Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 98 / III / 2021

PORTRÄT UND ‚IDEALPLASTIK‘
Überlegungen zu Typologie und Kopienwesen in der römischen Kaiserzeit

Im sogenannten statuarischen Idealporträt der römischen Kaiserzeit kommen vielfach kopierte, aber auch einzigartige Porträtköpfe zusammen mit divinen und heroischen Statuenkörpern, die gleichfalls Kopien, Umbildungen oder Neuschöpfungen sein konnten. Für die Skulpturforschung liefert die statuarische Komponente der ‚Idealporträts‘ ein Materialcorpus von Typen und Einzelbildern. So lassen sich der Umgang mit Vorbildern (‚Porträtträgerrepliken‘) und Prozesse der Bildgenese, Bildtradierung und Innovation besser verstehen. Für die Porträtforschung steht im Vordergrund, die Semantik ‚statuarischer Idealporträts‘ in ihren Qualitätszuschreibungen zu bestimmen. Die wechselseitigen Zusammenhänge und die konkrete Gestaltung von Adaptionen der Idealplastik sind hingegen für ‚statuarische Idealporträts‘ wenig untersucht.
Die Befunde sind auffällig: Unter den mehr als 230 figürlichen Porträts der Frauen des römischen Kaiserhauses finden sich, so Annetta Alexandridis, kaum Fälle von ‚Porträtträgerrepliken‘, die gut bezeugte Statuenkörper im Detail kopierten. Es dominierten ‚Konzeptfiguren‘, die nur Gewand- und Haltungsschemata aufgriffen. War das Kopieren hier eher belanglos? Die ‚Große Herkulanerin‘ aus dem späten 4.Jh. v.Chr. war das beliebteste Modell für Körper weiblicher Porträtstatuen im Imperium Romanum: Zeichen einer „aesthetics of sameness“ im Rahmen einer Massenproduktion (Jennifer Trimble). Doch fällt „the striking care with which even minor details on the mantle were replicated on many statues“ auf, obgleich „sameness“ als Zeichen von Sozialstatus nicht auf ‚Faltenzählen‘ angewiesen war. War das genaue Kopieren also doch eine wichtige Praxis der Gestaltung von Porträtstatuen? Die Überlieferung des ‚Hermes Richelieu‘ als Porträtträger lässt, so Sascha Kansteiner 2017, den Schluss zu, dass für diese „Massenproduktion … die Verfügbarkeit von Abgüssen des Originals und die Organisation des Vertriebs der Kopien eine zentrale Rolle gespielt haben“. Waren Thema und Semantik der Vorlage dabei unwichtig, oder deren formale Details?
Überlegungen zu diesen Fragen lassen sich anhand zweier gut untersuchter Beispielfälle ‚statuarischer Idealporträts‘ anstellen. Im Falle des ‚Hermes Richelieu‘, wo die Mehrzahl der Repliken Porträtträger waren, zeigt sich, dass Porträtträgerrepliken sehr faltengenau kopierend der statuarischen Vorlage folgen konnten. Dies ist nur durch die Nutzung von (Teil)Abgüssen erklärbar. Die Bildhauer brachten dennoch vielfältige, ja grundsätzliche Veränderungen ein oder zeichneten ihr Porträtwerk auch bei Schematisierungen als gekonnte Umsetzung in Marmor aus – ähnlich wie in der Idealplastik ohne Porträt. Veränderte Attribute zeigen zudem, dass das ursprüngliche Darstellungsthema des Typus nicht die Semantik der Porträts bestimmte.
Ähnlich und zugleich anders liegt der Fall beim ‚Diomedes Typus München-Cumae‘. Dort ignorierten die vielen Porträtadaptionen noch stärker den expliziten Themabezug auf Diomedes, aber auch auf den Statuentypus. Es existiert nur eine ‚Porträtträgerreplik‘: In Mauretanien hat man in augusteischer Zeit Juba II. im Körpertypus München-Cumae dargestellt. Ein Bezug auf Diomedes als ideologisch wichtige Figur im römischen Mythos ist nicht ausgeschlossen. Über einen solchen Bezug geht es aber weit hinaus, dass der Bildhauer jenseits einer Massenproduktion Details des Vorbildes exakt kopierte und seine Statue als technisch herausragendes Marmorwerk gestaltete. Meisterhafte Marmorarbeit und Kopieren spielten hier wie die Ästhetik des Vorbildes offenbar eine Rolle bei der Gestaltung des ‚statuarischen Idealporträts‘.

© Ralf von den Hoff
e-mail: vd.hoff@archaeologie.uni-freiburg.de

This article should be cited like this: R. von den Hoff, Porträt und ‚Idealplastik‘. Überlegungen zu Typologie und Kopienwesen in der römischen Kaiserzeit, Forum Archaeologiae 98/III/2021 (http://farch.net).



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