Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 82 / III / 2017

STEINDENKMÄLER UND STEINGEWINNUNG IM RAUM CARNUNTUM – VINDOBONA
Workshop im Rahmen des Projektes CarVin (FWF P 26368-G21)
im Institut für Kulturgeschichte der Antike (IKAnt) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
12. Jänner 2017

Das seit März 2014 am Institut für Kulturgeschichte der Antike (IKAnt) laufende archäologisch-geologische Kooperationsprojekt CarVin hat die Untersuchung des in der Antike verwendeten Steinmaterials im Raum Carnuntum und Vindobona zum Ziel [1]. An den beiden Legionsstandorten am Donaulimes und in ihrem Hinterland wurde für Grab- und Weihedenkmäler, Statuen und Inschriften, aber auch als Baumaterial vorwiegend Gestein lokaler und regionaler Herkunft verwendet [2]. Die interdisziplinäre Analyse von mehreren hundert Steindenkmälern und der Vergleich mit Gesteinsproben aus regionalen Abbaugebieten ergibt, dass im Raum Carnuntum in erster Linie Material aus den Hainburger Bergen und dem Leithagebirge, in Vindobona hingegen aus dem Leithagebirge und vom Westrand des Wiener Beckens vorkommt. Dabei zeigen sich signifikante Unterschiede je nach Verwendung der Werksteine für bildhauerische bzw. bautechnische Zwecke.
Die Zuordnung antiker Werksteine aus Carnuntum und Vindobona zu lokalen bzw. regionalen Abbaugebieten führt in einem zweiten Schritt zur Untersuchung dieser Abbaugebiete selbst und zur Frage nach eventuell erhalten gebliebenen antiken Abbaustellen. Das Projekt CarVin kann dabei auf umfangreiches Datenmaterial vergangener und aktuell laufender Projekte zurückgreifen, so etwa die ALS- und Fernerkundungsdaten der Länder Wien, Niederösterreich und Burgenland sowie der Universität Wien, die Fundstellendatenbank des Bundesdenkmalamtes und der Stadtarchäologie Wien, die Abbaudatenbank der Geologischen Bundesanstalt, die Probensammlungen und Befundungen der TU Wien, historisches Archiv- und Kartenmaterial und andere mehr.
Die Zusammenführung der Ergebnisse und die Auswertung durch Spezialistinnen und Spezialisten beider Fachgebiete eröffnet eine ganze Reihe von Auswertungsmöglichkeiten von kulturhistorischem Interesse. So werden etwa der Zusammenhang von militärischer Präsenz und Erschließung von Abbaugebieten, die Mechanismen und Chronologie dieser Erschließung, die spezifische Verwendung von Gesteinsmaterial mit bestimmten Eigenschaften, oder der Zusammenhang mit großen Bauprojekten im Untersuchungsgebiet hinterfragt. Aber auch die Fragen nach den Transportwegen, nach den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Legionsstandorten und ihrem jeweiligen Hinterland oder nach der Organisation der Werkstätten (Abb. 1) können untersucht werden.
Die Möglichkeiten der Abfragen und der kulturhistorischen Auswertung hängen zweifelsohne wesentlich von der Qualität und Tragfähigkeit der geologischen Zuordnungen ab. Aus vergangenen Projekten mit archäologisch-geologischer Fragestellung ist bekannt, dass lithologische Befundungen des sog. Leithakalks nicht immer zu den gewünschten eindeutigen Zuweisungen an kleinräumige Abbaugebiete führen. Nach Andreas Rohatsch ist die Variationsbreite dieser biogen gebildeten Kalksteine a priori aufgrund der unterschiedlichen Ablagerungsbedingungen, vor allem im Hinblick auf die Wassertiefe und die Morphologie der Küste (z.B. flacher Sandstrand oder felsige Steilküste) und dem damit verbundenen Energieniveau von Strömungen, Tidenhub und Wellenaktivität sehr groß. Zudem ist mit singulären Ereignissen, wie Sturmfluten oder erdbebeninduzierten Tsunamis zu rechnen, die ihre Spuren in den Sedimentgesteinen hinterlassen haben. Auch die im gesamten Raum der Paratethys nachgewiesenen Transgressions- und Regressionsphasen, also Meeresüberflutungsphasen und Meeresrückzugsphasen besitzen einen enormen Einfluss auf die Genesebedingungen. Diese Phasen der Meeresüberflutung und des Meeresrückzuges gehen Hand in Hand mit den tektonisch bedingten Senkungen und Hebungen des Untergrundes und den damit verbundenen eustatischen Meeresspiegelschwankungen einher. So existieren neben dickbankigen bis massigen Algenkalken mit riffähnlichen, gewachsenen Strukturen, über grobkörnige Schuttkalke mit zerbrochenen und abgerollten Algenskelettbruchstücken bis hin zu feinkörnigen Kalkareniten alle nur vorstellbaren Gesteinsausbildungen (Lithofazies), engräumig neben- und übereinander.

