Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 74 / III / 2015

J. ENGEMANN, RÖMISCHE KUNST IN SPÄTANTIKE UND FRÜHEM CHRISTENTUM BIS JUSTINIAN

In seiner neuesten Monographie widmet sich J. Engemann der Frage nach der Entstehung und Entwicklung der frühchristlichen Kunst, die abhängig von und basierend auf der materiellen Kunst und Kultur der griechisch-römischen Zeit ab dem 5. Jahrhundert zunehmend „eine starke eigene Dynamik in der Lösung architektonischer und bildkünstlerischer Aufgaben entwickelt hatte“ (S. 255).

Aufbau und Inhalt des beeindruckenden Bandes präsentieren sich wie folgt:
Auf eine sehr kurz gehaltene Einleitung (Kap. 1, S. 7) folgt ein geschichtlicher, vor allem mit zeitgenössischen Münzen und Medaillons illustrierter Überblick, der einen chronologischen Bogen vom Regierungsantritt Diokletians (284 n.Chr.) bis zum Tod Justinians I. (565 n.Chr.) spannt (Kap. 2, S. 9–19). Den größten Raum in diesem Kapitel nimmt die Regierungszeit Konstantins I. ein – eine Zeit, in der wesentliche Grundlagen für die weiteren Entwicklungen der christlichen Kunst gelegt werden.
Kap. 3 (S. 20–48) beschäftigt sich mit Monumenten, Denkmälern sowie Skulpturen, die für oder von den Kaisern in Auftrag gegeben wurden und vielfach Zeugnis vom (Selbst-)Verständnis der Herrscher ablegen. Besonderen Fokus legt Engemann hier zum einen auf ausgewählte stadtrömische Evidenzen – wie etwa die Maxentiusbasilika mit ihrer kolossalen Sitzstatue Konstantins (im Darstellungsschema des Jupiter) sowie den Konstantinsbogen und dessen Reliefs (mit Bezügen zum Sonnengott). Zum anderen konzentriert sich das Kapitel auf themenrelevante Denkmäler in der 330 n.Chr. eingeweihten neuen Hauptstadt Konstantinopel unter besonderer Berücksichtigung seiner öffentlichen Anlagen (u.a. das Hippodrom und die Kaiserforen samt reliefgeschmückten Säulen und Kaiserstatuen).
In Kap. 4 (S. 49–65) werden ausgewählte kunsthandwerkliche Arbeiten vorgestellt, die von den Kaisern bzw. von Konsuln in Auftrag gegeben worden sind und vornehmlich als Geschenke dienten. Hervorgehoben sei hierbei vor allem das sog. Missorium des Theodosios I, eine zum zehnjährigen Regierungsjubiläum des Kaisers (i.e. im Jahre 388) angefertigte silberne Largitionsschale mit dem Repräsentationsbild des Kaisers mit Valentinian II. (Ausgustus im Westreich) und Arkadius (Mitaugustus im Ostreich). Vorgestellt und besprochen werden aber auch ausgewählte Konsulardiptycha des 5. und 6.Jhs. (vgl. das Konsulardiptychon des Probus, 406 n.Chr. und das ‚Barberini-Diptychon‘, 1. Hälfte 6.Jh.).
Den Anfängen der jüdischen und christlichen Kunst und der Frage nach dem alttestamentlichen Bilderverbot (Ex 20,4 und Dt 4,16ff.) widmet sich das kurze Kap. 5 (S. 66–71) unter Berücksichtigung der Synagoge und der ‚Hauskirche‘ des 3. Jahrhunderts in Dura Europos.
Das Thema wird im Kap. 6 (S. 72–99) auf den Grabbereich ausgeweitet. Engemann zeichnet eingehend die schrittweise Entwicklung der christlichen Bildkunst und ihrer Inhalte ab dem 3. bis zum 6. Jahrhundert nach, wobei die vielfältige Abhängigkeit der aus der griechisch-römischen Welt übernommenen Formen und Motive sowie ihre christliche Neuinterpretation exemplarisch anhand der Katakombenmalereien in Rom und anhand der Sarkophagkunst im Osten und Westen des Reiches aufgezeigt werden.
