Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 82 / III / 2017

DER ERSTE
Buchbesprechung von E. Baltrusch – Ch. Wendt (Hrsg.), Der Erste. Augustus und der Beginn einer neuen Epoche. Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2016 (Antike Welt-Sonderband)

Der hier besprochene Sonderband widmet sich dem „Ersten“ des Imperium Romanum, dem ersten Prinzeps und Begründer des Prinzipats, Oktavian/Augustus. In der reich und qualitativ anspruchsvoll bebilderten Publikation werden zwölf Beiträge von Experten vorgelegt, die auf eine interdisziplinäre Ringvorlesung an der Freien Universität zu Berlin zu “Augustus“ zurückgehen. Noch ein Band zu Augustus, von denen unzählige geschrieben sind, könnte der geneigte Leser meinen, doch diese Publikation beleuchtet und hinterfragt Aspekte um die Person und den Werdegang des ersten Prinzeps, die bislang in dieser Zusammenstellung nicht im Fokus standen. Nach der durchwegs fesselnden Lektüre bleibt festzustellen, dass Oktavian/Augustus 2000 Jahre nach seinem Tod nichts an Faszination eingebüßt hat.
Die Beitragsreihe eröffnet Egon Flaig (S. 8-16) mit einer Erörterung über die Säulen der augusteischen Monarchie, und postuliert drei Gruppen, die entscheidend für die Etablierung und den Erhalt der Macht des Prinzeps waren: die plebs, das Heer und die Senatoren. Der Autor sieht in der Akzeptanz oder Ablehnung eines Herrschers durch diese Akteure einen direkten Zusammenhang zu der Stabilität in der Gesellschaft und im Reich.


Werner Eck (S. 17-30) befasst sich mit dem informativsten Zeugnis zur Person des Augustus, mit der „Königin“ der Inschriften, den exakt nach dem 26. Juni bis zum 19. August des Jahres 14 n.Chr. datierten res gestae (Abb. 1) und hebt die Rolle des Senats hervor, der für die Verbreitung des Textes verantwortlich zeichnete. Die Bekanntmachung der res gestae in drei Orten der Provinz Galatien ist aber der Initiative des Statthalters zuzuschreiben. Der Autor informiert nicht nur über die Veröffentlichung des Textes am Tempel der Roma und des Augustus, die vermutlich anlässlich der jährlich in Ancyra abgehaltenen Provinzversammlung erfolgte, sondern schildert auch die Entdeckung des Inschriftentextes durch einen Gesandten des Kaisers Ferdinand I. Hervorgehoben wird der inhaltlich rein politisch und ausschließlich auf das Handeln des Prinzeps ausgerichtete Text, der persönliche oder familiäre Ereignisse ebenso wenig thematisiert - mit Ausnahme der beiden Enkelsöhne Gaius und Lucius - wie negative Ereignisse und Niederlagen des Augustus. Zweifel an der Authentizität des Textes räumt W. Eck aus dem Weg. Mit der Problematik der Nachfolgeregelung, die Augustus über viele Jahre hinweg mit großen Enttäuschungen konfrontierte, befasst sich Florian Sittig (S. 31-42). Dabei wird besonders auf die concordia familiae principis verwiesen, die als Garant für die Stabilität des Reiches gesehen wird. Sehr deutlich zeichnet der Autor außerdem die von Beginn an monarchisch-dynastisch ausgerichtete Organisation der Herrschaft und die gezielt in den Machtapparat eingebundene Familie nach. Als großes und nachhaltiges Verdienst des Prinzeps stellt F. Sittig die Etablierung der monarchischen Struktur heraus und diskutiert die Vor- und Nachteile der Macht durch Blutsverwandtschaft und Leistung.
Wie concordia familiae principis und consensus universorum in den Bauwerken und Denkmälern repräsentiert sind, steht im Mittelpunkt der Betrachtungen von Tonio Hölscher (S. 43-65). Die Machtdemonstration des Prinzeps ist in der Organisation des öffentlichen Bereiches systematisch und zielgerichtet geplant und umgesetzt worden. T. Hölscher verweist auf die Einbindung von Familienmitgliedern und Kritikern des Augustus in die Stiftungen und Bautätigkeiten in und außerhalb Roms und betont wieder die Schaffung einfacher Bildzeichen, mit der die Linie seiner Politik einem breiten Publikum vermittelt werden sollte, wie beispielsweise die Victoria auf dem Globus (Abb. 2), die rostra, die corona civica oder das capricorn. Das Ziel dieses gut funktionierenden Konzeptes, das in der Forschung immer wieder thematisiert wird, kulminiert in klar nachvollziehbarer Weise im consensus universorum.
Wie sehr die politischen Maßnahmen des Augustus, die „Re-formen“, inhaltlich Leitbegriffe und Gesetze der Republik aufgreifen, vermittelt Ernst Baltrusch (S. 66-75) (Abb. 3). Das Wiederherstellen von Leitbegriffen der Republik - mos maiorum, exempla und auctoritas wurden neu definiert, allerdings unter friedlicheren politischen Voraussetzungen, der pax Augusta, auf die Augustus in dem Tatenbericht (Res gestae divi Augusti 8) verweist. Als großes Verdienst des Prinzeps hebt E. Baltrusch die auf breiter Ebene geplante „neue Statik der Ordnung“ hervor, die eng mit der Autorität des Augustus verbunden war.
Mit dem Verständnis der Raumvorstellung des Imperium Romanum im Kontext der außenpolitischen Aktivitäten zur Zeit des Prinzipats befasst sich Klaus Geus (S. 76-85) (Abb. 3) und erschließt dem Leser eine narrativ oder tabellarische Vorstellung von Raum, die nicht unserem Verständnis einer kartographischen Raumvorstellung entspricht. Ausgehend von den Aufzeichnungen in den res gestae, die den Herrschaftsbereich mit orbis terrarum und oikoumene beschreibt, arbeitet der Autor eine Linienführung nach dem hodologischen Prinzip heraus, das auf den Historiker Ephoros im 4.Jh. v.Chr. zurückgeht und ein imperium sine fine innerhalb des in dem Schriftwerk definierten orbis terrarum verständlich macht.
Christian Wendt (S. 86-99) widmet sich dem Aspekt der Legitimation Roms als Seeherrschaft und verdeutlicht, dass Rom sich jeher als eine Landmacht verstand und per se geringe Ambitionen hatte, diese Macht auch zur See auszuüben. Dass die historischen Ereignisse dies aber einforderten, zeichnet der Autor anhand der punischen Kriege und des Einsatzes des Gnaeus Pompeius im östlichen Mittelmeer gegen die Piraten nach. Rom reagierte also auf „neue“ Gefahren durch Feinde, die sich auf dem Seeweg näherten (punische Kriege) oder diesen empfindlich (Handelswege) störten. Der Begriff der „Seeherrschaft“ war aber spätestens mit der Seeschlacht von Actium Teil des Machtkonzepts des Oktavian/Augustus, der sich in den Monumenten und Bildzeichen als Herr über die See stilisierte (Abb. 4) und dies als Notwendigkeit zum Erhalt der Weltordnung als festen Betsandteil des Legitimationsbedürfnisses des Prinzipats über die Jahrhunderte festlegte.


