Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 10 / III / 1999

ARCHÄOMETRISCHE HERKUNFTSBESTIMMUNG VON GEFÄSSKERAMIK UND DACHZIEGELN AUS VELIA.
Ein Vorbericht.

Eine der Aufgaben der Bearbeitung der Funde aus den spätarchaischen Lehmziegelhäusern von Velia (Süditalien) war es, die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen Velias im 6. und 5. Jh. v. Chr. anhand seiner Keramik zu erforschen [1]. Ergänzend zur archäologischen Analyse des Materials wurden in den Jahren 1996-1998 archäometrische Untersuchungen durchgeführt, welche die lokale Keramikproduktion von Velia von den Importwaren abgrenzen und die Herkunft dieser Importkeramik definieren sollten [2]. Für Vergleiche konnte in Griechenland, aber auch in Kleinasien auf publizierte Ergebnisse beziehungsweise eigene Forschungen zurückgegriffen [3], für den großgriechischen und sizilischen Raum mußten entsprechende Untersuchungen erst durchgeführt werden.

Abb. 1: Velia (Elea) und seine Umgebung

Neben einer mehrere hundert Stück umfassenden Probenserie aus Velia konnten Gebrauchskeramik, Amphoren und Dachziegel aus folgenden Orten (Abb. 1) beprobt werden: Capua, Cuma und Pozzuoli, Ischia, Paestum, Sala Consilina, Scalea, Reggio Calabria, Locri, Caulonia. Kroton, Sybaris, Messina und Naxos. An allen diesen Orten sowie in Sizilien und untergeordnet auch in Südfrankreich und Albanien wurden neben Tonproben auch Sand und Gesteinsproben, die als mögliche Zuschlagsstoffe in Frage kommen, analysiert. Nach der Auswahl der Keramikproben wurde von den archäologischen Bearbeitern ein standardisiertes Beschreibungsverfahren durchgeführt und eine Klassifizierung nach Scherbentypen ("fabrics") vorgenommen [4]. Erst danach erfolgte die naturwissenschaftliche Untersuchung, die eine Kombination von Dünnschliffanalyse und Schwermineralanalyse umfaßte. Daneben wurden untergeordnet auch chemische Analysen sowie Brennversuche an Rohstoffproben durchgeführt [5]. Dadurch war es meist möglich, die Variationsbreite der mineralogisch-petrographischen Zusammensetzung der lokal vorkommenden Keramikrohstoffe zu charakterisieren und von anderen Waren abzugrenzen.

Dünnschliffanalyse
Von sämtlichen ausgewählten Proben wurden petrographische Dünnschliffe angefertigt. An den Dünnschliffen wurde zunächst das Verhältnis von Tonmatrix zu Magerungsbestandteilen bestimmt. Als Matrix wurden die Anteile kleiner als 15 µm definiert. Die mineralogisch-petrographische Zusammensetzung der Magerungspartikel wurde mit zwei unterschiedlichen Methoden erfaßt (Kornzählmethode und einer eigens entwickelten standardisierten semiquantitativen Abschätzmethode), die in der Abschlußpublikation ausführlich dargestellt werden. Die Korngröße und Kornverteilung der Magerungspartikel wurde teils geschätzt, teils mittels mikroskopischer Bildanalyse ermittelt. Die Rohstoffproben wurden zu Plättchen geformt und bei unterschiedlichen Temperaturen in 50° C Intervallen gebrannt. Von der bei 850° gebrannten Probe wurden dann Dünnschliffe angefertigt. Die Dünnschliffe wurden gleich wie die Keramikproben untersucht. Die Rohstoffe wurden sowohl unaufbereitet als auch aufbereitet (z. B. Grobanteile abgesiebt) untersucht. Die Ergebnisse der Dünnschliffanalysen wurden für die jeweiligen Keramikgattungen und Fundorte in Datenbanken dokumentiert und in Form verschiedener Darstellungen zusätzlich graphisch ausgewertet. Von typischen Scherbenrohstofftypen und Rohstofftypen wurde eine umfangreiche Photodokumentation angefertigt.

