Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 94 / III / 2020

TIERKNOCHEN IM ARCHÄOLOGISCHEN KONTEXT – AKTUELLE UNTERSUCHUNGEN ZU SPEZIELLEN ARCHÄOZOOLOGISCHEN VERGESELLSCHAFTUNGEN IN DER ZIVILSTADT VON CARNUNTUM

Tierische Überreste zählen bei Grabungen häufig zu einer der reichsten Fundgattungen, die sich neben Keramik und weiteren Kleinfunden in diversen Befundkontexten finden. Die Beschäftigung mit Tierknochen eröffnet hierbei zahlreiche Möglichkeiten, die es u.a. etwa zulassen sowohl Rückschlüsse auf das Konsumverhalten antiker Personengruppen als auch auf die Nutzung von tierischen Überresten als gewerblichen Rohstoff zu ziehen.
Im Zuge einer Masterarbeit am Institut für Klassische Archäologie an der Universität Wien (Betreuung: Univ.-Prof. Dr. Günther Schörner, M.A. und Dr. Günther Karl Kunst) wurde eine interdisziplinäre Untersuchung des Umganges mit tierischen Überresten in urbanen Siedlungskontexten in römischer Zeit unternommen. Dafür wurde eine Gebäudeparzelle in der Zivilstadt von Carnuntum (VB Bruck an der Leitha/Niederösterreich) als Untersuchungsareal gewählt. In den Jahren 2003 bis 2005 wurde das im heutigen „Archäologischen Park Römerstadt Carnuntum“ liegende Areal vollständig ergraben, einige Strukturen wurden jedoch bereits in den 1950er Jahren durch vorangegangene Grabungskampagnen teilweise untersucht. Bei dem hier vorgefundenen, als „Haus 2“ bezeichneten, Baukomplex konnten durch die AusgräberInnen sechs Siedlungsphasen vom späten 1.Jh. bis in das frühe 5.Jh. n.Chr. rekonstruiert werden.
Aus dem Fundmaterial der letzten Ausgrabungen wurden anhand einer Samplingstrategie Tierknochenproben ausgewählt und bearbeitet sowie anschließend räumlich auf den Befundkontext bezogen ausgewertet. Diese Auswertungsmethode ermöglicht eine Vielzahl an Aussagemöglichkeiten hinsichtlich einer funktionellen Interpretation und einer Beschreibung der Befundformationsprozesse im Bereich eines Fundplatzes mit komplexer Siedlungsstruktur, die bei einer rein summarischen Auswertung des gesamten Knochenmaterials verwehrt bliebe. Spezielle Fundvergesellschaftungen von tierischen Überresten, die sich beispielsweise durch ihre Zusammensetzung im Hinblick auf die Tierartenverteilung oder die vertretenen Skelettelemente von dem restlichen Fundmaterial abgrenzen, können zudem den Aussagewert zur Interpretation von taphonomischen Prozessen am Fundplatz prüfen sowie Rekonstruktionsvorschläge zu den Deponierungsprozessen liefern. Zwei Befundkomplexe, deren Knochenvergesellschaftung im archäozoologischen Fundmaterial besonders herausstechen, dienen für ebenjenen Ansatz als konkrete Fallbeispiele und zeigen, dass befundorientierte Analysen archäozoologischer Funde einen Mehrwert an Information liefern können.

Fallbeispiel 1 stellt die aus der ersten Nutzungsphase des Areals stammende sog. „Brandschuttplanie“ dar (Ende 1./Anfang 2.Jh. n.Chr.), welche eine große Anzahl an tierischen Überresten beinhaltet, die durch eine (teils starke) Hitzebeeinflussung gekennzeichnet sind (Abb.). Durch die zudem fast ausschließliche Präsenz von Schweineknochen unterscheidet sich diese Vergesellschaftung von den weiteren Proben des Areals „Haus 2“, welche durch eine größere Vielfalt in der Tierartenverteilung gekennzeichnet sind.
Als Fallbeispiel 2 dient ein durch besonders umfangreiches und kleinteiliges Knochenmaterial geprägter Befund, der in der Grabungsdokumentation als „Knochensplitthorizont“ bezeichnet wird. Der Komplex stammt aus der zweiten Nutzungsphase von „Haus 2“ (1. Hälfte 2.Jh. n.Chr.) und fällt wie auch schon die „Brandschuttplanie“ durch seine besondere Zusammensetzung im archäozoologischen Fundensemble auf: Der Fundkomplex besteht dabei aus einer großen Menge an Langknochenfragmenten, die zudem eine hohen Fragmentierungsgrad und eine stark durch große Hitze beanspruchte Oberfläche aufweisen. Zudem kann diese Vergesellschaftung an Knochen fast ausschließlich Rindern zugeordnet werden.
Anhand dieser speziellen archäozoologischen Vergesellschaftungen werden im Vortrag unterschiedliche Deutungsversuche der Deponierungsprozesse kritisch präsentiert und zudem die Funktion der beiden Komplexe diskutiert, was einen umfangreichen Einblick in das Konsumverhalten und die Nutzung tierischen Knochenmaterials im Bereich von „Haus 2“ in der Zivilstadt von Carnuntum ermöglicht.

© Nisa Iduna Kirchengast
e-mail: nisa.iduna.kirchengast@univie.ac.at

This article should be cited like this: N.I. Kirchengast, Tierknochen im archäologischen Kontext – Aktuelle Untersuchungen zu speziellen archäozoologischen Vergesellschaftungen in der Zivilstadt von Carnuntum, Forum Archaeologiae 94/III/2020 (http://farch.net).



HOME