Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 78 / III / 2016

BEYOND REPAIR? – VORSCHLÄGE ZUM UMGANG MIT ZERSTÖRTEM KULTURERBE IN SYRIEN UND IRAK

Auch wenn sich der IS auf das angebliche Bilder- und Götzenverbot im Islam beruft, um seine Taten zu rechtfertigen, wäre es zu kurz gefasst, religiöse Gebote als alleiniges Motiv für dessen Kulturvandalismus verantwortlich zu machen. Es handelt sich um eine „kulturelle Säuberung“, welche die Diversität, Identität und Geschichte des Landes und seiner Bewohner vernichten soll, um sie mit einer völlig neuen, auf die eigene Ideologie abgestimmte Narrative zu ersetzen, als auch um ein Propagandainstrument, um von eigenen Schwächen abzulenken, wie die Zerstörungen von Nimrud und Palmyra zeigen, welche jeweils unmittelbar nach schweren militärischen Rückschlägen stattfanden. Doch auch der wirtschaftliche Schaden ist nicht zu unterschätzen. Syrien war vor dem Bürgerkrieg eine florierende Touristendestination. Der Beitrag zum BIP betrug im Jahr 2010 $11,17 Milliarden (19,3%) und gab 18,9% der Syrer Arbeit. Der IS weiß um die Bedeutung der Kulturstätten für Syrien und deren Beitrag zum Wiederaufbau und zur Stabilisierung, und versucht Regenerationsmöglichkeiten nachhaltig zu vernichten.
An Anbetracht der identitätsstiftenden und wirtschaftlichen Funktionen von Kulturerbe stellt sich die Frage wie man nach dem Konflikt mit diesen Zerstörungen umgehen soll. Dass die Zerstörung von Kulturerbestätten nicht zwingend deren Ende bedeuten muss, zeigen die rekonstruierte Dresdner Frauenkirche und Stari Most. Verschiedene Chartas für Kulturgüterschutz sprechen sich zudem für Rekonstruktion von durch Krieg zerstörte Kulturerbestätten aus, solange keinerlei Mutmaßung involviert ist. Für viele Stätten in Syrien und Irak würden demnach ideale Voraussetzungen herrschen, da durch archäologische Dokumentation und unzähliger Fotos genügend Information zur genauen Rekonstruktion vorhanden wäre.

Dabei ist es von ungemeiner Wichtigkeit, die lokale Bevölkerung in diesen Prozess einzubinden als auch experimentalarchäologisch vorzugehen, um wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Wiederaufbau zu erlangen. Auf diese Weise kann man nicht nur z.B. alte Methoden der Steinbearbeitung wiederbeleben sondern gleichzeitig eine neue Generation von Konservatoren aus der lokalen Bevölkerung ausbilden, welche von der neu geschaffenen Arbeit profitieren und ihre Identität an das Kulturerbe knüpfen.
Dieser Ansatz wurde bereits erfolgreich in Timbuktu bei zerstörten Schreinen und Mausoleen angewandt, welche unter Leitung der UNESCO von lokalen Handwerkern möglichst originalgetreu wiedererrichtet wurden.
Jedoch muss angenommen werden, dass für viele Stätten nicht genug Information für den Wiederaufbau vorliegen und auch die Kosten durch das Ausmaß der Zerstörung selbst mit internationaler Kooperation nicht zu decken sind. Zudem wird sich die Frage stellen, ob man Ruinen wieder zu Ruinen rekonstruieren soll. Während zuvor genannte Beispiele noch immer von kontemporärer Funktion und Bedeutung sind, sind antike Tempel eventuell zu weit in der Vergangenheit verankert, um genügend Wichtigkeit für die lokalen Identitäten zu haben.
Ob man sich nun für oder gegen Rekonstruktionen entscheidet, es ist essentiell, dass die Zerstörung mittels Mahnmalen und Museen thematisiert wird, um aus diesen dunklen Momenten der Geschichte zu lernen und die Zerstörungen nicht in Vergessenheit geraten. Es muss veranschaulicht werden, dass Kulturerbe fragil und zerbrechlich ist und unser aller Schutz benötigt.
Wie auch immer die zukünftigen Lösungen aussehen werden, Pläne für den Wiederaufbau dieser Länder müssen unbedingt die Kulturerbestätten miteinbeziehen, da diese aufgrund ihrer identitätsstiftenden und ökonomischen Werte einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur langfristigen Stabilisierung der Region leisten können.

© Christoph Doppelhofer
e-mail: christoph.doppelhofer@hotmail.com

This article should be cited like this: Ch. Doppelhofer, Beyond repair? – Vorschläge zum Umgang mit zerstörtem Kulturerbe in Syrien und Irak, Forum Archaeologiae 78/III/2016 (http://farch.net).



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