Schwermineralanalyse
Von den meisten Proben wurden auch Schwermineralanalysen angefertigt. Um eine quantitative Bestimmung der Schwermineralzusammensetzung von Keramik vornehmen zu können, müssen die Schwermineralien vorerst angereichert werden. Dazu wurden sämtliche Proben in einem Mörser zerkleinert. Daraus wurde dann die Kornfraktion 0,125 - 0,04 mm durch Naßsiebung gewonnen. Diese Fraktion wurde anschließend mit verdünnter Salzsäure gereinigt, um störende Eisenoxydkrusten an der Oberfläche der Schwermineralien weitgehend zu entfernen. Da Apatit salzsäurelöslich ist, mußte auf dessen Auszählung verzichtet werden. Die gereinigte Kornfraktion wurde dann zur Schweretrennung herangezogen. Der Schwermineralanteil wurde mittels Bromoform (spez. Gewicht 2,85) in Scheidetrichtern abgetrennt. Die so gewonnenen Schwermineralfraktionen wurden dann auf Objektträgern in Kunstharz eingebettet, polarisationsmikroskopisch analysiert und die Anteile der verschiedenen Schwermineralien ausgezählt. Es gelangten, soweit möglich, jeweils mindestens 200 durchsichtige Körner zur Auszählung. Die Resultate der Schwermineralanalysen wurden wie die Dünnschliffproben in Datenbanken erfaßt und graphisch ausgewertet.

Chemische Analysen
Neben den mineralogisch-petrographischen Analysen wurden von G. Schneider auch einige chemische Analysen (Röntgenfluoreszenzanalysen) angefertigt (besonders von Feinware und vereinzelt auch von Gebrauchskeramik aus Velia).

In diesem kurzen Überblick können nur beispielhaft einige Ergebnisse der archäometrischen Untersuchungen an Proben aus Velia vorgestellt werden.

Keramikrohstoffe in Velia

Um die lokale Keramikproduktion eindeutig zu charakterisieren wurden zunächst sämtliche potentiellen Keramikrohstoffe aus dem Raum von Velia erfaßt und analysiert. Insgesamt wurden mehr als hundert lokale Rohstoffproben aus Oberflächenaufschlüssen und Bohrkernen untersucht. In Velia konnten vier unterschiedliche Rohstoffquellen festgestellt werden, die für die Keramikerzeugung geeignet sind. Es handelt sich dabei um Lehme und siltige Tonlagen im Bereich von Alluviallablagerungen, siltige Tone und Paläobodenhorizonte mit zersetzten vulkanischen Tufflagen eingeschaltet in pleistozäne Terrassenablagerungen, z.T. umgelagerte, verwitterte feine Flyschtone (Formatione di Ascea) und sandige Lehme der Hangabschwemmsedimente (Kolluvium). Zur Keramikherstellung wurden besonders siltige Alluvialtone, aus Tufflagen hervorgegangene Paläoböden und vermutlich auch umgelagerte Flyschtone genutzt. Für die Ziegel bzw. Lehmziegel wurden alle Rohstoffquellen genutzt, besonders aber die sandig-lehmigen Kolluvialablagerungen. Die verschiedenen lokalen Rohstoffe differieren hauptsächlich im Glimmergehalt, beim Gehalt an vulkanischen Fragmenten, im Verwitterungsgrad und in der Korngrößenverteilung.

Gebrauchskeramik aus der Unterstadt von Velia

Abb. 2: Dünnschliffübersichtsaufnahme eines lokalen velinischen Scherbenrohstofftypes (RVGK01D). Sichtbare Magerungspartikel: hauptsächlich Quarz, zum Teil serizitisierte Feldspäte, Glimmerplättchen

Ein Großteil der Gebrauchskeramik von Velia (79%) wurde lokal produziert. Vergleiche mit den lokalen Rohstoffen beweisen, daß verschiedene Rohstoffe gleichzeitig verwendet wurden. So konnten sechs lokal produzierte Scherbentypen (RVGK01-1b bzw. RVGK01c-1d3) unterschieden werden, die auf Grund geringer Unterschiede teilweise noch feiner untergliedert werden können.

Lokal produzierte Scherbentypen (Abb. 3)
Die mineralogische Zusammensetzung der Magerungspartikel ist charakterisiert durch das Vorherrschen von monokristallinen Quarzen und Kalifeldspäten (z.T. serizitisiert), und variablen Muskovitgehalten. Untergeordnet treten noch Gesteinsbruchstücke (Quarzit, Glimmerschiefer), Vulkanitbruchstücke, Sand und Siltsteinbröckchen sowie Schwermineralkörner auf. Typisch für alle lokalen Scherbenrohstoffe ist das Fehlen von Karbonatgesteinspartikel. Das sehr charakteristische Schwermineralspektrum ist gekennzeichnet durch Zirkon, hohen Gehalten an TiO2-Mineralen (hauptsächlich Brookit/Anatas) sowie variablen Gehalten an Klinopyroxenen und brauner Hornblende. Nur sehr untergeordnet treten noch Granat und Turmalin auf.

