandam partus facilitatem"). Das im Tierknochenmaterial nachgewiesene Hundeopfer - als Reinigungsopfer bei der Geburt vor allem an Hekate überliefert - würde dafür einen weiteren Beleg darstellen. Die unter den gefäßkeramischen Formen vorkommenden Henkelbecher mit Tüllenausguß sind hinsichtlich ihrer Funktion nicht eindeutig geklärt, meist jedoch als Saugfläschchen für Kleinkinder gedeutet. Chemische Analysen in Köln haben Reste von Milchbestandteilen in diesen als gutti oder baby-feeder bezeichneten Gefäßen nachgewiesen. Es ist durchaus denkbar, daß sie als Gefäßvotive der Göttin in ihrer Funktion als Kourotrophos mit der Bitte um ein gutes Gedeihen der Nachkommenschaft dargebracht wurden.


Einen besonderen Kultaspekt der Demeter in Herakleia als Beschützerin von Frauen im Übergang vom Sklaven- zum Freigelassenenstatus bekunden neun Inschriftendekrete in Form von Bronzetäfelchen aus dem Heiligtum, die die Selbstweihung verschiedener Frauen an Demeter zum Inhalt haben. Gianfranco Maddoli hat sie als Urkunden zur sakralen Freilassung erkannt (PP 41, 1986, 99-107). Sie folgen einem einheitlichem Muster: die Nennung der Ephoren, mitunter auch des Monatsnamens und schließlich der Freizulassenden, die sich selbst der Demeter weihen. Der Charakter als offizielles Dekret ist durch die Ephorennennung und durch den Inschriftenträger aus Bronze gegeben, auch dürften sie im Heiligtum angebracht gewesen sein: die Löcher zur Anbringung sind entweder ausgerissen oder zeigen Spuren von Eisennägeln. Bezeichnend ist in allen Fällen die Selbstweihung ohne die Nennung eines Freilassers. Möglicherweise ist eine juridische Form zum Freigelassenenstatus schon erfolgt und es handelt sich um eine sakrale Bestätigung des profanen Aktes. Die Funde von offenen Sklavenfesseln aus Eisen (Abb.) stellen weitere Zeugnisse dieses Freilassungsritus im Demeterheiligtum von Herakleia dar. Literarische Quellen belegen die Praxis von Gefangenenfreilassungen im Rahmen des Thesmophorienfestes, möglich ist auch eine Verbindung mit der in der Mutterstadt Tarent verehrten Epilysamene, die Hesych als Epiklese der Demeter in Tarent und in Syrakus überliefert.

© Veronika Gertl
e-mail: veronika.gertl@uibk.ac.at

This article should be cited like this: V. Gertl, Zeugnisse weiblicher Übergangsriten im Demeterheiligtum von Herakleia/Policoro, Forum Archaeologiae 39/VI/2006 (http://farch.net).



HOME