Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 78 / III / 2016

ZWISCHEN UMBRERN, ETRUSKERN UND KELTEN. ZUR FRAGE DES IDENTITÄTSGEFÜHLS VORRÖMISCHER SIEDLUNGSGEMEINSCHAFTEN DER ROMAGNA (ITALIEN)

Die Romagna ist eine Region im Norden Italiens, die den südöstlichen Bereich der Po-Ebene an der Adria einnimmt. Bezüglich der vorrömischen Bevölkerungen überliefern die antiken Autoren die Anwesenheit von Etruskern, Italikern, und zwar besonders Umbrern, sowie Kelten. Wegen der Lückenhaftigkeit der literarischen, epigraphischen und archäologischen Dokumentation ist es vor allem im Hinblick auf die Italiker schwer, eine deutlich definierte archäologische Identität festzumachen. Die Selbstdefinition einer Gemeinschaft ist das Ergebnis eines kulturellen Prozesses, der von verschiedenen Faktoren (historisch-kulturellen Faktoren, Gebietsfaktoren, ethnischen Faktoren usw.) abhängt. Wie sich dieser Prozess in der Romagna materialisierte, ist nicht klar. Als möglicher Lösungsweg wird daher eine neue Herangehensweise vorgeschlagen, die nicht nur die archäologischen und historischen Daten, sondern auch die Siedlungendynamik untersucht. Die Zusammenschau all dieser Daten lässt verstehen, wie sich diese Gemeinschaften gebildet haben. Anhand der Resultate ist es möglich, ein Modell auszuarbeiten. Dieses Modell kann dann mit den entsprechenden Strukturen bei besser bekannten Nachbarvölkern verglichen werden.
Für den Zeitraum zwischen dem 10. und 7.Jh. v.Chr. finden sich die einzigen relevanten archäologischen Zeugnisse der Region in den zwei äußersten Punkten im Westen und im Osten, und zwar um die wichtigsten etrusko-villanovianischen Siedlungen der Po-Ebene: Verucchio an der Küste und Bologna in der Mitte der cispadanischen Ebene. Die reiche archäologische Dokumentation dieser zwei Sektoren steht im Widerspruch zu der archäologischen Spärlichkeit im Rest der Romagna.


Die Situation ändert sich am Ende des 7.Jhs. v.Chr., als einige Gräber mit Funden des sog. mitteladriatischen Kulturkreises im Apennin-Bereich erscheinen. Ab dem 6.Jh. v.Chr. mehren sich die Zeugnisse dieses neuen Kulturhorizontes sowohl im Apennin als auch in der Po-Ebene bis hin zur Adria-Küste. Seine hauptsächlichen Eigenheiten sind eine größere Anzahl an verstreut liegenden, kleinen Siedlungen, das Ritual der Inhumation, die konstante Niederlegung von Waffen in Männergräbern, die Nutzung des mitteladriatischen Formenrepertoires im Hinblick auf Keramik und Fibeln. Darüber hinaus verweisen auch die Nekropolen mit Kreisgräbern (z.B. Imola-Montericco) (Abb.) auf den mitteladriatischen Horizont. Aufgrund der Waffenbeigaben in den Gräbern dachte die Forschung anfänglich an frühe keltische Präsenzen. Zu Beginn der 70er Jahre schlug G. Colonna vor, diese archäologische Kultur mit den italischen Umbrern zu verbinden. Diese Identifikation beruht im Wesentlichen auf antiken literarischen Quellen aus späterer Zeit. Es bleibt unberücksichtigt, dass ein eine größere Gemeinschaft umfassendes Identitätsgefühl innerhalb der italischen und mitteladriatischen Welt zwischen dem 7. und 6.Jh. v.Chr. erst im Entstehen begriffen war. Eventuell wurde der Aufbau einer eigenen Identität seitens der Italiker in der Romagna auch von ihrer neuen Lebensumwelt beeinflusst. Die breite Ebene war der durch Höhenzüge stark gegliederten Umwelt, aus der sie gekommen waren, völlig unähnlich. Es muss auch untersucht werden, welchen Einfluss der Kontakt mit kleinen fremdstämmigen Gruppen an der Küste wie z.B. in Novilara oder mit dem etruskischen Verucchio auf die Definition der eigenen Identität hatte.
Bisher nur partiell hilfreich sind die archäologischen Daten. Die typischen Funde dieser Bevölkerungen ähneln zuerst dem mitteladriatischen Vorbild, dann den etruskischen Erzeugnissen der Po-Ebene. Allerdings kommt ab der zweiten Hälfte des 6.Jhs. v.Chr. ein Fibeltyp („Casalfiumanese“) auf, der nur in der Romagna verbreitet ist. Dieser könnte den Beginn eines Prozesses der Definition einer gemeinsamen Tracht und in weiterer Folge auch eines gemeinsamen Identitätsgefühls anzeigen.

© Claudio Negrini
e-mail: claudio.negrini@univie.ac.at

This article should be cited like this: C. Negrini, Zwischen Umbrern, Etruskern und Kelten. Zur Frage des Identitätsgefühls vorrömischer Siedlungsgemeinschaften der Romagna (Italien), Forum Archaeologiae 78/III/2016 (http://farch.net).



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