Das Anliegen des CarVin-Workshops am 12. Jänner 2017 war es daher, eine Diskussion der methodischen Grundlagen und eine erste Evaluierung der bereits erzielten Resultate herbeizuführen, um die finale Auswertung der Daten auf eine möglichst gesicherte Basis stellen zu können. Dazu wurden Spezialistinnen und Spezialisten beider Disziplinen mit profunden Kenntnissen der Untersuchungsregion an einem Tisch versammelt. Ebenso gaben wir der Kurzvorstellung verwandter Projekte Raum, um weitere Möglichkeiten der Vernetzung auszuloten. Internationale Experten benachbarter Regionen wurden schließlich um Stellungnahme gebeten und zum Vortrag über das eigene Forschungsgebiet geladen.


Am Beginn der von rund 45 Teilnehmern besuchten Veranstaltung standen die Begrüßung der Anwesenden durch den Institutsdirektor Andreas Pülz und die kurze Vorstellung des CarVin-Projektes sowie die Darstellung des aktuellen Forschungsstandes (Abb. 2) von Seiten der Archäologie (Gabrielle Kremer – IKAnt, Michaela Kronberger – Wien Museum, Martin Mosser – Stadtarchäologie Wien) und der Geologie (Andreas Rohatsch – TU Wien, Erich Draganits – Universität Wien). Während der archäologische Vortrag die Möglichkeiten der kulturhistorischen Auswertung anhand von Beispielen vor Augen führte, war der Beitrag von Andreas Rohatsch auf die Methodik der petrographischen Bestimmung fokussiert. Erich Draganits führte den Erkenntnisgewinn vor Augen, der sich aus der Auswertung von ALS-Daten und historischem Kartenmaterial für die Lokalisierung und Beurteilung von Abbaugebieten ergibt. Erste Stellungnahmen zur Methodik der Bestimmung von sog. Leithakalken und der Definition von Lithotypen wurden in der Diskussion unter anderem von Godfrid Wessely und Michael Götzinger abgegeben. Das von Andreas Rohatsch zur Diskussion gestellte Vorhandensein planktonischer Organismen als differenzialdiagnostisches Merkmal wurde positiv beurteilt und die Untersuchung von Foraminiferen angeregt. Bojan Djurić wies auf die Protokolle des Franziszeischen Katasters als möglichen Anhaltspunkt für die Datierung von Abbaugebieten und auf die Verbindung zwischen Steinbruchaktivitäten und Kalkherstellung hin.
Nach der Kaffeepause boten zwei weitere Kurzreferate Einblick in Projekte des Untersuchungsgebietes, die siedlungshistorische Auswertung von Fernerkundungsdaten (Michael Doneus und Benedikt Grammer – Universität Wien) einerseits und Fundstellenerfassung (René Ployer – Bundesdenkmalamt) andererseits betreffend. Für das CarVin-Projekt ist vor allem die Aussagekraft der vorhandenen Datenpools im Hinblick auf die Lokalisierung von Steinbrüchen und deren Zusammenhang mit Siedlungsaktivitäten im Untersuchungsraum von Interesse. Aus der Sicht des CarVin-Projektes ist es notwendig, die geologische Bestimmung und Zuweisung von Artefakten zu Steinbruchgebieten methodisch strikt zu trennen von der Beurteilung der archäologischen Zusammenhänge am jeweiligen Fundort, auch wenn die eindeutige Zuweisung zu kleinräumigen Steinbruchregionen nach geowissenschaftlichen Kriterien nicht möglich ist. Erst in einem zweiten Schritt kann die Interpretation dieser Zusammenhänge erfolgen und daraus eine Wahrscheinlichkeit der Zuweisung abgeleitet werden.
Den Abschluss des Vormittagsblocks bildete der Vortrag von Bojan Djurić zu den in der römischen Stadt Emona/Ljubljana verwendeten Gesteinsmaterialien. An diesem Beispiel konnte das gesamte Spektrum von lokalem, für bestimmte Bauzwecke verwendetem Gestein, über den für größere Bauvorhaben herangeschafften Aurisinakalk und den alpinen Marmor, bis hin zu den bunten, ausschließlich für dekorative Zwecke an Wandverkleidungen verwendeten Importmarmoren vorgeführt werden. Für das CarVin-Projekt wurde durch dieses Vergleichsbeispiel besonders deutlich, dass den großen Bauvorhaben im Untersuchungsgebiet ein noch größeres Augenmerk als bislang geschenkt werden muss.
Der Nachmittag war zur Gänze den geologischen Methoden und der Diskussion der noch offenen naturwissenschaftlichen Fragen gewidmet. Ein wertvolles Impulsreferat ist Mathias Harzhauser (Naturhistorisches Museum Wien) zu verdanken, der über „Klima und Ökosysteme des mittleren Miozäns“ berichtete und die Berücksichtigung paläoklimatologischer Untersuchungen in den Vordergrund stellte. Im Anschluss daran erläuterte Beatrix Moshammer (Geologische Bundesanstalt) die Anwendung der mobilen Röntgenfluoreszenzanalyse im Rahmen des CarVin-Projektes. In der anschließenden Diskussion wurde die Validität dieser Methode mehrfach betont, allerdings unter Berücksichtigung vielfältiger Faktoren (Mathias Harzhauser) und jedenfalls im Zusammenspiel mit anderen Methoden (Michael Götzinger, Andreas Rohatsch, Hannes Herdits, Godfried Wessely).
Den Abschluss der Präsentationen bildete die Vorstellung der für das CarVin-Projekt definierten Lithotypen und der entsprechenden Aufschlüsse im Untersuchungsgebiet durch Barbara Hodits (TU Wien). Eine Auswahl aus den im Rahmen des Projektes gewonnenen Steinproben bot die Möglichkeit, die Problematik an realen Beispielen zu diskutieren.
Am Ende der Veranstaltung stand eine lebendige Schlussdiskussion, bei der sich die Gelegenheit für abschließende Kommentare zu bereits mehrfach angerissenen Fragen und zu bewertenden Stellungnahmen der geladenen Spezialisten bot. Erneut wurde die große Bandbreite an Auswertungsmöglichkeiten auf der bereits geschaffenen Datengrundlage betont und für bestimmte Bereiche eine gezielte Vertiefung und Verfeinerung der Datenbasis angeregt (Bojan Djurić, Thomas Hufschmid, Michael Götzinger, Godfrid Wessely, Christian Gugl, Éva Faragó, Maria Heinrich). Das Ziel der Standortbestimmung war damit zur Zufriedenheit aller am CarVin-Projekt Beteiligten erreicht und eine Fülle an neuen Impulsen für den weiteren Verlauf des Forschungsprojektes gewonnen [3].

