Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 78 / III / 2016

DER KLASSISCHE ARCHÄOLOGE ERNST KALINKA (1865–1946) – EIN UNBEKANNTER AGUNTUM-FORSCHER

Wer sich mit den frühen Ausgrabungen im 20. Jahrhundert in der Römerstadt Aguntum bei Lienz beschäftigt wird v.a. auf drei Namen stoßen: Pater Innozenz Ploner (1865–1914) startete in einer privaten Initiative die Ausgrabungen 1912, verstarb aber plötzlich nach seiner zweiten Kampagne 1913. Gleichzeitig unternahm Rudolf Egger (1882–1969) im Auftrag des Österreichischen Archäologischen Instituts eine Untersuchung. Für dieses war nochmals Erich Swoboda (1896–1964) in den 1930er Jahren in Aguntum tätig. Der Name des Philologen Ernst Kalinka (1865–1946) scheint bislang nirgends auf, sein Wirken zeigt sich aber nach dem Studium einschlägiger Akten in den Archiven des Bundesdenkmalamtes (Wien, Innsbruck) und des Österreichischen Archäologischen Instituts (Wien) deutlich.
Ernst Kalinka wurde in Wien geboren, studierte an der dortigen Universität Klassische Philologie, Alte Geschichte und Klassische Archäologie und promovierte 1889. Ein staatliches Reisestipendium ermöglichte ihm 1890–1891 Deutschland, Frankreich, Italien und Griechenland zu besuchen, um seine Kenntnisse des Denkmälerbestandes zu erweitern. 1892 begleitete er Otto Bendorf auf seiner dritten lykischen Reise und widmete sich im Anschluss der Bearbeitung der dabei aufgenommenen Inschriften. 1894 wurde er Leiter der archäologischen Station in Konstantinopel, von wo aus er weitere Reisen auf dem Balkan und nach Kleinasien unternahm. 1896 erfolgte seine Habilitation für Klassische Philologie in Wien, und 1898 wurde er zum Sekretär des Österreichischen Archäologischen Instituts ernannt. 1900 erhielt er eine Professur für Klassische Philologie in Czernowitz, und 1903 folgte er dem Ruf nach Innsbruck, wo er über 30 Jahre bis zum Eintritt in den Ruhestand wirkte. 1946 verstarb Kalinka in Hall in Tirol.


Während seiner Zeit als Universitätsprofessor in Tirol war Kalinka – bislang in der Forschung kaum beachtet – für die Zentral-Kommission für Denkmalpflege tätig. 1909 wurde er zum Konservator für prähistorische, antike und völkerwanderungszeitliche Denkmäler in den Bezirken Schwaz, Kufstein und Kitzbühel, 1911 auch Ampezzo, Bruneck und Lienz ernannt. Nachdem die plötzlichen Grabungen von Ploner und das zeitgleiche Unternehmen Eggers für Verunsicherung gesorgt hatten, richtete Kalinka im Frühjahr 1913 das Ansuchen an Franz von Wieser (1848–1923), den Landeskonservator für Tirol, nach Lienz entsandt zu werden, um sich an Ort und Stelle über die Ergebnisse der dort bereits ausgeführten Ausgrabungen sowie über die weiter geplanten Vorhaben zu informieren. Insbesondere ging es darum zu gewährleisten, dass v.a. Ploners Grabungen unter fachmännischer Kontrolle ausgeführt werden sollten, und dazu wurde ihm Kalinka als sachkundiger Berater zur Seite gestellt. Die Zusammenarbeit der beiden dürfte funktioniert haben, denn Kalinka lieferte nun mehrere ausführliche Berichte über die Arbeiten und die dabei gemachten Funde und fertigte auch einen maßstabsgerechten Plan der bislang ausgegrabenen Teile der Aguntiner Stadtmauer an. Dies sandte er alles sowohl an die Zentralkommission als auch in Kopie an das Österreichische Archäologische Institut. Als Ploner 1914 plötzlich verstarb, versuchte Kalinka, sich um die Aufzeichnungen in seinem Nachlass zu kümmern und auch die Befunde und Kleinfunde seiner Grabungen zu sichern.
Die ersten Grabungen 1912/13 in Aguntum sind gekennzeichnet durch Unklarheiten in der Frage nach Zuständigkeit und Verantwortlichkeit und dadurch hervorgerufene Animositäten zwischen Zentralkommission, Landeskonservatorat, Österreichischem Archäologischen Institut, Behörden in Tirol sowie den Ausgräbern vor Ort. Vor dieser komplexen Ausgangslage und auch bedingt durch die schwierigen Verhältnisse während des und v.a. auch nach dem Ersten Weltkrieg, zeichnet sich Ernst Kalinka als einzige Konstante ab, der stetig bemüht war, vor Ort Nachschau zu halten, Befunde aufzunehmen und in Berichten vorzulegen. Er kümmerte sich um die Sicherung der Ausgrabungsstätte, und war bis weit in die 1920er Jahre hinein bestrebt, eine Wiederaufnahme der Grabungen zu erreichen. Es zeigt sich somit, dass Kalinka nicht nur als Philologe und Epigraphiker tätig war, sondern sich bislang unbeachtet auch im Bereich der Denkmalpflege Österreichs maßgeblich um die frühen archäologischen Forschungen in Aguntum verdient gemacht hat.

© Florian Martin Müller
e-mail: Florian.M.Mueller@uibk.ac.at

This article should be cited like this: F. M. Müller, Der Klassische Philologe Ernst Kalinka (1865–1946) – Ein unbekannter Aguntum-Forscher, Forum Archaeologiae 78/III/2016 (http://farch.net).



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