Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 86 / III / 2018

ÜBERLEGUNGEN ZUR ÜBERKLEIDUNG FRÜHGRIECHISCHER FRAUEN

Die ältesten Darstellungen der griechischen Frühzeit, die detailliertere Aussagen über die Bekleidung der Frauen erlauben, sind uns vor allem aus Kreta ab der Mitte des 9.Jh. v.Chr. erhalten. Im 8. und besonders im 7.Jh. v.Chr. wird das Material reicher und aussagekräftiger und stammt aus sämtlichen Regionen griechischen Kunstschaffens.
Während anfangs über dem langen, engen Gewand (heanos?) kein weiteres Kleidungsstück getragen wurde, ist im Laufe der Jahrhunderte eine Vermehrung der Gewandteile als Ausdruck von Wohlstand und Status zu beobachten.

Das zweite Gewandstück
In der kretischen Kunst ist schon im ausgehenden 9.Jh. v.Chr. der Cape-artige Schulterumhang belegt, den die Forschung meist als epiblema bezeichnet. Er ist damit die älteste Form eines zusätzlichen Gewandes der frühgriechischen Frauenkleidung und bleibt durchgehend bis ca. 600 v.Chr. in Gebrauch.
In Attika und auf den Kykladen komplettierte der aus der Männermode übernommene jüngere Rechteckmantel ab dem frühen 7.Jh. v.Chr. die Frauengarderobe. Variantenreich wurde das zusätzliche Kleidungsstück um den Körper drapiert, dessen Wiedergabe in der Vasenmalerei vor allem durch die Polychromie möglich wurde, denn diagonal unterteilte Farbflächen der Gewänder meinen ein Himation über dem Kleid. Die Frauenkleidung Ioniens bevorzugte ab dem späten 7.Jh.v.Chr. den Kopfschleier mit mindestens einem am Gürtel befestigten Ende. Seine Vorbilder sind in der späthethitischen Kunst zu suchen. Während der Mantel für Frauen nicht üblich ist, gehört der Kopfschleier fix zur Tracht, ist stets über eine flache Kappe oder einen höheren Polos gelegt und dort fixiert.
Griechische Darstellungen des 6.Jhs. v.Chr. geben eine Fülle von zusätzlichen Kleidungsstücken wieder, die nicht immer einfach zu erklären sind, sich aber offenbar regional aus verschiedenen Vorformen entwickelten hatten und kreativ rezipiert wurden, wie das symmetrische Schultermäntelchen, das rechteckige oder gerundete, seitlich geschlossene Cape oder neue, gegürtete Tragevarianten des langen Himations.

Das dritte Gewandstück
Die purpurroten und schwarzen Farbbereiche der sog. Melischen Vasen (ab der Mitte des 7.Jhs. v.Chr.) über gemustertem Untergewand erlauben nach experimentellen Analysen die mögliche Interpretation von zwei gleichzeitig getragenen Mänteln, also erstmals drei Kleidungsstücken übereinander, wobei der untere diagonal um den Körper gewickelt scheint.
Im frühen 6.Jh. v.Chr. wird in Ionien (v.a. in Samos und Milet) ein drittes Element hinzugefügt: das ionische Schrägmäntelchen. Es bildet gemeinsam mit dem Untergewand, das nun ein an den Ärmeln geknöpfter Chiton ist, und dem anatolischen, am Gürtel befestigten Kopfschleier ein raffiniertes, neues Ensemble.
Bei der Übernahme der Schrägmanteltracht in Attika (2. Hälfte 6.Jh. v.Chr.) entfällt der Kopfschleier. Vor allem die Tracht der Akropoliskoren präsentiert sich in zahlreichen Varianten; in einigen Fällen ist ein zweiter, faltenreicher Mantel um die Schultern gelegt.


Das vierte Gewandstück
Von der Vielfalt archaischer Frauenbekleidung zeugt die offenbar vierteilige Gewandung der sog. Peploskore (Akropolismuseum 679), die über dem langen Untergewand einen engen ependytes, ein vorne offenes, langes, schmales Kleidungsstück sowie ein Cape mit rundem Saum trägt. Einige leider nur im unteren Teil erhaltenen Artefakte des 7.Jhs. v.Chr. könnten durch gewisse Ähnlichkeiten als Vorformen angesehen werden und so die singuläre Stellung der Kleidung der Kore 679 relativieren.
Gerade die geometrische und archaische Kunst bezaubert durch ihre regional individuelle Rezeption, Kombination und Weiterentwicklung von Bekleidungselementen und Tragevarianten, die in den Folgezeiten einer klassisch-schlichteren sowie konformeren, überregionalen Kleidung hellenistischer Prägung weichen.

© Isabella Benda-Weber
e-mail: isabella.benda-weber@oeai.at

This article should be cited like this: I. Benda-Weber, Überlegungen zur Überkleidung frühgriechischer Frauen, Forum Archaeologiae 86/III/2018 (http://farch.net).



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