Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 86 / III / 2018

DIE DARSTELLUNG DER ASYLIE BEI KINDERN, ALTEN UND FRAUEN IN DER ATHENISCHEN KUNST AUS DEM 6. UND 5. JAHRHUNDERT V.CHR.

In diesem Vortrag werden Monumente der drei Themenkreise Kinder, Frauen und Alte vorgestellt. Es scheint, als ob es also in allen Fällen um die Frage der Asylie gehandelt hätte. Obwohl das Phänomen auch mit irgendeinem zeitgenössischen historischen Ereignis in Zusammenhang gestanden haben könnte, das auch die Asylie beinhaltete, wurde von diesem Gesichtspunkt her die Darstellungen in den früheren Forschungen bisher nie diskutiert.
Die Hauptpunkte der Ikonographien der drei Themen. Jedes dieser drei wurden in der im 2000 publizierten Monographie von Meret Mangold ausführlich behandelt.
(1) Die Bedrohung der Kassandra durch Aias
In der typischen Komposition der schwarzfigurigen Vasenbeispiele wurde das Thema als eine Auseinandersetzung zwischen Aias und der Athenastatue dargestellt. Der sich frevelnde Aias wurde nämlich betont dargestellt. In der rotfigurigen Vasenmalerei wurde die Athenastatue kleiner, dafür wurde Kassandra größer (Abb.).


(2) Die Ermordung Priamos und Astyanax durch Neoptolemos
In der Vasenmalerei wurde die Ermordung des Enkels, Astyanax, in derselben Szene hinzugefügt. Die Komposition, in der Neoptolemos die beiden gleichzeitig tötet, scheint von dem Vasenmaler, Lydos, ca. 560 v.Chr. erfunden worden zu sein.
(3) Die Ermordung des Troilos durch Achilleus
In den visuellen Darstellungen wurde die Tötung des Prinzen in drei Bildtypen dargestellt: Entweder wirft Achilleus das Kind gegen den Altar, oder er wirft den abgeschnittenen Kopf des Knaben gegen die Trojaner, oder er schlachtet den Prinz über dem Altar mit dem Schwert ab.
In den Darstellungen wurden Kassandra und Priamos häufig mit einem charakteristischen Gestus dargestellt: Sie strecken eine Hand mit dem Handteller nach oben aufwärts zum Angreifer. Die Geste stammt von einem religiösen Ritual, das als hiketeia, Bittflehen, bezeichnet wird. Durch diese symbolische Handlung hat sich der Bittflehende dem Zugriff virtueller Mächte, der Macht der Götter, übergeben.
Warum hat sich in dieser Zeit das allgemeine Interesse auf die Frage der Asylie, und zwar die der Nichtkombattanten, gezogen? Die drei Themen scheinen einen gewissen Kontakt mit der Realität gehabt zu haben. Es geht um den Aufstand des Kylon. Zwar geschah das Ereignis im 7. Jahrhundert v.Chr., aber es soll am Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr. beim politischen Kampf von Kleisthenes eine heftige Diskussion hervorgerufen haben. Nachdem Kleisthenes die demokratische Reform 508/7 durchgesetzt hatte, kam der spartanische König Kleomenes I. nach Athen und hat interveniert. Kleisthenes und die 700 Familien wurden wegen der “Befleckung” aus Athen ausgeschlossen.
Der Vortragende nimmt keine einfache politische Interpretation dieser Themen an. Sie scheinen vielmehr wegen ihrer mitfühlenden, dichterischen, tragischen Erzählfreude beliebt gewesen sein. Wichtig wäre aber die Feststellung, dass die Darstellung doch auch mit der Realität fest verbunden war: Die Geschichte der „Befleckung” und der ursächlichen Frevel der Asylie haben im 6. Jahrhundert v.Chr. zu einem Bürgerkrieg in Athen geführt. Die Erzählung des Frevels gehörte also zu den aktuellsten Fragen, und alle Athener, die die Vasenkunst gesehen haben, müssen sich an die wirklichen Ereignisse erinnert haben. Die Darstellungen der Vasenmalerei wurden in der Zeit also nicht nur als Ausdruck einer romantischen, gefühlsvollen einfachen Kunstform gewählt, sondern sollten auch zur Diskussion anregen und mit den schicksalsschweren Ereignissen verbinden.

© Toshihiro Osada
e-mail: toshihiro.osada@gmail.com

This article should be cited like this: T. Osada, Die Darstellung der Asylie bei Kindern, Alten und Frauen in der athenischen Kunst aus dem 6. und 5. Jahrhundert v.Chr., Forum Archaeologiae 86/III/2018 (http://farch.net).



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