Das folgende Kapitel 7 (S. 100–179) widmet sich nicht nur der Architektur der christlichen Kultbauten, sondern auch ihrer dekorativen und liturgischen Ausstattung. Einen besonderen Fokus legt Engemann auf die mit Konstantin nach der Mailänder Vereinbarung des Jahres 313 einsetzenden kaiserlichen Stiftungen. Wie in der Bildkunst wird auch hier die Abhängigkeit von bestehenden Formen deutlich, die sich besonders in der Ausbildung der christlichen Kultbauten (Längs- und Zentralbauten) oder im Bereich der monumentalen Grabbauten manifestiert. Thematisiert werden in diesem Zusammenhang neben den kaiserlichen Stiftungen in Rom (Lateranbasilika, Peterskirche, Umgangsbasiliken samt Mausoleen, etc.) auch jene, die Konstantin an den Wirkungsstätten Jesu in Palästina (Grabeskirche und Himmelfahrtskirche in Jerusalem, Geburtskirche in Bethlehem) errichten ließ. Im Rahmen der Besprechung von ausgewählten Kirchenbauten in Italien und den westlichen Provinzen konzentriert sich Engemann vor allem auf deren reiche Mosaikausstattung (musivische Dekoration in der Südhalle in Aquileia, in S. Pudenziana, in SS. Kosmas und Damian und in Santa Maria Maggiore/jeweils Rom, in S. Aquilino/Mailand sowie in den Baptisterien von Neapel und Albenga sowie Demna-Kelibia/Tunesien).
Ein besonderer Fokus liegt schließlich auf den kirchlichen Bauten in Ravenna, die angesichts ihres exzeptionellen Erhaltungszustandes einen hohen Stellenwert innerhalb der frühchristlichen Kunst- und Kulturgeschichte einnehmen. Hervorgehoben seien die Kirchen S. Apollinare in Classe, S. Apollinare Nuovo, S. Vitale, die beiden Baptisterien sowie das Mausoleum der Galla Placidia, wobei neben Aspekten zur Architekturgeschichte auch jene zur dekorativen wie liturgischen Ausstattung Berücksichtigung finden. Thematisiert wird zudem die Zeit der ostgotischen Herrschaft und neben den arianischen Kirchenbauten auch das Mausoleum des Theoderich besprochen.
Auf die ravennatischen Befunde folgt schließlich eine Vorstellung von ausgewählten Bauten des 6. Jahrhunderts in Konstantinopel (Polyeuktoskirche, Kirche der Heiligen Sergios und Bakchos, Hagia Sophia) sowie einiger griechischer Kirchenbauten (Hagios Georgios/Thessaloniki, Demetrioskirche/Nikopolis, Panagia Angeloktistos/Kiti). Nach einem kurzen Blick auf das Katharinenkloster/Sinai und seinem berühmten Apsismosaik (Verklärung Christi) widmet sich Engemann schließlich dem internationalen Pilgerzentrum von Abu Mena/Ägypten, wobei neben den Bauten auch die Segensandenken angesprochen werden, die die Pilger aus aller Welt mit nach Hause nehmen konnten. In diesen Themenkreis gehören auch die Ausführungen zum asketischen Stylitentum in Syrien, wobei besonders auf die kreuzförmige Anlage von Qal’at Sem’an eingegangen wird, die im letzten Viertel des 5. Jahrhunderts um die Säule des Symeon d. Älteren errichtet worden war. Ein weiteres großes Pilgerheiligtum Syriens lag zudem in Rusafa, in dem der heilige Sergios im Zentrum der Verehrung stand.
Das folgende Kapitel 8 (S. 180–193) widmet sich der dekorativen Innenausstattung von ausgewählten spätantiken und frühchristlichen Villen und Palästen. Vorgestellt werden etwa die konstantinische Deckenmalerei aus Trier oder auch zwei ebenfalls im 4. Jahrhundert entstandene, prachtvolle Wandinkrustationen (opus sectile-Arbeiten) aus Rom und Ostia. An zeitgleichen Fußbodenmosaiken hebt Engemann jene der Villa Romana del Casale bei Piazza Armerina auf Sizilien hervor. Einen besonderen Aspekt zeigt schließlich ein Fußbodenmosaik in einem Haus in Hinton St. Mary/Großbritannien, dessen Besitzer in frühchristlicher Zeit ein Bodenmosaik verlegen ließ, das antike mythologische Motive mit einer Christusbüste kombiniert. Abgerundet werden die Ausführungen des Kapitels mit einem Bodenmosaik aus dem Haus des Dominus Julius in Karthago, einem Mosaik in Antiochia/Orontes, das einen Phönix mit Nimbus und vom Kopf ausgehenden Strahlen zeigt, sowie einem Fußbodenmosaik eines Profanbaus unter der Vorhalle der Marienkirche in Madaba mit Motiven aus der klassisch-antiken Mythologie.