Abgerundet wurde der Tag durch den öffentlichen Abendvortrag zum Thema „Stone use and stone patterns between Emona and Felix Romuliana“ von Bojan Djurić, Universität Ljubljana, der im Rahmen der Vortragsreihe des IKAnt erstmals am neuen Standort in der Hollandstraße stattfand.
Gezeigt wurde, dass die Verwendung von Gesteinsmaterial an zwei funktional, geographisch und chronologisch völlig unterschiedlichen Standorten – der colonia Iulia Emona des frühen 1. Jahrhunderts (regio X) und des befestigten kaiserlichen Palastes des frühen 4. Jahrhunderts in Felix Romuliana (Dacia Ripensis) – dem gleichen Modell folgten. In beiden Fällen wurden lokale Steinbrüche zur Gewinnung von Baustoff und die nächstgelegenen Ressourcen sowohl für Architekturteile als auch für verschiedene Arten von Steindenkmälern genutzt. In Emona/Ljubljana wurden in der Frühzeit außerdem Aurisinakalkstein und alpiner Marmor für sepulkrale Denkmäler verwendet, später nur sporadisch sowohl für Architekturteile als auch für Grabmonumente. Marmor aus dem Mittelmeergebiet kommt in Emona ausschließlich bei Wandverkleidungsplatten vor.
In Felix Romuliana/Gamzigrad hingegen, einem kaiserlichen Bauprojekt, wurde weißer und bunter Marmor aus dem Mittelmeerraum sowohl für architektonische Elemente als auch für Verkleidungsplatten und Fußbodenbelag verwendet. Eine ähnlich ausgiebige, wenn nicht sogar noch umfangreichere Verwendung importierter Marmore ist nur für eine einzige pannonische Stadt bekannt, nämlich für die colonia Flavia Sirmium/Sremska Mitrovica (Pannonia inferior), in der sich ein kaiserlicher Palast befand. Für den alltäglichen Gebrauch wurde hier sowohl an Gebäuden als auch für Monumente Material aus den Steinbrüchen entlang der Drina (Dardagani, Ugljevik?, Region um Srebrenica), sowie in Form von Halbfertigprodukten aus den qualitätvollen Steinbrüchen von Budakalász (Travertin aus der Gegend von Aquincum/Budapest), Gummern und dem Pohorjegebirge (weißer Marmor) herbeigeschafft.
Ein Sonderfall ist in Bezug auf die Steinbeschaffung die Stadt colonia Aelia Mursa/Osijek (Pannonia inferior). Hier erfolgte die Versorgung an Steinmaterial ausschließlich über Importe aus weiter entfernten Quellen, nämlich in erster Linie aus Budakalász und ferner aus Gummern und Pohorje. Näher gelegene Steinbrüche wurden lediglich in der Frühzeit (1.Jh. n.Chr.) genutzt, mediterrane Marmore nur für Verkleidungselemente.
Bojan Djurić beendete seine Ausführungen mit der Feststellung, dass der Handel mit Stein in Pannonien wie im gesamten Römischen Reich fest in der lokalen und regionalen Wirtschaft verankert war. Er passte sich der spezifischen Nachfrage vor allem aus dem Bausektor an und wurde wesentlich durch die natürlichen Bedingungen und die Transportwege – vor allem die Flusswege – bestimmt. Qualitätvolleres Steinmaterial aus überregionalen Quellen kam aus zwei verschiedenen Regionen: aus den Travertinbrüchen von Budakalász nahe Aquincum/Budapest und aus den alpinen Marmorbrüchen von Gummern und Pohorje.