Abb. 3: Überblick über die lokal produzierten Scherbentypen

Legende zu Abb. 3 und Abb. 5:

Einige Scherbentypen der Gebrauchskeramik zeigten aber keinerlei Ähnlichkeiten mit den lokalen Rohstoffen und Scherbentypen und sind somit als Importware zu interpretieren. Relativ häufig kommt ein Scherbenrohstofftyp vor, der nach Vergleichsanalysen gut zu den karbonatpartikelführenden Rohstoffen und Scherbentypen aus Paestum paßt (RVGK02a-b). Untergeordnet konnte noch weitere Importware unterschiedlicher Herkunft identifiziert werden. Auf Grund der kennzeichnenden mineralogischen Zusammensetzung können als Herkunftsorte Produktionszentren in Kalabrien (RVGK03, RVGK04), in Korinth (RVGK08) und möglicherweise Gebiete im Umkreis des ionischen und adriatischen Meeres (RVGK05) sowie in einem nicht näher identifizierbaren Zentrum in Sizilien oder Nordafrika (RVGK09) angenommen werden. Bei den Gefäßen aus Paestum handelt es sich vor allem um kleine Transportbehälter sowie um Beispiele des einfachen Speiseservices. Sie bezeugen einen lebhaften Regionalhandel. Mit dem Fernhandel kamen hingegen Mortaria (aus Korinth und Kalabrien) sowie Kochgeschirr (aus Sizilien oder Nordafrika?), die sich offensichtlich durch hohe Qualität oder Funktionalität von den lokalen Produkten unterschieden.

Westmediterrane Amphoren

Abb. 4: Dünnschliffübersichtsaufnahme Scherbenrohstofftyp (RVA3). Typische Importware aus Paestum. Sichtbare Magerungspartikel: neben mono- und polychristallinen Quarzkörnern grobe Karbonatpartikel sowie Augit (bunt)

Durch die archäometrischen Analysen konnten für diesen Amphorentypus verschiedene Produktionszentren festgestellt werden. Auf Grund der Ähnlichkeiten mit velinischer Gebrauchskeramik und Rohstoffen können die Scherbenrohstofftypen RVA001-001b als lokal angesehen werden. Auffällig ist der relativ große Anteil von Scherbenrohstofftypen, die petrographisch jenen aus Paestum (RVA003a-b) (Abb. 4) entsprechen.

Ein weiterer, durch einen auffällig bimodal sortierten, künstlichen Magerungszuschlag gekennzeichneter Scherbentyp (RVA002a-b) konnte noch nicht eindeutig zugeordnet werden. Allerdings erscheint auf Grund der mineralogischen Zusammensetzung eine Herkunft aus der Gegend zwischen Salerno und Paestum als sehr wahrscheinlich. Der Scherbenrohstofftyp RVA009 dürfte auf Grund der mineralogisch-petrographischen Zusammensetzung aus dem Bereich des ionischen oder adriatischen Meeres (Griechenland, Albanien oder Korfu) stammen. Für den sehr typischen mikrofossilreichen Scherbenrohstofftyp (RVA010) kann eine Herkunft aus Kalabrien angenommen werden. Sehr ähnliche Rohstoffe und Scherbentypen können beispielsweise in der Gegend von Reggio di Calabria gefunden werden. Import aus Marseille konnte nur bei ganz wenigen Beispielen nachgewiesen werden (RVA017).

Abb. 5: Überblick über die wichtigen Amphorengruppen

Archäologisch interessant ist die Tatsache, daß nur 5% der untersuchten Amphoren aus Velia stammen, hingegen mehr als die Hälfte, nämlich 66% aus Paestum (Abb. 5), was die wirtschaftliche Bedeutung dieser Stadt deutlich unterstreicht. Die restlichen Beispiele verteilen sich auf Kalabrien (13%) und auf den ionisch-adriatischen Bereich (16%).
Neben den westmediterranen Amphoren wurden noch weitere Amphorentypen wie Amphoren aus Korinth (RVA004-004C), Ostgriechenland z. B.?Chios (RV006A), aus Kleinasien z.B. Ephesos oder Samos (RV007) sowie vermutlich aus Nordafrika festgestellt. Für einige seltene Amphorenscherbentypen konnte jedoch noch keine genaue Herkunftsinterpretation gegeben werden.

