Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 74 / III / 2015

ERGEBNISSE DER AUTOPSIE AM MERKURTEMPEL VON GIGTHIS

Folgende Beobachtungen wurden auf einem einmonatigen Forschungsaufenthalt in Tunesien im November 2009 im Rahmen meiner Diplomarbeit getätigt. Der Inhalt dieser Arbeit ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Publikation „Gigthis. étude d'histoire et d'archéologie sur un emporum de la petite Syrte[1] von L. A. Constans, der Anfang des 20. Jahrhunderts den größten Teil von Gigthis ergrub. Im Folgenden wird aber nur das örtliche Merkurheiligtum behandelt [2].
Das Merkurheiligtum von Gigthis (Abb. 1) im heutigen Gebiet des südlichen Tunesiens befindet sich auf einer Anhöhe im Südwesten des antiken Stadtgebietes. Die Anlage liegt zirka 300m südwestlich des etwa in der Mitte der Siedlung angenommenen Macellum und beherrscht aufgrund seiner exponierten Lage die antike Siedlung.


Bei dieser Anlage handelt es sich um ein in Nordafrika weit verbreitetes templum cum porticibus (Abb. 2). Es ist auffallend, dass die aedes in Relation zu den Ausmaßen des gesamten Temenos unproportioniert klein ist. Johann Eingartner sieht darin noch den deutlich spürbaren Einfluss punischer Architektur, der sich neben hellenistischen und italischen Tendenzen auch in der Bauornamentik niederschlägt [3].

Die Anlage weist mehrere sakrale Bereiche auf; die zentrale aedes, die auf einem Sockel aus gelben Kalksteinen (Abb. 3) und nicht auf, wie in der Literatur beschrieben [4], roten Kalksteinen ruht, eine kleine Aedikula und zwei von der Porticus zu betretende Kulträume, je einer nördlich und südlich der aedes. Die aedes und die Aedikula können durch Inschriften, die in den jeweiligen Arealen gefunden wurden, klar dem Gott Merkur zugewiesen werden [5]. Ebenso kann der nördliche Kultraum durch einen Inschriftenfund [6] als Verehrungsstätte für Minerva identifiziert werden. Welcher Gottheit der südliche Kultraum geweiht war, lässt sich nicht feststellen. Constans sieht in der Inschrift CIL VIII 22697a, die in diesem Raum gefunden wurde, den Beleg dafür, dass es sich um ein Sacellum für Fortuna handelt [7].

Belegstelle: CIL VIII, 22697a = ILTun 00024
Provinz: Africa Proconsularis
Ort: Boughrara / Bou Ghrara / Bou Grara / Gigthis
[3] C(aius) Servilius [3] / [Maurinus f]lamen perp(etuus) V [3] [8]

Da diese Inschrift aber keinerlei Hinweise auf eine Weihung für Fortuna gibt, kann die Bezeichnung „Fortuna-Sacellum“ von Constans nicht zutreffend sein.

Im östlichen Bereich des Temenos befindet sich eine Nord-Süd verlaufende Raumflucht, die sich in zwei Raumgruppen gliedern lässt. Bei der südlichen Raumfolge handelt es sich nach Constans um Wohnbereiche für das Kultpersonal, die nur über den mittleren der drei Räume (Abb. 1) betretbar waren [9]. Bei der Begehung vor Ort ließ sich aber feststellen, dass diese Räume auch über den nördlichsten der drei Räume (Abb. 4 und Abb. 5) zugänglich waren. In der Westwand dieses Raumes sind klar eine Türschwelle aus weißem Kalkstein und Reste des Türgewändes, ebenfalls aus weißem Kalkstein, zu erkennen.


Die nördliche Raumreihe (Abb. 2) ist nach Constans vom eigentlichen Heiligtum abgetrennt und nur durch eine Pforte in der nördlichen Peribolosmauer von außerhalb des Temenos betretbar. Aufgrund dieser Isolierung geht Constans davon aus, dass es sich um Räume mit profanem Charakter handeln könnte. Da unweit des Heiligtums die Fernstraße nach Zitha in die Stadt mündet [10], sieht er in diesen Räumlichkeiten ein Handelsbüro oder einen Kontor für eintreffende Händler [11]. Vor Ort lässt sich aber feststellen, dass der mittlere der drei Räume mit dem Peristylhof des Heiligtums durch einen Durchgang verbunden ist (Abb. 4). Die Reste des Türgewändes und der Schwelle sind klar erkennbar (Abb. 6). Somit ist dieser Teil des Heiligtums nicht vom Rest der Anlage abgetrennt, wodurch die Hypothese, dass es sich bei diesen Räumen um ein Handelsbüro handelte, widerlegt ist. Diese beruht nämlich nur auf der Aussage, dass diese Räumlichkeiten vom restlichen Heiligtum isoliert sind.

