Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 86 / III / 2018

DER DOMPLATZ IN ST. PÖLTEN – EINE ZEITREISE DURCH DIE JAHRHUNDERTE

Die für die geplante Neugestaltung des zweitgrößten Platzes der niederösterreichischen Landeshauptstadt notwendigen Baumaßnahmen wie Schaffung eines stabilen Unterbaus für die neue Oberfläche und die Sanierung bzw. Neuverlegung von Leitungen initiierten eine im Denkmalschutzgesetz begründete archäologische Untersuchung des gesamten Platzes, die, um seine Nutzung nicht allzu sehr zu beeinträchtigen, seit 2010 abschnittsweise erfolgt (Abb.). Die Grabungen auf dem Domplatz brachten in den letzten Jahren bedeutende Befunde zum Vorschein, die mit zu den spektakulärsten der letzten Jahre in Österreich zu zählen sind.
Der heutige Platz liegt innerhalb des ehemals verbauten Areals des municipium Aelium Cetium. Zwei innerstädtische Straßenzüge sowie zahlreiche Baubefunde können in das 2. und 3. Jahrhundert datiert werden. Im nördlichen Teil des Platzes wurde der Südostbereich eines großen Gebäudes, bestehend aus Sockelmauern und Fachwerkbau im Aufgehenden, freigelegt, das im Süden von einer Portikus begleitet wurde. Südlich des angrenzenden Straßenzuges hingegen konnte partiell die Oberfläche von großen, mehrräumig mit Fußbodenheizungen, Innenhöfen und Kanalisation ausgestatteten Steingebäuden dokumentiert werden, die als vornehme Stadthäuser interpretiert werden können.


Nach einer peripheren Nachnutzung wurde das Gelände im Bereich des erwähnten Fachwerkbaus einplaniert und darüber in der Spätantike ein in Grundriss und Funktion völlig anderer mehrteiliger Gebäudekomplex errichtet, bestehend aus einem frei stehenden Badehaus mit ungewöhnlich gestaltetem Grundriss und einem nur angeschnittenen Wohn- bzw. Verwaltungstrakt, von dem zumindest die Aula, ein großer, Repräsentationszwecken dienender Raum mit Apsis im Norden, freigelegt werden konnte. Die Anlage, die sogar einen ehemaligen innerstädtischen Straßenzug überbaut, kann im weitesten Sinn als Verwaltungspalast eines ranghohen Beamten interpretiert werden. Die architektonischen Elemente wie Rundräume, Aula und die Verwendung von Spolien datieren den Komplex auf alle Fälle in die Spätantike.
Im 9. Jahrhundert wurde das römische Badegebäude adaptiert und eine Rundkirche unter Verwendung der römischen Mauern errichtet. Zeitgleich wurde auch der Friedhof angelegt, wie C14-Untersuchungen der Skelette eindeutig nachgewiesen haben. Diese Rundkirche wurde um 1100 durch einen Neubau ersetzt, der sukzessive erweitert wurde. Frühestens um 1360 schließlich errichtete man dann die dreischiffige gotische Kirche, die mit geringen Umbauten bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts Bestand hatte. Dem nach dem Stadtbrand von 1620 folgenden Neubau des Klosters fielen die Chorbereiche zum Opfer. 1690 wurde schließlich auch der Rest abgetragen.
Um 1100, spätestens aber bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts wurde südlich eine weitere mittelalterliche Rundkapelle errichtet, ein zweigeschoßiger Bau mit einer kleinen Rundapsis im Osten. Das Untergeschoß diente als Karner, im Obergeschoß lag der Kapellenraum. Nach dem Umbau im Spätmittelalter wurde diese Kapelle massiv umgebaut und der Karner aufgegeben.
Im Osten des Platzes wurden noch Teile des Westflügels des ehemaligen Klosters festgestellt. Außerdem legten die Grabungen bis Ende 2017 mehr als 16.500 Bestattungen des ehemaligen Stadtfriedhofes frei, der ab dem 9. Jahrhundert bis 1779 belegt worden war. Sämtliche aus den Gräbern geborgenen menschlichen Überreste werden einer anthropologischen Untersuchung zugeführt, die Rückschlüsse auf die damaligen Lebensumstände und Lebensweisen zulässt, sehr viele Hinweise auf den Gesundheitszustand im mittelalterlichen St. Pölten gibt und bei einzelnen Individuen auch deren persönliches Leid nachvollziehbar macht.
Nachdem der Friedhof 1779 aufgegeben worden war, wurde 1786 die Rundkapelle abgetragen und im 19. Jahrhundert durch Abtragen des Friedhofshügels das heutige Platzniveau geschaffen.

© Ronald Risy
e-mail: Ronald.Risy@st-poelten.gv.at

This article should be cited like this: R. Risy, Der Domplatz von St. Pölten – Eine Zeitreise durch die Jahrhunderte, Forum Archaeologiae 86/III/2018 (http://farch.net).



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