Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 94 / III / 2020

KONTINUITÄT, VERÄNDERUNG UND PLANUNG: ZUR ENTWICKLUNG DES MITTELALTERLICHEN GRAZ

Graz ist keine klassische „Gründungsstadt“ mit einem regelmäßigen Grundriss. Dies bedeutet aber nicht, dass die Stadt das Produkt eines „wilden“ Wachstums ist. Vielmehr lassen sich mehrere Planungsphasen fassen. Die Stadtentwicklung lässt sich aber nicht einfach nur aus dem bestehenden Stadtbild mit einigen Schriftquellen herausfiltern, sondern ist nur unter Einbeziehung archäologischer Forschungen nachvollziehbar. Der folgende Beitrag soll hierfür einige Beispiele herausgreifen.
Die Wurzeln des mittelalterlichen Graz liegen im Frühmittelalter (spätes 8. Jahrhundert), allerdings liegen derzeit keine Befunde zu den Siedlungsstrukturen dieser Zeit vor. Ab dem späten 10. Jahrhundert ist die Erschließung der Niederterrasse am östlichen Ufer der Mur fassbar. Beachtenswert ist, dass sich die Strukturen des späten 10., 11. und 12. Jahrhunderts im Umfeld des heutigen Hauptplatzes und der nördlich davon gelegenen Sackstraße bereits an der Achse der späteren Herrengasse orientieren. Diese Nord-Süd verlaufende Hauptverkehrsachse der modernen Innenstadt scheint somit zumindest bis in das ausgehende Frühmittelalter/frühe Hochmittelalter zurückzureichen.
Die frühe mittelalterliche Phase von Graz zeigt aber nicht nur Kontinuitäten in der Siedlungsstruktur. So ist die Gestalt des heutigen Hauptplatzes kein Produkt des 12. Jahrhunderts, wie dies lange angenommen wurde; zumindest Teile des Platzes waren bis in das ausgehende 14. Jahrhundert immer wieder von einer sich ändernden Infrastruktur bedeckt. Zunächst war diese hölzern, um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert kamen auch Gebäude mit steinernen Grundmauern auf. Dabei kam es im Verlauf des 13. Jahrhunderts zu einer deutlichen Strukturänderung und einer darauffolgenden Verdichtung von Baustrukturen am heutigen Platz. Mit einem weitläufigen unbebauten Platz ist erst ab dem Ende des 14./Anfang des 15. Jahrhunderts zu rechnen. Mehrere dieser Veränderungen lassen sich nur mit einer von oben gelenkten Planung erklären.
Eine der größten gestalterischen Maßnahmen im Mittelalter stellte die Errichtung der Stadtmauer im 13. Jahrhundert dar. Im Norden der Stadt wurden bestehende Siedlungsstrukturen von der neu definierten Stadtgrenze ausgeschlossen und teilweise von der Stadtmauer überbaut. Im Westen der Stadt, entlang dem Murufer, brachte die Errichtung der Stadtmauer ebenfalls Änderungen. Punktuell zeigt sich, dass in diesem Bereich hochmittelalterliche Strukturen vor dem Bau der Stadtmauer eine abweichende Orientierung zu den späteren Baustrukturen aufwiesen. Es ist denkbar, dass auch in anderen Bereichen der Stadt bestehende Grenzen mit dem Bau der Stadtmauer neu definiert wurden, allerdings fehlen noch entsprechende archäologische Befunde.
Ab dem 13. Jahrhundert ist auch abseits der Stadtmauer und den Strukturen am Hauptplatz (Abb.) eine Zunahme an steinernen Bauelementen in der Stadt feststellbar. Diese werden teilweise von den bestehenden Bauten eins zu eins überbaut. Ab dieser Zeit verdichtet sich die Kontinuität zwischen mittelalterlichen und modernen Siedlungsstrukturen. Allerdings finden sich noch bis in das ausgehende Mittelalter auch deutliche Unterschiede.
Dieser kurze Einblick zeigt einerseits, dass gewisse Strukturen, wie die Hauptverkehrsachsen bis zu den Anfängen der Grazer Stadtentwicklung zurückreichen. Andererseits gibt es auch deutliche Unterschiede, bei der Bebauungsdichte, der Orientierung, und bei den Grenzen. Insgesamt präsentiert sich das Grazer Mittelalter als eine dynamische Epoche, bei der mehrere Phasen der Entwicklung und Siedlungsplanung fassbar sind.

© Levente Horváth
e-mail: levente.horvath@gmx.at

This article should be cited like this: L. Horváth, Kontinuität, Veränderung und Planung: Zur Entwicklung des mittelalterlichen Graz, Forum Archaeologiae 94/III/2020 (http://farch.net).



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