Mit der Rolle der Ehefrau des Prinzeps setzt sich Christiane Kunst (S. 100-109) auseinander: Livia wird in der Trostschrift, die anlässlich des Todes ihres jüngeren Sohnes Drusus verfasst wurde, als Romana princeps bezeichnet. Auch diese Bezeichnung ist dem Konzept der concordia familiae principis und dem consensus universorum geschuldet, und fügt sich in die Legitimation der Herrschaft und Etablierung des Prinzipats mit den von Augustus eingeforderten Leitbegriffen ein. Als princeps Romana war Livia auch die mater domus Augusti und mater patriae, hatte das ius trium liberorum, und erhielt zweimal das Privileg der sacrosanctitas gemeinsam mit Augustus – allein die wenigen hier angeführten Beispiele zeugen von einer konsequenten Machtdemonstration im Sinne der Leitlinien der augusteischen Herrschaft.
Felix Mundt (S. 110-121) veranschaulicht die deutlich distanzierte Zurückhaltung mit Lobeshymnen auf den Prinzeps in der augusteischen Dichtung und versucht diese mit dem Modell der griechischen Lyrik zu erläutern. Der Rückgriff auf panegyrische Dichtung griechischer Dichter zeigt sich erst relativ spät, in den Oden des Horaz (4,4f.; 4,14), etwa 13 v.Chr. Vor allem in den Dichtungen des Ovid aus dem Exil wird einerseits die Macht des Prinzeps gepriesen und gleichzeitig die Unverhältnismäßigkeit der monarchischen Macht angeprangert.
Das nachantike Fortleben des Titels Imperator Caesar et Augustus steht im Zentrum des Beitrags von Stefan Esders (S. 122-129). Am Beispiel Karls des Großen, der sich vom Papst zum Kaiser krönen ließ, das nomen imperatoris erhielt, verweist der Autor auf den consensus universorum, der im diesem Falle auf einen Konzilsbeschluss weist. Dieses nomen gab es seit 800 n.Chr. in Byzanz und im Frankenreich und basierte auf antiken Grundlagen – Legitimität, Machtbefugnisse und Vererbung.
Einen chronologisch weiten Sprung macht der Beitrag von Wolfgang Schieder (S. 130-146), der die Konstruktion der faschistischen Propaganda Benito Mussolinis mit dem Prinzipat des Augustus untersucht. Mit der Romanità fascista bezweckte Mussolini eine Erinnerungskultur, die er weniger als einen Rückgriff auf die Antike verstand, denn als zeitgenössische Adaption für seine Zwecke verwendete. Dieses Phänomen zieht sich auf die von ihm sehr oberflächlich instrumentalisierten Begriffe und Rückgriffe auf die Antike und Augustus als Mittel zum Zweck, wie der Autor beispielhaft mit der Architektur oder Bildsprache als faschistische Erneuerung der Antike demonstriert, die in der Mostra Augustea della Romanità im EUR ihren Höhepunkt fand.
Die Rezeption des Prinzipats in zeitgenössischen Medien, dem Film, konkret dem Antikfilm, der auf eine 120-jährige Tradition zurückgreifen kann, spüren Penelope Goodman und Martin Lindner (S. 147-157) nach und unterziehen den „Ersten“ einer medialen zeitgenössischen Bewertung. Die Analysen zeigen eine deutliche Diskrepanz zwischen Filmen über die Person Octavians, die dabei in jungen Jahren von Caesar, Brutus und Marc Anton überschattet wird, und den späteren Jahren des Augustus bis zu seinem Tod. Bezeichnend ist die meist durchwegs als unsympathisch und arrogant dargestellte Persönlichkeit des späteren Prinzeps in den großen Filmen der 1950er und 1960er Jahre. Ein mehr reflektiertes Bild, aber dem Ziel des filmischen Dramas unterworfen und doch niemals den gesamten und diffizilen Charakter des Prinzeps erfassend, zeichnen Produktionen des frühen 21. Jahrhunderts.
Eine Bibliographie im Anschluss an die Beiträge ist thematisch ausgerichtet und bietet die Möglichkeit, vertiefend nachzulesen (S. 158-163). Die Anmerkungen am Ende der Publikation sind ebenfalls Kapitelweise geordnet (S. 163-167), der Bildnachweis (S. 167) schließt die Publikation ab.