[1] G. Kremer, Zum Corpus Signorum Imperii Romani Carnuntum – Ergebnisse und Fragestellungen, in: G. Grabherr – B. Kainrath (Hrsg.), Akten 15. Österr. Archäologentages in Innsbruck 27. Februar–1. März 2014 (Innsbruck 2015) 129–139; M. Kronberger – M. Mosser – S. Insulander, Gesteinsbestimmung an Römersteinen aus Vindobona: Lösungsansätze, erste Ergebnisse und Perspektiven aus archäologischer Sicht, Akten der 3. Römersteintagung in Carnuntum, 2.–3. Oktober 2014 (Wien 2016) 87–99; G. Kremer – Isabella Kitz, Steindenkmäler und Steingewinnung. Neue interdisziplinäre Forschungen im Rahmen des CSIR Carnuntum, Akten der 3. Römersteintagung in Carnuntum, 2.–3. Oktober 2014 (Wien 2016) 71–86; A. Rohatsch – E. Draganits – M. Heinrich – B. Hodits – B. Moshammer, Steindenkmäler und Steingewinnung im Raum Carnuntum – Vindobona: Vorstellung des geologischen Teils eines interdisziplinären Projektes, Akten der 3. Römersteintagung in Carnuntum, 2.–3. Oktober 2014 (Wien 2016) 177–183; G. Kremer – I. Kitz – B. Moshammer – M. Heinrich – E. Draganits, Stone monuments from Carnuntum and surrounding areas (Austria) – Petrological characterization and quarry location in a historical context, ProceedingsASMOSIA, Split 2015 (in print); B. Hodits – M. Kronberger – S. Insulander – M. Mosser – A. Rohatsch, Stone objects from Vindobona (Austria) – Petrological characterization and provenance of local stone in a historico-economical setting, ProceedingsASMOSIA, Split 2015 (in print); I. Kitz – S. Insulander, Steindenkmäler und Steingewinnung im Raum Carnuntum – Vindobona. Ein Zwischenbericht, Akten des 16. ÖsterreichischenArchäologentages in Wien 2016 (in print).
[2] Zur Verwendung von Marmor siehe G. Kremer – Ch. Uhlir – M. Unterwurzacher, Kult- und Weihedenkmäler aus Marmor in Carnuntum, in: V. Gaggadis-Robin – A. Hermary (Hrsg.), Les ateliers de sculpture régionaux: techniques, styles et iconographie, Actes du Xe colloque international sur l’Art Provincial Romain à Arles et Aix-en-Provence 21–23 mai 2007 (Arles, Aix-en-Provence 2009) 663–681; G. Kremer, Götterdarstellungen, Kult- und Weihedenkmäler aus Carnuntum. Mit Beiträgen von Ch. Gugl, Ch. Uhlir, M. Unterwurzacher, Corpus signorum imperii romani, Carnuntum Supplement 1 (Wien 2012) 421–430.
[3] Das Projekt endet am 31. August 2017.

© Gabrielle Kremer
e-mail: gabrielle.kremer@oeaw.ac.at

This article should be cited like this: G. Kremer, Steindenkmäler und Steingewinnung im Raum Carnuntum – Vindobona. Workshop im Rahmen des Projektes CarVin (FWF P 26368-G21), Forum Archaeologiae 82/III/2017 (http://farch.net).



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