Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 90 / III / 2019

ZUR NEUDEFINITION DER ‚GALATISCHEN KERAMIK’ ALS ‚HELLENISTIC CENTRAL ANATOLIAN BANDED WARE’ IM RAHMEN DES LEVANTINE CERAMICS PROJECT

Während des von der Universität Klagenfurt in Kooperation mit der Universität Graz durchgeführten Tavium/Tawinija International Research Project in den Jahren 1997–2009 kam bei den Begehungen des antiken Siedlungsareals eine Keramikware zutage, die hier kurz besprochen werden soll [1].
Die antike Stadt Tavium liegt am östlichen Rand des Halys-Bogens, dem heutigen Kızılırmak, in einer Entfernung von nur 20km Luftlinie zu Hattuša. Das Siedlungsgebiet erstreckt sich über eine Fläche von ca. 150ha.
Im Rahmen der Begehungen [2] des antiken Stadtgebietes von Tavium kam eine repräsentative Menge an Keramik zutage. Die Analyse dieser Survey-Keramik zeigt eine Platzkontinuität vom Chalkolithikum bis in die Spätantike und byzantinische Zeit [3]. Im Hellenismus war Tavium einer der drei Zentralorte des keltischen Stammes der Trokmer und in weiterer Folge war es Teil des Königreichs des Amyntas, das 25/24 v.Chr. von Rom annektiert wurde. In diese Zeit gehört die Keramikware, die hier kurz besprochen wird.

Insgesamt wurden im Zuge der Begehungen in Tavium 185 Fragmente (Abb. 1-3) einer bemalten Keramikgattung gefunden, die als ‚Galatische Ware' bezeichnet wird. Die Ware ist sehr charakteristisch, homogen und anhand der weißen Bemalung mit roten, braunen oder schwarzen Bändern auch leicht zu erkennen. Der Ton ist sandig und ohne Einschlüsse, die Farbe des Tons ist meist hellrötlich bis gelb, die Oberfläche ist poliert und ist vergleichbar mit der glasierten Keramik, das Fabric ist hart und sehr regelmäßig. Auch die Dekoration zeigt eine hohe Qualität und besteht hauptsächlich aus horizontalen bemalten Bändern in Rot, Braun, Schwarz. Bemerkenswert ist die weiße Farbe, die meistens als Untergrund für die Bemalung aufgetragen wurde.
1907 definierte Robert Zahn eine Gruppe von Keramik als so genannte ‚Galatische Keramik‘ [4]. Er bezog diese Keramik auf den keltischen Stamm der Trokmer und darüber hinaus wollte er eine Verwandtschaft zur Latène-Ware der Donauregion herstellen. Diese Theorie wurde 1963 von Ferdinand Maier [5] angezweifelt, der die ‚Galatische Keramik‘ von Boğazköy bearbeitete. Er sah eher eine Verbindung zur sogenannten ‚Late-Phrygian Ware‘ aus der späteren Eisenzeit als auch der ostmediterran-pontischen Ware. Maier erkannte, dass die ‚Galatische Keramik‘ der Gruppe der hellenistischen Keramik vom westlichen und südlichen Kleinasien zuzurechnen ist. Allerdings möchte Ferdinand Maier das Vorkommen der ‚Galatischen Ware‘ ausschließlich auf die Halys-Region in Zentralanatolien beschränken und bezeichnete Tavium und Boğazköy als Hauptproduktionsorte dieser Ware. Er schloss infolgedessen daraus, dass die ‚Galatische Ware‘ ein lokal begrenztes Phänomen darstellt. Neuere Untersuchungen von Mehmet und Nesrin Özsait [6] und Levent Zoroğlu [7] zeigen aber ein größeres Verbreitungsgebiet für diese Ware über den Wirkungsbereich der Trokmer hinaus. Sie schlagen auch einen neuen Terminus für die ‚Galatische Ware‘ vor "ceramique du bassin du Kizilirmak" oder "ceramique hellenistique polychrome dite de type galate". Während Robert Zahn und Ferdinand Maier das Verbreitungsgebiet der ‚galatischen Ware‘ ausschließlich auf das östliche Halysgebiet bzw. dem Wirkungsbereich der Trokmer begrenzten, definierte Zoroğlu [8] drei Regionen: die pontische Region zwischen Amisos und Amaseia, die Halys-Region zwischen Boğazköy und Tavium und in Kappadokien.
Verglichen mit hellenistischer Keramik aus bekannten Orten wie z.B. Pergamon, Ephesos, Tarsus oder Antiochia ist das Formenrepertoire der ‚Galatischen Ware‘ nicht sehr vielfältig. Es dominieren Schälchen, Schüsseln und Teller, an geschlossenen Formen treten vereinzelt Krüge, Kannen, Amphoren und Kratere auf, auf denen sich die Dekoration nicht nur auf umlaufende Bänder beschränkte, sondern auch florale oder geometrische Dekorelemente umfasste.
Versuchen wir die Ware mit den bekannten ostmediterran-hellenistischen Produktionen zu vergleichen, ist folgendes Charakteristisch: es ist eine dünnwandige Ware, die die Tradition der schwarz und rot überzogenen Ware fortführt. Außerdem hat die Bemalung auf einer geglätteten Oberfläche mit drei Farben für die Gegend um Tavium eine längere Tradition, da die sogenannte ‚Phrygische Ware‘ bereits eine hohe Qualität aufweist und ebenfalls eine charakteristische weiße Bemalung zeigt.
Eine chronologische Einordnung der ‚Galatischen Ware‘ ist schwierig, da die meisten Gefäße aus Museumsbeständen von Boğazköy und Ankara stammen. Nach dem derzeitigen Forschungsstand sind bislang keine stratifizierten Befunde für eine typochronologische Einordnung dieser Ware bekannt.
Das Surveymaterial aus Tavium lässt sich anhand der rot überzogenen Ware chronologisch einordnen. Sie kommt auch gemeinsam mit einer anderen Gruppe von Feinware vor, die an der Außenseite geglättet ist und eine charakteristische rötlich-braune Farbe aufweist sowie hellenistischen Reliefbechern und schwarz bis braun überzogenen Schalen mit eingezogenem Rand und konischer Form. Man kann einen groben Rahmen vom 3. bis zum 1.Jh. v.Chr. spannen, wobei durch das gemeinsame Auftreten mit den hellenistischen Reliefbechern und den Schalen mit eingezogenem Rand sowie dem Fehlen rot überzogener Ware – wie sie aus der römischen Kaiserzeit bekannt und weit verbreitet ist – eine Datierung zwischen dem 2. und dem 1.Jh. v.Chr. vorzuziehen ist. Ab dem 1.Jh. n.Chr. kann auch für Tavium eine massive Zunahme von rot überzogener Ware festgestellt werden.
Die in Tavium und Boğazköy gefundene Ware wurde als ‚Galatische Ware‘ bezeichnet, da sie dem keltischen Stamm der Trokmer zugeschrieben wurde. Nachdem die Ware aber ein größeres Verbreitungsgebiet umfasst, das über den Wirkungsbereich der Trokmer hinausgeht, ist der Terminus ‚Galatische Ware‘ nicht mehr wirklich zutreffend.

