Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 94 / III / 2020

FUNDSTELLE RETZNEI: VILLA, VICUS, HEILIGTUM? ERGEBNISSE DER UNTERSUCHUNGEN DER JAHRE 2004 BIS 2012

An der Fundstelle Retznei, 3 km südlich der kaiserzeitlichen Stadtanlage von Flavia Solva gelegen, fanden in den Jahren 2004–2012 feldarchäologische Untersuchungen statt. Die bereits im 19. Jahrhundert entdeckte „Villa“, deren Funktion, Ausstattung und chronologische Stellung stand zunächst im Vordergrund der Arbeiten. Neben der Anlage der römischen Kaiserzeit zeigten sich aber auch spätlatènezeitliche Befunde, deren Untersuchung von besonderem Interesse war. Zumindest zwei latènezeitliche Perioden konnten differenziert werden, weiters frühkaiserzeitliche Holzbauperioden und mehrere Phasen, in denen der spätere Steinbau um- und ausgebaut wurde. Der Frage nach der Abfolge der vorrömischen Gebäude (vor allem der eingetieften Bauten, die als Gehöft oder Gehöftgruppe bezeichnet werden) und den frühkaiserzeitlichen Bauten, einem eventuell vorhandenen Hiatus oder einer Kontinuität sollte weiter nachgegangen werden.

Die Forschungsgrabung erbrachte zum Teil bemerkenswerte Ergebnisse (Abb.). Zwar waren einzelne Bereiche durch die Grabung des 19. Jahrhunderts stark in Mitleidenschaft gezogen worden, andere auch durch Eingriffe des 20. Jahrhunderts zerstört, in mehreren Flächen konnten aber noch ungestörte Befunde dokumentiert werden. Die Vorlage der Befunde sowie des Fundmaterials ist mittlerweile weit fortgeschritten. Das Poster zeigt einzelne Teile der im Druck befindlichen Publikation, bei der es sich vor allem um eine Materialvorlage handelt. Eine detaillierte Auswertung und Analyse ist darin noch nicht enthalten. Eine wichtige Frage, die nach wie vor nicht eindeutig beantwortet werden kann, ist die nach der Funktion und dem Charakter der Siedlung Retznei. Obwohl davon ausgegangen kann, dass bei der Grabung nur ein Teil der Anlage erfasst werden konnte, erscheint eine Identifikation als Villa eher unwahrscheinlich. So nimmt der Badetrakt eine so große Fläche ein, ein weiterer Bau kann eventuell als Nymphäum bezeichnet werden, und sowohl Wirtschaftstrakte als auch ein eigentlicher Wohntrakt, wie sie in einer Villa zu erwarten sind, fehlen. Hingegen könnte eine nahe gelegene Quelle von Bedeutung für die an einer alten Straßenverbindung gelegene Siedlung gewesen sein, ebenso die vorhandenen Rohstoffe Lehm und Stein. Diese könnten die Grundlage für eine vicus-artige Ansiedlung gebildet haben, die von der späten Mittellatènezeit bis in die späte Kaiserzeit hindurch bewohnt wurde, eine Hypothese, die anhand der Funde und Befunde untersucht werden sollte.

© Bernhard Schrettle
e-mail: bernhard.schrettle@asist.at

This article should be cited like this: B. Schrettle, Fundstelle Retznei: Villa, Vicus, Heiligtum? Ergebnisse der Untersuchungen der Jahre 2004 bis 2012, Forum Archaeologiae 94/III/2020 (http://farch.net).



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