Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 35 / VI / 2005

GRIECHISCHE GYMNASIEN UND RÖMISCHE THERMEN.
Rezeption römischer Lebensart im griechischen Osten dargestellt am Beispiel der ephesischen Bad-Gymnasium-Komplexe
Abstract

Es existiert kaum ein besseres Beispiel für die Verschmelzung römischen und griechischen Kulturgutes umgesetzt in Architektur als die kleinasiatischen Bad-Gymnasium-Komplexe der Kaiserzeit. Bei den monumentalen Bädern handelt es sich jeweils um Varianten des Kaisertypus stadtrömischen Vorbildes, die mit dem griechischen Gymnasium zu einer baulichen Einheit verbunden werden.
Die bereits im spätrepublikanischen bzw. augusteischen Pompeji auftretende Kombination 'Bad-Gymnasium' wird auf kleinasiatischem Boden erstmals in Milet rezipiert: Der von Gnaeus Vergilius Capito zur Zeit des Kaisers Claudius (41-54 n.Chr.) errichtete Komplex ist das erste uns bekannte Gebäude, das den Vorgaben 'Axialsymmetrie sowie Kombination Therme-Gymnasium' entspricht. Abgesehen von technischen Aspekten, die u. a. auf die Nutzung lokal vorkommender Materialien sowie unterschiedlicher Traditionen in der Bauausführung zurückzuführen sind, kommt dem Gymnasium im griechischen Osten jedoch ein besonderer und differenzierterer Stellenwert zu, der auf der spezifischen Funktion dieses Gebäudetypus beruht: Sie wurden als multifunktionale Bildungs- und Ausbildungszentren, als Austragungsort unterschiedlichster Veranstaltungen sowie als Orte der körperlichen Ertüchtigung genutzt und bildeten einen wesentlichen Bestandteil kulturellen und geistigen Lebens in der Stadt. Die Funktion eines Ausbildungszentrums nahmen die Palästren der pompejanischen Anlagen (z.B. Stabianerthermen, Forumsthermen, Zentralthermen und republikanische Thermen) nie ein.
In Ephesos ist dieser Gebäudetypus ab domitianischer Zeit durch zumindest vier Anlagen repräsentiert (Hafen-, Theater-, Ost- und Vediusgymnasium).


Obwohl die Griechen die Grundlagen für die monumentalen Thermenbauten der Römer lieferten - man denke an die räumliche Verbindung von Schwitz-, Warm- und Kaltbad, die Einführung von Kanalheizungen, aber auch der Pfeiler-Hypokaustenheizungen - ist der Einfluss römischer Technologie bei der Bauausführung bzw. beim Betrieb dieser Thermen nicht hoch genug einzuschätzen: Er beruht vor allem auf der Perfektionierung der Beeinflussung des Raumklimas durch die Ausrichtung des Gebäudes, die ausgefeilten Heizungs-Installationen, die Regulierung von Zu- und Abluft sowie die Verwendung von bestimmten Werkstoffen wie Glas oder hydraulischem Mörtel. Auch die Zu- und Ableitung von Wasser erreicht durch römisches Ingenieurs-Wissen einen zuvor nicht gekannten Standard. All diese Leistungen bedeuteten eine erhebliche Qualitätssteigerung, die im griechischen Osten gerne angenommen wurde.
Wenn die Grundlagen auch von den Griechen geliefert wurden, so waren es doch die Römer, die die Bäder zu zentralen Orten von Freizeitgestaltung, Gesundheits- und Körperpflege transformierten. Diese Entwicklung wurde von den Griechen der Kaiserzeit voll mitgetragen und angenommen. Die bauliche Entwicklung der Badeanlagen von den räumlich bescheidenen hellenistischen Reihenbädern zu den großen, symmetrisch angelegten Anlagen des Kaisertyps erweist sich daher als folgerichtig.
Die wesentlichste griechische Eigenleistung in der Konzeption von Thermengymnasien ist aber zweifelsohne die bauliche Verbindung der Thermen mit dem Gymnasium. Sie dürften sich auch im 2.Jh. n.Chr. noch großer Beliebtheit erfreut haben, wie die zahlreichen Neubauten von Thermengymnasien im westlichen Kleinasien in dieser Zeit belegen. In den weit gefächerten Nutzungsmöglichkeiten dieser Gymnasien scheint auch ihr Erfolg gelegen zu haben: Durch die offene Bauform konnten neue Trends und Moden in der Freizeitgestaltung, aber auch in Bildungskonzepten jederzeit übernommen oder angepasst werden.
In der Kombination von römischer Therme und griechischem Gymnasium werden wir mit einer faszinierenden Lösung konfrontiert, auf individuelle soziale Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen, aber auch technologischen Fortschritt zu übernehmen und gleichzeitig lokale Bautraditionen zu bewahren. Die Vorzüge, die mit der Errichtung solcher Anlagen für die Bevölkerung einhergingen, wurden gerne angenommen und den spezifischen Notwendigkeiten angepasst. Es ist ein Charakteristikum einer offenen, lernfähigen und lernwilligen Gesellschaft, dass sie imstande ist, ohne Verlust der eigenen Identität Leistungen aus anderen Kulturen zu übernehmen, für die die eigene keine oder keine adäquaten Leistungen anbietet.

© Martin Steskal
e-mail: martin.steskal@oeai.at

This article should be cited like this: M. Steskal, Griechische Gymnasien und römische Thermen. Rezeption römischer Lebensart im griechischen Osten dargestellt am Beispiel der ephesischen Bad-Gymnasium-Komplexe, Forum Archaeologiae 35/VI/2005 (http://farch.net).



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