Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 70 / III / 2014

ZUM KONSUM VON BIER IN DER ÄGÄISCHEN BRONZEZEIT

Während sich im alten Ägypten und in Mesopotamien das Bier sowohl bei der arbeitenden Bevölkerung als auch bei den Priestern, Königen und Göttern hoher Wertschätzung erfreute, war es in der klassischen Antike als Getränk der unteren sozialen Schichten und fremder Bevölkerungsgruppen weitgehend verpönt, wie sich durch literarische Zeugnisse gut belegen lässt. Aufgrund dieser Quellenlage spielte ein möglicher Konsum von Bier in Untersuchungen zur Ernährung in der ägäischen Frühzeit lange so gut wie keine Rolle: Im Zentrum des Interesses stand zumeist die ‚Mediterrane Trias‘ (Getreide, Oliven/Olivenöl und Wein). Dies muss überraschen, waren doch die grundsätzlichen Bestandteile des Bieres – Wasser und Gerste bzw. Weizen – auch im frühägäischen Griechenland ausreichend vorhanden. Offensichtlich hat das in der klassischen Antike negativ gezeichnete Bild auf die Erforschung der bronzezeitlichen Ernährungsgewohnheiten ausgestrahlt.

Vor 15 Jahren trug eine Ausstellung im Athener Nationalmuseum mit dem Titel ‚Minoans and Mycenaeans. Flavours of their time‘ wesentlich dazu bei, die Ergebnisse biochemischer Analysen von organischen Rückständen in bronzezeitlichen Gefäßen in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit zu rücken. Mittels dieser Analysen konnte die Existenz von Gerstenbier sowohl im minoischen Kreta als auch im mykenischen Griechenland nachgewiesen werden. Unklar muss vorerst lediglich bleiben, ob das Bier in Form eines Mischgetränkes oder als Einzelgetränk konsumiert wurde. Vor diesem Hintergrund erhält die Vermutung, dass das Dekormotiv der Gerstenähre und der Weintraube auf bronzezeitlichen Gefäßen einen entsprechenden Gefäßinhalt (Bier bzw. Wein) impliziert, zusätzliche Bestätigung (Abb.). Unter Berücksichtigung dieser Evidenz soll abschließend auf Schriftzeugnisse hingewiesen werden, die näheren Einblick in den Umgang mit Bier in der ägäischen Frühzeit erlauben.

Zum einen sei auf ein ugaritisches Schriftzeugnis des 13.Jhs. v.Chr. verwiesen (RS 16.238). Den Textinhalt deutet man dahingehend, dass die genannten Produkte Getreide, Bier und Olivenöl von dem Händler Sinaranu aus Kaptara/Kreta nach Ugarit transportiert worden sind. Offensichtlich bildet dieses Dokument einen schriftlichen Beleg dafür, dass im spätbronzezeitlichen Kreta Bier nicht nur hergestellt, sondern sogar exportiert wurde.
Zum anderen könnten auch auf griechischen Linear B-Tafeln der mykenischen Palastzeit Hinweise auf die Verwendung von Bier enthalten sein. In diesen Dokumenten tritt das Logogramm *134/*190 auf, bei dem es sich zwar eindeutig um ein flüssiges Nahrungsmittel handelt, das aber nicht sicher identifiziert werden kann. Von den bislang vorgetragenen, wenig überzeugenden Interpretationsvorschlägen hebt sich die von R. Palmer unter dem Eindruck der genannten Athener Ausstellung ausgesprochene Deutung als Bier deutlich ab. Ihre Vermutung findet durch eine Analyse der kontextuellen Zusammenhänge, in denen dieses Logogramm auftritt, zusätzliche Bestätigung: *134/*190 wird vor allem zusammen mit Nahrungsmitteln verzeichnet, die für Festbankette bestimmt oder als Vergütung für erbrachte Arbeitsleistungen gedacht waren. Dies stimmt gut mit keilschriftlichen Texten überein, denen zufolge Bier sowohl bei Festbanketten getrunken als auch in Form von Rationen an Arbeiter ausgehändigt wurde. Wenn auch die zur Verfügung stehenden Dokumente keine sichere Deutung des Linear B-Logogramms ermöglichen, lässt sich zumindest festhalten, dass für eine alternative Interpretation ein vergleichbares Maß an Wahrscheinlichkeit nicht zu erbringen ist. Somit spricht vieles dafür, dass dem Bier auch bei mykenischen Festbanketten eine wichtige Rolle zukam.

© Jörg Weilhartner
e-mail: joerg.weilhartner@oeaw.ac.at

This article should be cited like this: J. Weilhartner, Zum Konsum von Bier in der ägäischen Bronzezeit, Forum Archaeologiae 70/III/2014 (http://farch.net).



HOME