Zur Datierung des Heiligtums existieren verschiedene Ansätze.
Eine zeitliche Einordnung der Anlage erfolgt über epigraphische Hinweise. In den im Heiligtum gefundenen Inschriftenfragmenten wird die Erwähnung des Tribusnamens Quirina des Stifters C. Servilius Plautus Maurinus nicht konsequent durchgezogen. Dieser wird nur in zwei Inschriften, CIL VIII 22695 und CIL VIII 22739, erwähnt. Die regelmäßige Nennung des Tribusnamens war bis zur Herrschaft Caracallas Usus, danach wurde er nicht mehr konsequent erwähnt. Dies führte zur Annahme, dass der Stifter C. Servilius Plautus Maurinus um den Jahrhundertwechsel vom zweiten zum dritten Jahrhundert nach Christus lebte und das Heiligtum etwa in diesem Zeitraum errichtet wurde [12]. Auch M. Pisanu folgt diesem Ansatz und datiert die Anlage in die ersten zwanzig Jahre des dritten Jahrhundert [13].
Diese Datierung erweist sich als sehr hypothetisch, da sie rein onomastischer Natur ist.

Ein weiterer Ansatz zur zeitlichen Einordnung erfolgt über den Baudekor und den Grundriss der aedes der Anlage [14].
Auch N. Ferchiou verweist darauf, dass die aedes ungewöhnlich klein im Vergleich zu dem umgebenden Temenos ist. Sie ähnelt mehr einem phönizischen Schrein als einem römischen Podiumstempel [15]. So schließt sie die Möglichkeit nicht aus, dass es sich bei der aedes um ein punisches Heiligtum handeln könnte, welches Mitte des ersten Jahrhunderts nach Christus in ein templum cum porticibus umgewandelt wurde. Den Beweis dafür kann sie nicht liefern. Den Baudekor des Merkurheiligtums datiert sie fast lückenlos in das erste Jahrhundert nach Christus [16].
Als Beispiel hierfür werden die ionischen Kapitelle der Porticus angeführt. Der in diesen Kapitellen vorkommende „Herkulesknoten“ (Abb. 7), der in Variationen in ganz Nordafrika verbreitet war, stammt aus der hellenistischen Kunst und war auf der italischen Halbinsel von spätrepublikanischer Zeit bis in die frühe Kaiserzeit überwiegend auf Grabmonumenten in Gebrauch [17].
Auch der vom Herkulesknoten nach unten geschobene Eierstab war in der vorliegenden Gestaltung im ersten Jahrhundert n. Chr. in Nordafrika und Italien verbreitet [18].
So lässt sich anhand der Bauornamentik das Heiligtum in das erste Jahrhundert nach Christus datieren. Eingartner schränkt diesen Zeitraum sogar auf die Mitte des Jahrhunderts in die Regierungszeit Neros oder der ersten Flavier ein [19].
Dieser Datierungsansatz scheint deutlich plausibler zu sein als die zeitliche Einordnung über die epigraphischen Hinweise.

[1] L.A. Constans, Gigthis. étude d'histoire et d'archéologie sur un emporum de la petite Syrte, in: Nouvelles Archives des Missions Scientifiques et Littéraires. Choix de rapports et instructions, Nouvelle Série, Fascicule 14 (Paris 1916).
[2] Für eine ausführliche Beschreibung des Heiligtums siehe: Constans a. O. 104‒110; J. Eingartner, Templa cum Porticibus. Ausstattung und Funktion italischer Tempelbezirke in Nordafrika (Leidorf 2005) 190‒191; M. Grebien, Gightis. Eine Autopsie ausgewählter Monumente und die weitere touristische Nutzung der antiken Stätte (Diplomarbeit Karl–Franzens-Universität Graz 2013) 65‒86. Link für Download: http://unipub.uni-graz.at/download/pdf/231855.
[3] Eingartner a.O. 137.
[4] Constans a.O. 107; Eingartner a.O. 191.
[5] Die aedes durch CIL VIII, 22695; Die Merkuraedikula durch CIL VIII, 22696.
[6] CIL VIII, 22697.
[7] Constans a.O. 108; Vgl. Eingartner a.O. 191; M. Pisanu, La Vita religiosa a Gigthis: testimonianze epigrafiche e monumentali: L´Africa Romana 7 (1990) 223–231.
[8] http://db.edcs.eu/epigr/epi_ergebnis_de.php, am 02.02 2015.
[9] Constans a.O. 109.
[10] Dies ist belegt durch den Meilenstein AE 1922, 00011, der nur wenige Meter vom Heiligtum entfernt gefunden wurde.
[11] Constans a.O. 110.
[12] Eingartner a.O. 17.
[13] Pisanu a.O. 226.
[14] N. Ferchiou, Le temple de Mercure à Gigthis, Recherches sur le décor architectonique, Africa 10, 1988, 174–189.
[15] Ferchiou a.O. 177f.
[16] Ferchiou a.O. 180–182.
[17] Ferchiou a.O. 186; vgl. G. Schörner, Römische Rankenfriese (Mainz 1995) 15.
[18] Ferchiou a.O. 185.
[19] Eingartner a.O. 19.

© Matthias Grebien
e-mail: matthias.grebien@edu.uni-graz.at

This article should be cited like this: M. Grebien, Ergebnisse der Autopsie am Merkurheiligtum von Gigthis, Forum Archaeologiae 74/III/2015 (http://farch.net).



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