Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 78 / III / 2016

EIN ZYPRISCHES „PASTICCIO“ AUS DEM KUNSTHISTORISCHEN MUSEUM WIEN

Pasticcio ist in der Musik ein geläufiger Begriff, der das Zusammenstellen von Teilen aus Opern, eines oder mehrerer Komponisten, zu einem neuen Werk meint. Der Begriff wird gerne auf antike Gefäße übertragen, die aus Teilen unterschiedlicher Herkunft zusammengesetzt wurden. Im 19. Jahrhundert war das ein gängiger Brauch, um einerseits ästhetisch ansprechende Stücke zu kreieren, mit denen anderseits am Markt bessere Preise zu erzielen waren. Das zu besprechende Pasticcio wurde vom Kunsthistorischen Museum aus der Sammlung des amerikanischen Konsuls auf Zypern Luigi Palma di Cesnola im Jahre 1869 angekauft. Das Gefäß ist in der Antikensammlung des KHM unter der Inventarnummer V 1126 verwahrt (Abb.).
Nach dem Augenschein liegt ein komplett erhaltenes Gefäß vor; einige kleine Fehlstellen am Henkel sind zu vermerken sowie zahlreiche Kalkabsprengungen. Ein produktionsbedingter feiner Riss am Gefäßkörper ist noch zu erwähnen. Der Dekor ist teilweise abgerieben und verblasst, die Oberfläche ist stellenweise von feinen Wurzelfasern überzogen.
Es ist eine in der Höhe 16,3cm messende Flasche, bestehend aus einem linsenförmigen Gefäßkörper mit wenig ausgeprägten Zentralnoppen ohne Standfläche; von der Schulter führen zwei gegenständige Zwillingshenkel bis zur Mitte des Flaschenhalses, wo zwei Grate ausgebildet sind; der enge Hals endet in einer pilzförmigen Mündung. Das Gefäß gehört der sogenannten Gruppe Black on Red (BoR) an: Der gesamte Gefäßkörper trägt einen matt glänzenden, orangen Überzug, der mit schwarzen Streifen, Swastiken und Ornamenten aus konzentrischen Kreisen dekoriert ist. Typologisch ist die Flasche der Gruppe BoR I (III) zuzuordnen, die in den dritten Abschnitt der zyprische-geometrischen Zeit fällt, der in Zahlen dem Zeitraum von 850 bis 750 v.Chr. entspricht.
Es handelt sich um eine Flaschenform, die nicht allzu häufig anzutreffen ist: die Form ist insofern ausgefallen, da der linsenförmige Gefäßkörper keine Möglichkeit zum Stehen bietet. Auf der Suche nach Vergleichen war keine übereinstimmende Form zu finden, da der Hals und die Mündung eine abweichende Gestaltung von der üblichen Norm aufweisen. Ungewöhnlich ist auch die Ausbildung eines doppelten Halsgrates. Die nähere Betrachtung ließ bereits mit dem freien Auge einige Auffälligkeiten an der Gefäßoberfläche erkennen, die Anlass waren, diese Bereiche unter dem Mikroskop zu betrachten. Anhand des Scherbens und dem außergewöhnlichen doppelten Halsgrat lässt sich eindeutig sagen, dass Teile von zwei verschiedenen Gefäßen zusammengeführt worden sind. Nach diesem Ergebnis sind der Gefäßkörper und der Flaschenhals mit Mündung zwei unterschiedlichen Gefäßtypen zuzuordnen. Die Mündung stammt von einem Fläschchen, das häufig auch „Lekythos“ bezeichnet wird – ein kleines bauchiges Fläschchen mit einem Henkel. Es diente der Aufnahme von Duftstoffen, weshalb sie wohl in großer Zahl als Grabbeigaben gefunden wurden. Die Fläschchen dienten auch dem Export für die duftenden Essenzen. In den vorliegenden zweihenkeligen Gefäßkörper hingegen war ursprünglich eine trichterförmige Mündung eingesetzt, die zum Trinken deutlich besser geeignet war als die pilzförmige. Das neuzeitliche Ineinanderfügen der nicht zusammengehörenden Gefäßteile hat den doppelten Halsgrat entstehen lassen. Nach antiker Herstellungsmethode wurden die Mündungen mit ansetzendem Hals tatsächlich separat angefertigt, jedoch in den Hals derart eingepasst, sodass nur ein Halsgrat als dekoratives Element entstanden ist. Mit diesem Pasticcio wurde eine neuzeitliche Gefäßform erfunden.

© Claudia Lang-Auinger
e-mail: Claudia.Lang@oeaw.ac.at

This article should be cited like this: C. Lang-Auinger, Ein zyprisches „Pasticcio“ aus dem Kunsthistorischen Museum Wien, Forum Archaeologiae 78/III/2016 (http://farch.net).



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