Hier setzt ein Projekt an – das Levantine Ceramics Project (www.levantineceramics.org) , das an der Boston Universität angesiedelt ist. Dahinter steht aber eine internationale Interessensgemeinschaft, die ein Datenrepositorium für Keramikwaren des östlichen Mittelmeerraums schaffen möchte. Zum Ziel hat die Initiative vor allem, verschiedene lokale Keramikproduktionen im gesamten Mittelmeerraum in digitaler Form einem wissenschaftlichen Publikum bekannt zu machen [9].
Im Rahmen dieses Projekts wurde im Mai 2018 in Izmir ein Workshop initiiert, wo ich die Gelegenheit hatte, die sogenannte ‚Galatische Ware‘ vorzustellen. Bei diesem Workshop wurde auch eine Ähnlichkeit mit einer Warengruppe evident, die als ‚West Anatolian Banded Ware‘ bezeichnet wird und hauptsächlich im Bereich von Gordion auftritt und in die mittlere hellenistische Periode datiert wird [10]. Die Ähnlichkeiten betreffen hauptsächlich die Formen – Schälchen – und die Streifenbemalung. In Anlehnung an diese Ware wurde für die ‚Galatische Ware‘ der Terminus ‚Hellenistic Central Anatolian Banded Ware‘ (=HCABW) übernommen und mit einem Eintrag in die LCP-Datenbank versehen (https://www.levantineceramics.org/wares/hellenistic-central-anatolian-banded-ware).
Das Ziel der LCP-Datenbank ist es, ein illustriertes Warenlexikon von verwandten Keramikgruppen der archaischen, achämenidischen, hellenistischen und römischen Zeit des Mittelmeergebiets zu erstellen. Das LCP-Datenrepositorium mit open access-Hintergrund versteht sich als Zusammenschluss von Archäologinnen und Archäologen, die im gesamten Mittelmeerbereich an Keramik vom Neolithikum bis in die ottomanische Zeit arbeiten. Wie ich an der ‚Galatischen Keramik‘ zeigen konnte, gibt es sehr oft veraltete und überholte Termini für Warengruppen. Das Ziel der LCP-Datenbank ist eine gemeinsame Ansprache und Definition von Waren und Warengruppen zu erlangen. Man findet sowohl Informationen über bereits vor langer Zeit publizierte als auch neu entdeckte Warengruppen, Formen, spezifische Gefäße, Analysen, Töpferorte und die Datierung bzw. chronologische Einordnung. Der Zugang zur Datenbank ist einfach, die Anwendung und Auseinandersetzung mit den Datensätzen fördert die Vernetzung von Wissenschaftlern. Für die Eingabe in die LCP-Datenbank ist die Optimierung der Datenqualität basierend auf den unterschiedlichen Rohdaten wichtig. Um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten müssen die Terminologie und der Beschreibungsmodus vereinheitlicht werden. Wichtig für die Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit der Daten ist dabei auch die gemeinsame Ansprache in Englisch.
Aktuell verzeichnet die LCP-Datenbank an die 400 Warengruppen unterschiedlicher Zeitstellung aus ca. 550 verschiedenen Fundorten, womit eine hervorragende Basis geschaffen ist. Dank der Gastfreundschaft von Gül Gurtekin-Demir, Hüseyin Cevizoğlu und Yasemin Polat vom archäologischen Institut der Ege Universität Izmir ist ein weiterer LCP-Workshop (Türkei) im Mai 2020 geplant.

