Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 6 / III / 1998

"SATYRISCHES"
AUF EINEM ROTFIGURIGEN VASENBILD UM 400 v.Chr.



Neben Tragödie und Komödie, zwei Dramengattungen, die uns heute noch geläufig sind, gab es im antiken griechischen Theater ein drittes Genre, das Satyrspiel. Dieses war am engsten mit Dionysos und den Kulten rund um den Gott verbunden. Nach antiker Überlieferung und ersten eindeutig zuweisbaren Vasenbildern wurde diese Dramengattung um 520-515 v.Chr. von Pratinas von Phleius geschaffen bzw. schon bestehende improvisierte Gesänge reformiert. Die Vorformen der satyrischen Posse liegen jedoch großteils im Dunkeln. Im 5.Jh. v.Chr., der Zeit des klassischen Theaters, wurde jede Tragödientrilogie, also drei miteinander in motivischem oder mythischem Kontext stehende Dramen, durch ein heiteres Satyrspiel abgeschlossen, und auch dieses stand in Verbindung mit den vorher gezeigten Tragödien.
In der „scherzhaften Tragödie"[1] erfolgte eine Relativierung der tragischen Ereignisse, die das Publikum zuvor in der Trilogie gesehen hatte, denn dasselbe Motiv, manchmal sogar dieselbe Sage, wurde nun auf lustige Art und Weise dargebracht. Maßgeblich dafür verantwortlich zeichneten die Satyrn, als die sich die Chormitglieder verkleideten. Ihnen stand der Papposilen vor, der auch als Mittler zwischen Chor und tragischen Helden fungierte. Eine derart lächerliche Nebeneinanderstellung des heroischen und komischen Elements bildete den Kern des satyrischen Humors, dazu kam noch jene Phantasiewelt, in der die meisten Stücke spielten. Die Satyrn wurden als Untermenschen, Tierwesen und genußsüchtige Gesellen in Situationen gezeigt, aus denen sie sich nicht selbst befreien konnten. Der ihnen zur Seite gestellte tragische Heros, der im Satyrspiel gleich agierte wie in der Tragödie, war zumeist der Retter des Chores.

Wenn man nun bedenkt, daß jeder Tragödiendichter ein Viertel seines Schaffens auf das Verfassen von Satyrspielen verwendete, sind die 75 wenigstens mit Autor und Titel bekannten Dramenfragmente des 5. und beginnenden 4.Jhs. v.Chr. und weitere 20, bei denen die Zuordnung als Satyrspiel gesichert ist, eigentlich ein geringer Überlieferungsanteil. Aus diesem Grund sind Vasenbilder, die eindeutig auf Satyrspiele als Vorlagen verweisen können, äußerst wichtig zum besseren Verständnis dieses Genres. Überaus großen Verdienst erwarb sich F. Brommer, der erstmals 1943 eine Sammlung aller Satyrspielvasen publizierte[2], die bis auf wenige Ausnahmen nichts an Gültigkeit verloren hat.

Abb. 1: Mehrere Satyrn tragen Möbelteile. Szene aus einem unbekannten Satyrspiel. Rotfigurige Hydria, Boston 03.788, um 470 v.Chr. (aus: J.J. Winkler - F.A. Zeitlin, Nothing to do with Dionysos (1992) Taf. 10)

Die über 250 von ihm zusammengestellten Vasen zeigen entweder Satyrn in ihnen fremden Situationen und mythischen Szenen, oder sie sind mit einem Auleten bzw. eindeutigen Bühnenrequisiten gemeinsam abgebildet. Nur selten gab der Vasenmaler auch Details der Kostüme und Masken wieder, denn ihm erschienen die auftretenden Satyrchoreuten, die er in der Orchestra sah, als mythische Thiasoten. Umso mehr verweist daher die Darstellung von Trikotsäumen, Maskenrändern und dem Bühnenschurz des Satyrspiels, dem sog. Perizoma, auf eine Szene aus dem Theaterbereich (Abb. 1).