Fazit
Dieser Sonderband der „Antike Welt“ ist ein eindrucksvolles, spannungsreiches und informatives Buch. Der Leser nimmt diesen Band dankbar an, führt er doch aus verschiedenen Blickwinkeln immer wieder zu dem Kern zurück, dem Vermächtnis der abendländischen Kultur, deren Grundprinzipien dem Prinzeps Augustus zu verdanken sind. Der Aspekt der Niederlagen und Fehlentscheidungen des Augustus, besonders im familiären Umfeld, und deren Konsequenzen, kommt dabei zu kurz und klingt nur in dem oft verzerrten „Kaiserbild des Antikfilms“ an.

Inhaltsverzeichnis
Ernst Baltrusch und Christian Wendt, Einleitung, 6
Egon Flaig, Stabile Monarchie – sturzgefährdeter Kaiser. Überlegungen zur augusteischen Monarchie, 8
Werner Eck, Res gestae divi Augusti – Die Königin der Inschriften, 17
Florian Sittig, Eine wundersame Verwandlung – Augustus und das Problem seiner Nachfolge, 31
Tonio Hölscher, Consensus universorum – Die Akzeptanz der Herrschaft des Augustus in Bau- und Bildwerken, öffentlich und privat, 43
Ernst Baltrusch, Alte Sitten – neue Gesetze. Zur Reformpolitik des Augustus, 66
Klaus Geus, „Er hat die Oikumene der römischen Herrschaft unterworfen“ – Bemerkungen zu den Raumvorstellungen in der Zeit des Augustus, 76
Christian Wendt, Poseidons Söhne – Seeherrschaft als Legitimation des Prinzipats, 86
Christiane Kunst, Femina princeps? Livia und der Prinzipat, 100
Felix Mundt, Exemplaria Graeca – Die griechische Lyrik und das Kaisermodell der römischen Dichter, 110
Stefan Esders, Übereinstimmung von Name und Sache: Der Kaisertitel Karls des Großen, die Lorscher Annalen und die römischen Grundlagen der fränkischen „Nomen-Theorie“, 122
Wolfgang Schieder, Romanità fascista – Kaiser Augustus in der geschichtspolitischen Konstruktion Benito Mussolinis, 130
Penelope Goodman und Martin Lindner, Schurke und Idealherrscher – Augustus und das Kaiserbild des Antikfilms, 147
Bibliografie, 158
Anmerkungen, 163
Bildnachweis, 167

Ernst Baltrusch – Christian Witschel (Hrsg.), Der Erste. Augustus und der Beginn einer neuen Epoche
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2016
167 Seiten mit Farb- und s/w-Illustrationen, Diagramme, Karten
ISBN 978-3-8053-5033-4; ISBN 3-8053-5033-3

© Alice Landskron
e-mail: alice.landskron@uni-graz.at

This article should be cited like this: A. Landskron, Der Erste. Buchbesprechung von E. Baltrusch – Ch. Wendt (Hrsg.), Der Erste. Augustus und der Beginn einer neuen Epoche. Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2016 (Antike Welt-Sonderband), Forum Archaeologiae 82/III/2017 (http://farch.net).



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