Das umfangreiche Kapitel 9 (S. 194–254) bietet einen sehr guten Einblick in das kleinformatige Kunsthandwerk der spätantik-frühchristlichen Zeit. Vorgestellt werden die wichtigsten Werke der Buchmalerei (u.a. Wiener Dioskurides, Vergilius Vaticanus, Wiener Genesis, Codex Rossanenis, Rabula-Evangeliar, etc.), ausgewählte Beispiele von Metallarbeiten (Altarkreuze, Reliquiare, Kelche, Silberplatten, Krüge, Anhänger, etc.) sowie Elfenbeinschnitzereien. Darüber hinaus finden sich ausgewählte Werkstücke der Glyptik und Glasproduktion (mit Zwischengoldgläsern und Diatretgläsern) sowie Beispiele figürlich verzierter Keramik (Lampen, Schalen). Zu erwähnen bleiben wenige Beispiele der Ikonenmalerei sowie der Textilkunst. Bei allen in diesem Kapitel behandelten Werkstücken handelt es sich um herausragende, kunst- und kulturhistorisch bedeutsame Stücke, die durchwegs aus dem kirchlichen sowie aus dem privaten Bereich stammen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es Engemann in vorzüglicher Weise gelungen ist, die wichtigsten Entwicklungsstufen der frühchristlichen Kunst und Architektur von ihren Anfängen im 3. bis in das 6. Jahrhundert kompakt nachzuzeichnen. Hierzu stützt sich der Verfasser nicht nur auf seine umfassende Fachkenntnis und seine zahlreichen Veröffentlichungen sondern auch auf die neuesten Forschungsmeinungen der internationalen scientific community. Engemann hat eine sehr gelungene Auswahl an Monumenten und Kunstwerken getroffen, die auf 270 Seiten in unterschiedlicher Intensität behandelt werden. Die Ausführungen sind durchwegs nachvollziehbar und schlüssig aufgebaut und erlauben dem interessierten Laien einen repräsentativen Einblick in die Kunst- und Kulturgeschichte des frühen Christentums. Die Texte werden durch 232 vielfach ganzseitige Farbabbildungen von bestechender Qualität illustriert bzw. helfen als Begleittexte, den Inhalt und die Aussagen der Bilder zu erfassen. Zwar verzichtet Engemann auf wissenschaftliche Verweise (Fußnoten), doch bietet er eine ausführliche, nach Kapiteln geordnete Bibliographie mit der wichtigsten und neuesten Fachliteratur, die zum weiteren Studium einlädt.
Abschließend sei zudem vermerkt, dass mit der vorliegenden Publikation zu den Kunstwerken der Übergangszeit von der heidnisch-antiken zur mittelalterlichen, christlich geprägten Welt das mehrbändige Werk ‚Römische Kunst‘ des Verlags abgeschlossen wird, das einen Bogen von den Anfängen des römischen Kunstschaffens über die Zeit der Republik und die Kaiserzeit bis zum 6. Jahrhundert spannt.

J. Engemann, Römische Kunst in Spätantike und frühem Christentum bis Justinian
Ca. 300 Seiten, 232 farb. Abb., 1 Karte
24 x 32,5 cm, geb. mit Schutzumschlag
Verlag Philipp von Zabern
Darmstadt 2014
ISBN 978-3-8053-4389-3
€ 79,00

© Ina Eichner, Andreas Pülz
e-mail: ina.eichner@oeaw.ac.at, andreas.puelz@oeaw.ac.at

This article should be cited like this: I. Eichner – A. Pülz, J. Engemann, Römische Kunst in Spätantike und frühem Christentum bis Justinian, Forum Archaeologiae 74/III/2015 (http://farch.net).



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