Abb. 2: Tanzende Frau vor Dionysos. Rotfigurige Schale, Korinth Inv. CP 885, 400-375 v.Chr. (aus: Winkler - Zeitlin a.O. Taf. 9)

Ein Vasenbild, das in den ersten Jahren des 4.Jhs. v.Chr. entstand, ist in diesem Zusammenhang besonders interessant. Das Innenbild einer rotfigurigen Schale aus Korinth (Abb. 2)[3] zeigt eine Frau, die vor Dionysos tanzt. Das linke Bein leicht nach hinten gestellt, hat sie beide Arme nach vorne ausgestreckt. Ihr Oberkörper ist nackt, die Brüste weisen sie eindeutig als Frau aus. Im Gegensatz dazu steht der Schurz, den sie um ihre Hüften trägt. Das Perizoma ist durch Strichlierung als Fellgewand angegeben, im Rückenbereich ist ein Pferdeschweif befestigt, vorne ein Phallos zu sehen. Daß dieses Wesen weiblich ist, steht außer Zweifel, auch wenn St. B. Luce bei der Erstpublikation der Schale einen Hermaphroditen annahm[4].

Ihr Haar ist im Nacken aufgesteckt und das Gesicht ist im Profil zu sehen, es handelt sich dabei nicht um eine weibliche Maske. Ihr gegenüber lagert Dionysos auf einem Thron, mit nacktem Oberkörper und in reichen Falten drapiertem Himation, sein Haupt ziert ein Efeukranz und in seiner Rechten hält er den Thyrsosstab. Den linken Arm hat er auf die Lehne des Sessels gelegt, so betrachtet er aufmerksam die Tänzerin.
Auf den ersten Blick erscheint dieses Bild eines der vielen aus dem dionysisch-mythischen Kreis zu sein und eine Nymphe zu zeigen, die ihren Gott durch Tanz erfreut. Handelte es sich jedoch um eine Mänade oder Nymphe, so wäre sie mit Chiton und Himation gewandet. Der Schurz als Bekleidung für eine Thiasotin ist nicht üblich. Wie aber läßt sich die merkwürdige Bekleidung erklären? Darstellungen von schurztragenden Athletinnen fanden durch den Mythos der Heroine Atalante gegen Ende des 6.Jhs. v.Chr. Eingang in die Vasenmalerei[5]. Diese Sportlerinnen waren - wie Gauklerinnen und Tänzerinnen der Phyrrhiche - mit einem Perizoma bedeckt, manchmal trugen sie zusätzlich einen Brustgurt und eine Athletenhaube. Dennoch kann auch die Interpretation als Phyrrichetänzerin oder Sportlerin für das korinthische Vasenbild ausgeschlossen werden, denn das hier gezeigte Perizoma ist ein typisches Kostüm der Choreuten aus dem klassischen Satyrspiel.
Nicht allein die eindeutige Fellzeichnung weist den Schurz als Bühnengewand aus, es sind vor allem der aufgenähte Phallos und der Pferdeschweif, welche dafür sprechen. Gerade diese Feststellung birgt allerdings Schwierigkeiten in sich. Die Szene kann nicht direkt auf ein Satyrikon zurückgeführt werden, da an den theatralen Aufführungen anläßlich der städtischen Dionysien Frauen in keiner Weise beteiligt waren. Alle weiblichen Rollen wurden von männlichen Schauspielern dargestellt, was anhand der Maske und der bodenlangen Gewänder kein allzu großes Problem war. A. Kossatz-Deissmann nimmt in der Frau eine Tänzerin, die eine stumme Rolle in einem Satyrspiel des 4.Jhs. v.Chr. hatte, an[6]. Doch auch diese Erklärung entbehrt einer schlüssigen Argumentation.

Es gibt mehrere Hinweise darauf, daß sich Satyrn häufig als Mänaden verkleideten, so z.B. auf einer Kanne in Athen[7]. Ob dies auch Inhalt eines Dramas gewesen ist, kann anhand der wenigen literarischen Fragmente und Titel nicht mit Sicherheit gesagt werden. Die Annahme, daß sich die Thiasoten in einem uns unbekannten Stück als Frauen - vielleicht als Nymphen oder Mänaden - zeigten, ist keinesfalls abwegig. Dennoch ist diese These mit dem Vasenbild schwer zu vereinbaren, denn es wäre einleuchtender, wenn ein männlicher Satyr mit langen Frauenkleidern dargestellt wäre. Hatte der Vasenmaler eine besonders lustige Szene in seiner Phantasie weitergesponnen und sich vorgestellt, wie eine Nymphe dem Gott von den Späßen seiner Begleiter in der Orchestra berichtete? Diese Umkehrungen treten - besonders im Zusammenhang mit dem Satyrspiel - einige Male auf, so z.B. auf zwei Vasenbildern, die das Rätsel der Sphinx zum Inhalt haben.

