Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 94 / III / 2020

EIN PROVINZIALRÖMISCHER KULTPLATZ AUF DER GRADIŠČE BEI ST. EGYDEN (KÄRNTEN, AT)

In Kooperation mit dem Landesmuseum Kärnten (P. Gleirscher) erfolgt am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAW) seit 2017 die Auswertung von römerzeitlichen Hinterlassenschaften eines Fundplatzes auf der Gradišče bei St. Egyden in Unterkärnten. Die Funde stammen zum Großteil aus einer aschehaltigen Kulturschicht, die in einer kleinen, durch eiszeitlichen Felsversturz entstandenen Höhle dokumentiert werden konnte (Abb. a). Das keramische Fundspektrum setzt sich v.a. aus Tafel- und Trinkgeschirr, Firmalampen sowie Sonderformen, d.h. Räucherkelchen und Schlangengefäßen (Abb. b) zusammen. Es dürfte sich dabei zugleich um den bislang umfangreichsten Fund von Schlangengefäßen (25 NMI) aus der Provinz Noricum handeln. Bemerkenswert sind ferner Bruchstücke einer kleinen Stierfigur aus Terrakotta (H. ca. 13 cm) und die abgebrochene Spitze eines palmblattförmigen Votivblechs aus Silber. Das numismatische Fundmaterial wird im Rahmen des Projekts »Fundmünzen aus Österreich« am Institut für Kulturgeschichte der Antike (ÖAW) bearbeitet. Die rund 320 in der Höhle und in deren unmittelbarer Umgebung aufgefundenen Münzen datieren in das 2. bis 5.Jh. n.Chr., wobei der Großteil im 4.Jh. geprägt wurde, z.B. Centenionalis des Valentinianus I. (364–375 n.Chr.), Münzstätte Siscia-Sisak, 364–367 n.Chr. (Abb. c).

Das archäozoologische Tierspektrum und die Verteilung spezifischer Schlachtalter weisen auf nicht alltäglichen Fleischkonsum hin. Neben einer Selektion bestimmter Haustiere kontrastiert vor allem der hohe Anteil an sehr jungen Milchferkeln (Abb. d: d1 und d2 Femora von sehr jungen Saugferkeln, wobei d2 eine Schnittspur aufweist und mittig durchgehackt ist, d3 und d4 sind Schienbeine Gleichaltriger und d3 hat distal 2 Schnittspuren) mit Funden provinzialrömischer Siedlungen. Die kontextuelle Betrachtung von Kleinfunden (inklusive Keramik) und Tierknochen legt die Vermutung nahe, dass es sich bei dem archäologischen Befund auf der Gradišče um einen Kultplatz mitsamt den Überresten des im Zuge kultischer Feiern und Mahlzeiten geübten Konsumverhaltens handeln dürfte. Die Frage, welche Gottheit hier verehrt wurde, lässt sich auf Basis der vorliegenden Quellen derzeit nicht eindeutig beantworten. Ein Kultbild oder Weihaltäre wurden im Bereich des Felsversturzes nicht aufgefunden. Der Vergleich mit ähnlichen provinzialrömischen Fundplätzen (in Kärnten z. B. Bach bei St. Urban), für die näher zu identifizierende Bild- und/oder Schriftquellen überliefert sind, zeigt schließlich, dass der Kultplatz auf der Gradišče durchaus mit dem Mithraskult in Zusammenhang gebracht werden kann. Insofern könnte der archäologische Befund auf der Gradišče einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis dieses Kults im Süden Norikums leisten. Der Forschungsstand beruht hier vor allem auf der Auswertung der einschlägigen, besonders aus dem städtischen Bereich von Virunum stammenden, epigrafischen Zeugnisse (EDH HD051713, lupa.at/5759. 5824) und Reliefbilder (lupa.at/5859–5861). Die Überreste materieller Kultur vom Heiligtum auf der Gradišče erlauben es uns nun erstmals detailliertere Vorstellungen vom gemeinsamen Mahl als identitätsstiftendem Element einer kleinen ruralen Kultgemeinschaft im südlichen Noricum zu entwickeln.

© Christoph Hinker, Alfred Galik, Kathrin Siegl
e-mail: christoph.hinker@oeai.at, alfred.galik@oeai.at, kathrin.siegl@oeaw.ac.at

This article should be cited like this: Ch. Hinker – A. Galik – K. Siegl, Ein provinzialrömischer Kultplatz auf der Gradišče bei St. Egyden (Kärnten, AT), Forum Archaeologiae 94/III/2020 (http://farch.net).



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