Literatur
Gerber 2003
Ch. Gerber, Die Keramikgruppen von Tavium/Büyüknefes, Anatolia Antiqua 119, 2003, 223–251
Maier 1963
F. Maier, Bemerkungen zur sogenannten galatischen Keramik von Boğazköy, JdI 78, 1963, 218–255
Özsait – Özsait 2003
M. Özsait – N. Özsait, La ceramique dite „Galate“ du bassin du Kızılırmak, Anatolia Antiqua XI11, 2003, 323–342
Strobel – Gerber 2000
K. Strobel – Ch. Gerber, Tavium (Büyüknefes, Provinz Yozgat) – Ein regionales Zentrum Anatoliens. Bericht über den Stand der Forschungen nach den ersten drei Kampagnen (1997–1999), IstMitt 50, 2000, 215–265
Strobel – Gerber 2003
K. Strobel – Ch. Gerber, Tavium (Büyüknefes, Provinz Yozgat) – Bericht über die Kampagnen 2000–2002, IstMitt 53, 2003, 131–195
Strobel – Gerber 2007
K. Strobel – Ch. Gerber, Tavium (Büyüknefes, Provinz Yozgat) – Bericht über die Kampagnen 2003–2005, IstMitt 57, 2007, 547–621
Strobel – Gerber 2010
K. Strobel – Ch. Gerber, Tavium (Büyüknefes, Provinz Yozgat) und seine Region. Bericht über die Kampagnen 2006–2009, IstMitt 60, 2010, 291–338
Weber-Hiden 2003
I. Weber-Hiden, Keramik aus hellenistischer bis frühbyzantinischer Zeit aus Tavium/Büyüknefes: Bemerkungen und Übersicht über das Begehungsmaterial der Kampagnen 1998–2000 aus drei ausgewählten Bereichen des Stadtgebiets, Anatolia Antiqua 119, 2003, 253–322
Zahn 1907
R. Zahn, Summary and Discussion of ‚Galatian Ware‘ in the Proceedings of the February-Meeting of the Archaeological Society in Berlin in February 1907, AA 1907, 1907, 225–234
Zoroğlu 2011
K.L. Zoroğlu, Hellenistic Painted Pottery from the Central Part of Asia Minor: Kızılırmak Basin Ware, in: Αθήνα: Ταμείο Αρχαιολογικών Πόρων και Απαλλοτριώσεων, 2011, Ζ’ Επιστημονική Συνάντηση για την ελληνιστική κεραμική: Αιγίο, 4-9 Απριλίου 2005: πρακτικά / [επιστημονική επιτροπή: Στέλλα Δρούγου [et al.]] (Athen 2011) 515–524

[1] Zentralanatolien, wo die Verf. an drei Kampagnen teilgenommen hat und in einer abschließenden Kampagne im Jahr 2011 im Museum von Yozgat die gesamte Surveykeramik aufnehmen konnte.
[2] Ergebnisse der Begehungen: Strobel – Gerber 2000; Strobel – Gerber 2003; Strobel – Gerber 2007; Strobel – Gerber 2010.
[3] Gerber 2003, 225–241; Weber-Hiden 2003, 253–322.
[4] Zahn 1907, 225.
[5] Maier 1963.
[6] Özsait – Özsait 2003.
[7] Zoroğlu 2011.
[8] Zoroğlu 2011.
[9] Im letzten Jahr fand in Izmir ein Workshop statt, an dem ich teilnehmen konnte und die sogenannte ‚Galatische Ware‘ vorstellen durfte: Joint Workshop of Keramos and the Levantine Ceramics Project. Ceramic Wares of Turkey from the Archaic to the Roman Eras (7th c. BCE – 6 th c. CE.), Ege University, Izmir Thursday – Friday, May 17th-18th, 2018. ‘Keramos’ ist eine Initiative von Forscherinnen und Forschern rund um Gül Gürtekin Demir, Yasemin Polat und Hüseyin Cevizoğlu von der Ege Üniversitesi sowie Andrea M. Berlin von der Boston University, die sich zum Ziel macht, Keramik aus Kleinsasien und ihr strukturelles Umfeld in Form von Tagungen und Workshops zu präsentieren.
[10] https://www.levantineceramics.org/search?utf8=%E2%9C%93&query=West+Anatolian&type=ware (17.02.2019).

© Ute Lohner-Urban
e-mail: ute.lohner@uni-graz.at

This article should be cited like this: U. Lohner-Urban, Zur Neudefinition der ‚Galatischen Keramik’ als ‚Hellenistic Central Anatolian Banded Ware’ im Rahmen des Levantine Ceramics Project, Forum Archaeologiae 90/III/2019 (http://farch.net).



HOME