Abb. 3: Papposilen vor der Sphinx, er hält in der erhobenen Rechten einen Vogel. Italischer Glockenkrater, Neapel 81417 (2846), um 350 v.Chr.
(aus: F. Brommer, Satyrspiele (1959) Abb. 47)

Abb. 4: Papposilen vor Dionysos, er hält einen Vogel in der Hand. Italischer Glockenkrater, Mannheim Cg 3, um 350 v.Chr. (aus: Brommer a.O. Abb. 48)

Auf einem Glockenkrater in Neapel[8] (Abb. 3) zeigt der Papposilen dem Ungeheuer einen Vogel, den er in seiner Rechten hält, und stellt ihm anscheinend die Frage, ob das Tier tot sei. Je nachdem, wie es antwortet, tötet er durch einen festen Händedruck den Vogel oder läßt ihn fliegen. Auf einem zeitgleichen Vasenbild in Mannheim[9] (Abb. 4) ist wiederum der Silen in beinahe derselben Position gezeigt, diesmal allerdings vor Dionysos, dem er seinen Streich erzählt. Dies könnte auch bei dem Vasenbild von Korinth den besonderen Witz der Darstellung ausmachen. Allerdings fehlen weitere Argumente für diese Interpretation der Szene.

Eine weitere Erklärungsmöglichkeit des Vasenbildes steht noch zur Auswahl. Die spielerisch vor ihrem Gott tanzende Frau muß in enger Verbindung mit dem Satyrspiel stehen, denn das wollte der Vasenmaler mit dem Perizoma des Satyrikons sagen. Am einleuchtendsten wäre es, sie als Paidia, die Personifikation des satyrischen Spieles, zu deuten. Der Ausdruck, den die Tänzerin vermittelt, spiegelt hervorragend die Idee wider, die hinter dem satyrischen Drama steht. Die enge Verbundenheit der Satyrn mit ihrem Herrn Dionysos drückt sich im Vasenbild durch die vertrauliche Atmosphäre zwischen Gott und Tanzender aus, und die heitere Leichtigkeit, die in den faßbaren Stücken den Kern des Genres ausmacht, zeigt sich bildlich durch den schwingenden Tanzschritt, den die Frau vollführt. Ihre Nacktheit ist ein weiteres Indiz für die Personifikation der satyrischen Posse, denn wie anders könnte Paidia gekleidet sein als mit dem Bühnenkostüm der Choreuten. Da die Satyrn Waldwesen und Tiermenschen waren, wurden sie im Drama auch als solche gezeigt. Daß der Gott sich schließlich angenehm durch das Satyrspiel unterhalten läßt, könnte nicht besser dargestellt werden als mit diesem Tanz, den Paidia vor Dionysos vollführt.

[1] Demetr. Eloc. 169 spricht von der tragodia paizousa.
[2] F. Brommer, Satyrspiele, Bilder griechischer Vasen (1944), in zweiter, überarbeiteter Ausgabe 1959 veröffentlicht.
[3] Inv. CP 885, ARV2 1519,13. Q Painter.
[4] St. B. Luce, AJA 34, 1930, 340 schreibt: „At first glance we should call it a silen, from the tail at the back, and the fact, that the lower part of the body is distinctly masculine; but the head and hair is of a woman, and so are the breasts. We must call it a hermaphrodite faun."
[5] A. Kossatz-Deissmann, JdI 97, 1982, 72ff.
[6] Ebenda 88: „Das Satyrspiel war im Verlauf des 5. Jahrhunderts wohl so wandelbar geworden, daß man sich eine solche stumme Balletteinlage vorstellen könnte."
[7] Athen NM 1220, ARV2 524,27. Weitere Beispiele bei A. Kossatz-Deissmann a. O. 85 Anm. 75.
[8] Neapel 81417 (2846), um 350 v.Chr.
[9] Mannheim Cg 3.

© M.E. Großmann



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