Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 70 / III / 2014

DIE FRAGE DES ÜBERGANGS VOM RÖMISCHEN MUNICIPIUM AELIUM CETIUM ZUM HOCHMITTELALTERLICHEN ST. PÖLTEN, BELEUCHTET ANHAND DER NEUESTEN GRABUNGEN AM DOMPLATZ

Als eines der Schlüsselprojekte der Weiterentwicklung der Altstadt beinhaltet der Masterplan der Stadt St. Pölten die Sanierung und Neugestaltung des Domplatzes. Als Voraussetzung für dieses Vorhaben finden seit Herbst 2010 archäologische Grabungen statt (Abb.). Aus dem historischen Quellenmaterial, einer Georadaruntersuchung sowie kleineren Sondierungsgrabungen war bekannt, dass am Domplatz mit zwei mittelalterlichen Kirchenbauten (ehemalige Pfarrkirche und eine Doppelkapelle) sowie einer unbekannten, aber sicherlich in die Tausende gehenden Anzahl von Bestattungen zu rechnen sei, da sich hier bis 1779 der Stadtfriedhof befunden hat. Zudem liegt der heutige Domplatz im bebauten Areal einer römischen Stadt namens municipium Aelium Cetium.

Die bisher erzielten Ergebnisse haben die Erwartungen bei weitem übertroffen. Nur teilweise angeschnitten werden konnte ein großes Gebäude des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr., bestehend aus Sockelmauern und Fachwerkbau im Aufgehenden, das sich exakt in den orthogonalen Raster des municipium Aelium Cetium einfügte und im Süden von einer Portikus begleitet wurde. Die im Osten und Süden angrenzenden innerstädtischen Straßenzüge konnten ebenfalls lokalisiert werden. Es handelt sich hierbei offenbar um eine geschlossene Baublockverbauung im Gegensatz zu den Randbereichen der römischen Stadt. Massive Brandschuttschichten zeigen, dass dieses Gebäude durch Brand zerstört wurde. Eine periphere Nachnutzung ohne Berücksichtigung der Vorgängermauern konnte an wenigen Stellen anhand von Pfostenstellungen und Lehmböden nachgewiesen werden.
Im 4. Jahrhundert n.Chr. wurde darüber ein in Grundriss und Funktion völlig unterschiedlicher mehrteiliger Gebäudekomplex errichtet, bestehend aus einem zur Gänze freigelegten, freistehenden Badehaus und einem nur angeschnittenen Wohn- bzw. Verwaltungstrakt. Das Bad, das in erster Linie aus Rundmauern besteht, besitzt einen im gesamten Römischen Reich singulären Grundriss. Vom eigentlichen Wohngebäude konnte die Aula, ein großer Repräsentationszwecken dienender Raum mit Apsis im Norden, freigelegt werden. Solche Säle mit Apsis gehörten zum Standardrepertoire spätantiker Großvillen, von Statthalterpalästen oder Kaiserresidenzen. Die Anlage, die einen ehemaligen innerstädtischen Straßenzug überbaut, kann im weitesten Sinn als Verwaltungspalast eines ranghohen Beamten interpretiert werden. Diese Entdeckung zeigt, dass Aelium Cetium in der Spätantike eine viel höhere Bedeutung zukommt, als bisher von der Forschung allgemein vermutet wurde. Der erwähnte Repräsentationssaal wurde in einer zweiten Bauphase nochmals vergrößert und das bisher freistehende Badegebäude durch eine Mauer mit dem Verwaltungstrakt verbunden.
Im 9. Jahrhundert wurde das römische Badegebäude adaptiert und eine Rundkirche unter Verwendung der römischen Mauern errichtet. Bei dieser Kirche handelt es sich um eine der ältesten, bekannten Kirchen Niederösterreichs. Gleichzeitig wurde auch der Friedhof angelegt, wie C14-Untersuchungen der Skelette eindeutig nachgewiesen haben.
Um 1100 ersetzte man diese Urkirche durch einen Neubau, der sukzessive erweitert wurde. Frühestens um 1360 errichtete man dann die dreischiffige gotische Kirche, die mit geringen Umbauten bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts Bestand hatte. Dem nach dem Stadtbrand von 1620 folgenden Neubau des Klosters fielen die Chorbereiche der ehemaligen Pfarrkirche zum Opfer. 1690 wurde schließlich auch der Rest abgetragen.
Die Grabungen legten auch tausende Bestattungen frei, deren Untersuchung die Möglichkeit bieten, Rückschlüsse auf die damaligen Lebensumstände und Lebensweisen zu ziehen, sehr viele Hinweise auf den Gesundheitszustand im mittelalterlichen St. Pölten zu erhalten und bei einzelnen Individuen auch deren persönliches Leid nachvollziehbar zu machen.

© Ronald Risy
e-mail: Ronald.Risy@st-poelten.gv.at

This article should be cited like this: R. Risy, Die Frage des Übergangs vom römischen Municipium Aelium Cetium zum hochmittelalterlichen St. Pölten, beleuchtet anhand der neuesten Grabungen am Domplatz, Forum Archaeologiae 70/III/2014 (http://farch.net).



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