Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 94 / III / 2020

STADTRECHT, PORTA DECUMANA UND MEHR: VIEL NEUES AUS VINDOBONA

In den vergangenen Monaten kulminierten neue Erkenntnisse zum römischen Wien aufgrund einer Reihe aktueller Grabungen und Forschungsergebnisse. Ein bereits 1913 an der südlichen Umfassungsmauer des Legionslagers Vindobona aufgefundenes Bronzetafelfragment ist nun als Bruchstück eines Stadtgesetzes für das bis vor kurzem als ungewiss eingestufte municipium von Vindobona identifiziert worden. Ausschlaggebend war dabei der Vergleich mit Textteilen aus Gesetzestafeln latinischer Munizipien in der Hispania Baetica. Zu diskutieren ist allerdings der Zeitpunkt der Verleihung und ob die Zivilsiedlung oder die canabae legionis das Stadtrecht erhielten.
Ebenfalls im Süden des Legionslagers, nahe der Stelle, an der im Jahr 1902 der linksseitige Torturm der porta decumana aufgedeckt wurde, konnten nun über 100 Jahre später Fundamentreste der Tordurchfahrt freigelegt werden, die eine aktualisierte Rekonstruktion des Lagertores (Abb.) möglich machen. Daraus ergaben sich wiederum Erkenntnisse zum Umbau des römischen Tores zum Peilertor, jenem Tor der ältesten mittelalterlichen Stadtbefestigung, das erst im 18. Jahrhundert abgebrochen wurde.

Im Lager selbst entdeckte man in der östlichen retentura, dort wo eigentlich eine Abfolge von Mannschaftsunterkünften zu erwarten gewesen wären, einen außergewöhnlich tief reichenden, mindestens 300 m2 großen Kellerraum (Abb.), der nachweislich durch Zwischenwände unterteilt war. Dabei handelt es sich um eine vorerst als einzigartig einzustufende Anlage, ohne Parallele in vergleichbaren Lagern und Kastellen, dessen Funktion bisher noch Rätsel aufgibt.
Schließlich zeigte sich östlich der Lagergräben eine in der Fläche mindestens 38x15m große Schotterung (Abb.), die eine Reihe von nicht parallel zueinander verlaufenden Wagenspuren aufwies. Diese ist wohl als eine bislang unbekannte Platzanlage zu interpretieren, die allerdings kaum in den bekannten Straßenraster der canabae legionis zu bringen ist und Spielraum für Interpretationen zulässt. Unter anderem wäre auch der Hofbereich eines campus in Erwägung zu ziehen, der vergleichbar mit entsprechenden Anlagen in Carnuntum oder Vindonissa knapp außerhalb der Legionslagermauern zu finden ist. Die vier hier vorgestellten Themen geben damit Anlass bisherige Thesen zur Geschichte und Baustruktur des Legionsstandortes Vindobona neu zu überdenken.

© Martin Mosser, Niklas Rafetseder, Doris Schön, Ute Scholz
e-mail: martin.mosser@stadtarchaeologie.at, niklas.rafetseder@univie.ac.at, doris.schoen@denkmalforscher.at, ute.scholz@asinoe-gmbh.at

This article should be cited like this: M. Mosser – N. Rafetseder – D. Schön – U. Scholz, Stadtrecht, porta decumana und mehr: Viel Neues aus Vindobona, Forum Archaeologiae 94/III/2020 (http://farch.net).



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