Dachziegel aus der Unterstadt von Velia

Überraschenderweise zeigten die archäometrischen Untersuchung der Dachziegel aus der Unterstadt von Velia, die zu einfachen, in Lehmziegelbauweise errichteten Wohnhäusern gehören, daß mehr als die Hälfte (56%) der gefundenen Ziegel importiert waren. Der überwiegende Teil dieses Imports (54%) stammt aus der Gegend von Cuma/Ischia, der Rest aus Kalabrien. In der petrographisch-mineralogischen Zusammensetzung übereinstimmende Ziegel, welche zum Teil noch ungebrannt erhalten geblieben sind, konnten von der Ausgrabung unter der Kirche von Santa Restituta/Lacco Ameno (Ischia) untersucht werden. Diese Dachziegel sind durch eine karbonathältige, mikrofossilführende, meist jedoch durch den hohen Brenngrad bereits verglaste Grundmasse, die mit mittel- bis grobkörnigem vulkanischem Sand künstlich gemagert worden ist, gekennzeichnet. Die entsprechenden Rohstoffe, marine pleistozäne Tonmergel und Sande, konnten auch auf Ischia aufgefunden werden.

Allgemeine Ergebnisse

Die archäometrischen Untersuchungen von Keramikfunden aus der Unterstadt von Velia zeigten, daß die Stadt im 5. Jh. v.Chr. über eine gute Produktion von Gebrauchskeramik und Dachziegeln verfügte. Darüber hinaus war das Gefäßrepertoire aber durch starke Importe gekennzeichnet, die nicht nur Feinkeramik und Transportamphoren betrafen, sondern auch Küchengeschirr und Dachziegel sowie im Bereich des Regionalhandels kleinere Transportgefäße (Töpfe, Krüge). Die Analyse von lokalen Keramikprodukten verschiedener Produktionszentren machten deutlich, daß häufig an einem Ort mehrere, z.T. völlig unterschiedlich zusammengesetzte lokale Rohstoffe bzw. deren Mischungen gleichzeitig verwendet wurden. Weiters ist zu beachten, daß die mineralogisch-petrographische Zusammensetzung der lokalen Rohstoffe mit der zur Verfügung stehenden geologischen Literatur oft nur unzureichend vorherzusagen ist. Dies beweist die Notwendigkeit der Analyse von lokalen Rohstoffsvergleichsproben für die seriöse Herkunftsinterpretation von Keramikproben.

[1] Zur Unterstadt von Velia vgl. zusammenfassend F. Krinzinger, Intorno alla pianta di Velia, in: G. Greco - F. Krinzinger (Hrsg.), Velia. Studi e ricerche (1994) 21-28; V. Gassner, Insula II: Spätarchaische-frühklassische Amphoren aus den Grabungen 1990-1991, in: G. Greco - F. Krinzinger (Hrsg.), Velia. Studi e ricerche (1994) 108-117 sowie zuletzt V. Gassner, Zur Chronologie der Lehmziegelhäuser in der Unterstadt von Velia, in: Velia-Studien I (in Druck) 107-114.
[2] Vgl. bisher R. Sauer - V. Gassner, Archaeometrical characterisation and provenance studies on pottery found at Velia (Southern Italy). Proceedings of the 31st International Symposium on archaeometry, Budapest 1999 (in Druck). Die Arbeiten wurden vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unter der Projekt-Nr. P 10476-SPR gefördert. Die archäologische Bearbeitung wurde von V. Gassner, die mineralogisch-petrographischen Analysen von R. Sauer durchgeführt. Die Brennproben, Dünnschliffanfertigung und die Probenaufbereitung für die Schwermineralanalysen hat dankenswerter Weise Ing. Johann Haiden (Institut für Silikatchemie und Archäometrie, Hochschule für angewandte Kunst in Wien) organisiert. Die Endpublikation dieser Arbeit, in welcher auch die archäometrische Methodik detailliert dargestellt wird, ist in der Publikationsreihe "Velia-Studien" geplant.
[3] Zu Griechenland vgl. besonders I.K. Whitbread, Greek Transport Amphorae. A petrological and Archaeological Study (1995). Für Kleinasien liegen Daten aus einem ebenfalls vom FWF geförderten Projekt vor, vgl. R. Sauer, Unveröffentlichter Bericht über die archäometrischen Untersuchungen für das FWF-Projekt Nr. P 9280: Produktionszentren späthellenistischer und römischer Keramik an der W-Küste Kleinasiens (1995).
[4] Vgl. zur Methode vorläufig V. Gassner, Der Töpferofen von Carnuntum. Scherben und Scherbentypen, in: H. Stiglitz (Hrsg.), Das Auxiliarkastell Carnuntum 1. Forschungen 1977-1988 (SoschÖAI 29, 1997)190-193.
[5] Die chemischen Analysen wurden von G. Schneider, Berlin durchgeführt.
[6] Vgl. R. Sauer, Die Anwendung der Schwermineralanalyse für die Herkunftsbestimmung von antiker Keramik anhand von Beispielen aus Carnuntum und St. Pölten, Wiener Berichte über Naturwissenschaften in der Kunst 6/7, 1989/90/91, 121-141.

© Verena Gassner - Roman Sauer
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