Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 94 / III / 2020

INTERVENTION VON ZEUS. EIN BEITRAG ZUR DEUTUNGSFRAGE DES WESTGIEBELS VOM PARTHENON

Vom Bildthema des Parthenon-Westgiebels überliefert Pausanias, dass es sich um den Streit zwischen Athena und Poseidon um das Attische Land handelt. Die beiden Gottheiten sollen einen Olivenbaum und eine Meerwasserquelle geschaffen haben; nach der herrschenden Meinung wurde die Szene der Produktion dieser zwei Wahrzeichen im Giebel dargestellt. Bei der Deutungs- und Rekonstruktionsfrage hat ein visuelles Monument eine wichtige Rolle gespielt: die Hydria in Pella. Da sie einen riesigen Blitz zwischen den streitenden Göttern zeigt und da in der Literatur auch ein Blitz vorkommt, nehmen viele Forscher an, dass er auch im Giebel ergänzt werden sollte. In diesem Vortrag wird darüber diskutiert, wie diese eigenartige Bildkomposition des Westgiebels entstanden ist. Im Folgenden wird die Giebel Komposition mit den vorangehenden Monumenten verglichen, die die Vermittlung des Zeus abgebildet haben.
Zwei die Vermittlung des Zeus darstellende Bildthemen sind in der archaischen Zeit besonders beliebt: der Streit zwischen Herakles und Kyknos und der Streit um den Dreifuß zwischen Herakles und Apollon. Das Thema, der Kampf zwischen Herakles und Kyknos, erschien in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. in der Vasenmalerei. Die erhaltenen Monumente zählen mehr als 100. In der Literatur wird überliefert, dass Zeus im Kampf zwischen seinem Sohn Herakles und seinem Enkel Kyknos einen Blitz geschleudert und interveniert hat. Statt Zeus kann daher ein Blitz in den Monumenten erscheinen. Im Streit um den Dreifuß zwischen Herakles und Apollon erscheint Zeus ebenfalls als Vermittler.

Wenn man den Westgiebel (Abb.) mit den vorangehenden Monumenten mit diesen zwei Themen vergleicht, scheint sich ein Punkt zu ergeben, der zur Deutungsfrage des Westgiebels vom Parthenon beitragen kann. Es geht nämlich um die Darstellung der rätselhaft zahlreichen Frauen und der Kinder in den seitlichen Figuren.
Diese Zwickelfiguren wurden allgemein als Zeuge oder Schiedsrichter des Streites der Gottheiten gedeutet. Aber eine solche Rolle, wie Zeuge oder Richter, scheint zu der Darstellung der weiblichen Gestalten und der Kinder nicht besonders zu passen. Wenn wir aber die Vermittlung des Zeus als primäres Bildmotiv des Westgiebels annehmen, dann könnten diese als Familiengruppen besser erklärt werden, da die Intervention des Zeus zum Gedeihen der Nachkommenschaft der streitenden Gottheiten geführt hat. Es wird also angenommen, dass das Bildmotiv in der Giebelmitte sicherlich mit den Darstellungen in den Giebelecken in Verbindung stand. Wie die Beispiele mit den zwei Bildhemen zeigen, probiert der Hauptgott durch Intervention immer die Bluttat zwischen seinen eigenen Familienmitgliedern zu verhindern. Die Zwickelfiguren könnten also als die Blüte der Nachkommenschaften der jeweiligen Gottheiten interpretiert werden.
Im Folgenden ist es nur ein Interpretationsvorschlag, der im Grunde bereits 1991 von B.S. Spaeth veröffentlicht wurde: In der linken Seite könne das von Athena abstammende Geschlecht des Erechtheus, also die attische königliche Familie, in der rechten Seite andererseits, das von Poseidon abstammende Geschlecht des Eumolpos, also die Eleusinische königliche Familie, dargestellt worden sein.

© Toshihiro Osada
e-mail: toshihiro.osada@gmail.com

This article should be cited like this: T. Osada, Intervention von Zeus. Ein Beitrag zur Deutungsfrage des Westgiebels vom Parthenon, Forum Archaeologiae 94/III/2020 (http://farch.net).



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