Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 86 / III / 2018

BOGENARCHITEKTUR ALS INTENDIERTER ‚EYECATCHER' IM STADTBILD VON SIDE (TÜRKEI)

Versucht man die Bedeutung der römischen Architektur aus ihrer zeitgenössischen Wahrnehmung heraus zu interpretieren, so sind es die Ingenieurswerke, im weitesten Sinne „Nutzbauten“ wie Kanäle, Aquädukte, Brücken und Substruktionen, die Beachtung erfuhren, da sich ihre Bedeutung sehr oft nicht auf ihre Funktion als Nutzbauten beschränkte, und in vielen Fällen eine einfachere architektonische Umsetzung möglich gewesen wäre. Gemeinsam haben sie die Ausführung in Form von Bogenreihen und Gewölbekonstruktionen. Diese bewusste Inszenierung von Bogenarchitektur wird bereits im spätrepublikanischen Stadtbild von Rom sichtbar. Konsequent wurde die Bogenreihe am Tabularium in Rom umgesetzt, wo erstmals das wiederkehrende Bogenmotiv als Fassadenelement in eine übergeordnete Planung eingesetzt ist, indem es auf die Achse des Forum Romanum ausgerichtet ist und nicht auf die Innenräume Bezug nimmt. Zu nennen sind auch das Heiligtum der Fortuna Primigenia in Praeneste sowie einige Villenanlagen von republikanischen Beamten und Konsuln in und um Tivoli, für deren bauliche Umsetzung umfassende Terrassierungsmaßnahmen notwendig waren. Die erforderlichen Substruktionen waren in Form von Bogenreihen gestaltet, wodurch eine entsprechende Fernwirkung bzw. visuelle Wirkung erzielt werden konnte.
Seit 2011 führt das Institut für Archäologie der Universität Graz archäologische Untersuchungen am Osttor und der Stadtmauer von Side durch. Das Osttor wurde 1966 von A.M. Mansel ausgegraben und wird bis in die neueste Literatur als Beispiel für mittel- bis späthellenistische Bogenarchitektur herangezogen. Mehrere Ausgrabungskampagnen am Osttor widerlegen eine hellenistische Datierung und belegen vielmehr einen Baubeginn ab frühestens der 2. Hälfte des 1.Jhs. v.Chr. Die Fassade des sichtbaren Baus zeigt Ähnlichkeiten mit spätrepublikanischen Torbauten in Italien (z.B. Porta Consularis in Spello, Porta Praetoria in Aosta) und in Südfrankreich (z.B. Porta Augusta in Nimes).


Nach literarischer Überlieferung war Side bereits in hellenistischer Zeit zu einer kleinasiatischen Metropole aufgestiegen. Aktuelle archäologische Befunde zeigen, dass sich die klassisch-hellenistische Stadt auf die felsige Halbinsel beschränkte und es sich eher um ein bescheidenes Hafenstädtchen handelte. Ein Ausbau der Stadt erfolgte zögerlich ab dem späten 1.Jh. v.Chr. und setzte massiv ab flavischer Zeit ein. Dabei ist der Einsatz von Bögen und Bogenreihen bemerkenswert. Die Bogenarchitektur beginnt mit dem Bogentor und dem freistehenden Theater, das ähnlich dem Pompeius- und Marcellustheater in Rom zweistöckige Bogenreihen aufweist, genau dort, wo sich die neue Stadt zu entwickeln begann. Folgt man der Hauptstraße so trifft man wenig östlich des Haupttores, dessen ovaler Hof ebenfalls mit einer zweistöckigen Bogenarchitektur ausgestattet ist, auf einen Abschnitt der Landmauer, der sehr eindrucksvoll mit einer Bogenreihe gestaltet ist, die als Substruktion für den darüber laufenden Wehrgang diente (Abb.). Einen fortifikatorischen Aspekt kann man der Mauer insgesamt absprechen, die Bogenreihe setzt stark auf die visuelle Wirkung für den Betrachter. Auch das doppelte Gurtgesims an der Feldseite der Landmauer und an der Fassade des Osttores findet seine Entsprechung in der römischen Architektur. Bei den Aquädukten markieren Gurtgesimse oft den Übergang vom Bogen zum Kanal.
Diese Bauwerke zeigen deutlich den Willen, eine Stadt nach römischer Prägung zu gestalten, was vor allem durch das Bogenmotiv, das an wichtigen Stellen bewusst als ‚Eyecatcher' eingesetzt wird, gelingt.

© Ute Lohner-Urban
e-mail: ute.lohner@uni-graz.at

This article should be cited like this: U. Lohner-Urban, Bogenarchitektur als intendierter ‚Eyecatcher‘ im Stadtbild von Side (Türkei), Forum Archaeologiae 86/III/2018 (http://farch.net).



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