Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 62 / III / 2012

DAS DURCH ISEE KREIERTE ZAFAR VIRTUAL MUSEUM (ZVM), JEMEN

Forschungsgeschichte
Über 250 Jahre (270–523 n.Chr.) beherrschten die Himjaren mit ihren Alliierten das Gros der Arabischen Halbinsel, drei Viertel so groß wie Westeuropa. In ihrer Hauptstadt Zafar treffen wir auf eine Schlüsselstelle der Weltgeschichte, kurz vor dem Übergang zum Islam.
Heute ist die ehemalige Hauptstadt mit einer Bevölkerung von 450 ein armes Dorf im jemenitischen Hochland. Von seinem früheren Ruhm ist kaum noch was vorhanden. Paolo Costa schreibt, „nach dem Sommer 1972 führte ich eine erste archäologische Erkundung um Zafar durch. […] Etwa 902 fragmentarische reliefierte Steine […] sind in zwei Häusern im Dorf vorhanden“; 1975 schrieb er, dass das Ortsmuseum noch in Planung sei [1]. 1978 nahm Raymond Tindel die Arbeit in Zafar auf [2]: 674 Artefakte hat er zusammen getragen, die für das Museum inventarisiert werden sollten [3]. Die Raubgrabungen und Sammeltätigkeit im Dorf erweckten die Aufmerksamkeit des neuen Direktors des Antikendientes, Qaḍi Ismʿāil bin ʿAlī al-Akwaʿ, der 1978 die ersten Baumaßnahmen anordnete. Der Präsident der Volksrepublik des Jemen, ʿIbrahim al-Ḥamdi, besuchte das Dorf und verlieh dem Museumsprojekt sein Gewicht. Wenige Jahre später nahm das Museum seine endgültige Form an, blieb aber vor 2002 weitgehend leer (Abb. 1-2).
2002 unterstütze das Zayed Centre for Coordination and Follow-up in Abu Dhabi (2003 geschlossen) die Autoren mit 12000 US$; damit konnten zehn zweisprachige Poster, Saalzettel sowie Flugtickets und Aufsichtspersonal finanziert werden. Die General Organisation for Archaeology and Museums (GOAM) hatte das Gebäudedach erneuert und den gesamten Bau renoviert. Die drei Ausstellungsräume, zusammen 92 m2, sind Inschriften, bildender Kunst und Archäologie gewidmet. Dazu gibt es ein Magazin mit 18 m2, außerdem einen kleinen Raum für die Lagerung der Werkzeuge und ein kleines Büro, in dem die Grabungsmannschaft gearbeitet hatte. Eine 4 m hohe Mauer umschließt das Museum.
2000 und 2002 haben wir erstmalig die Museumsbestände fotografiert und fingen an, das Museum zu reorganisieren. 2003 folgte eine weitere Fotokampagne, die der Fotograf Marcus Schicht mit der damals noch neuen Digitalfotografie durchführte.
Die Katalogisierung der himjarzeitlichen Reliefs und Statuen begann bereits im Jahr 2000 (Abb. 3); Sarah Japp übernahm gemeinsam mit Paul Yule das Schreiben des Katalogs. Trotz der kleinen Dimension beherbergt das Museum in Zafar die weltweite größte Sammlung himjarzeitlicher Artefakte. Das meiste befindet sich im Magazin, die besten Stücke werden aber ausgestellt. Das Museum beinhaltet ca. 935 Reliefs, ca. 200 altsüdarabische (Musnad) Inschriften sowie weitere ca. 100 steinerne Artefakte.

Bis 2008 haben wir das Magazin neugeordnet, die Artefakte nummeriert und inventarisiert. Einige Objekte hatten damals bis zu vier unterschiedliche Inventarnummern. 2003–2005 wurden Vitrinen angeschafft. 2006 und 2009 baute die Heidelberger Arbeitsgruppe Magazine im Museumsareal, um ausgegrabene Reliefs, Keramik, Kleinfunde und organische Reste zu lagern. Außerdem errichteten wir eine 2,5 m lange Tafel, auf der Keramikproben montiert wurden.
2007 begann die GOAM Außenstelle Ibb die Ausstellung in Zafar als Lagerraum für alte Vitrinen, unerwünschte Materialien und Mühlsteine zu verwenden. Einige dieser Artefakte stammten von der benachbarten archäologischen Fundstätte, al-ʿUsaybīyah. Seither war das Musuem nur mehr bedingt zugänglich.
Um 2008 ließ außerdem die Sicherheit nach, was den Tourismus effektiv verhinderte. Das Problem der Unzugänglichkeit betrifft jedoch nicht nur das Zafar Ortsmuseum sondern auch andere Museen außerhalb der Hauptstadt. Darüber hinaus sind Museen im Jemen verarmt und können kaum die Grundfunktionen erfüllen. Um solchen Problemen entgegenzuwirken, entstand der Impetus für das Zafar Virtual Museum.

Publikationsstand
Nur wenige Archäologen archivieren ihre unpublizierte Dokumentation und machen sie öffentlich zugänglich. Um eine gesicherte und geographisch unabhängige Verbreitung von Publikationen und Dokumentationsmaterial zu gewährleisten, wurden 26 ausgewählte Publikationen von P. Yule und dessen Grabungsberichte im Textserver Propylaeum-DOK eingestellt. Hinzu kommen über 5200 Bilder zum Thema Arabien in der Bilddatenbank HeidICON [6].
Es gibt noch weitere Möglichkeiten: Die Publikationsplattform Savifa-DOK [7] archiviert beispielsweise Fotos und sonstige Unterlagen der archäologischen Expedition Orissa der Kieler Universität (2000-2006) (http://dynweb.rz.uni-kiel.de/~sughi063/literat/index.html). Solche Archive können die Grabungsberichte selbst ergänzen.
Interaktive Programme können dem Anwender helfen, größere Datenmengen zu bearbeiten und komplexere Verbindungen zu erkennen [8]. Entsprechende Webanwendungen können den Datenzugang beinahe so einfach wie die Handhabung auf dem Desktop ermöglichen.

3D-Modell
3D-Visualisierungen haben eine Vielzahl von Anwendungen, nicht nur in der Geographie und Urbanistik sondern auch in der Archäologie. Insbesondere ermöglicht uns diese Technologie, detaillierte Simulationen von frühen Siedlungen zu gestalten und die dritte Dimension hinzuzufügen, die ein vollständigeres und lebhafteres Erfahren erleichtert.
Anhand der rapiden Entwicklung digitaler Technologien in den letzten Jahren (3D-Scanning, Scanning aus der Luft und 3D Computer-Graphiken) können wir die unterschiedlichsten Gegenständen und Kontexte des kulturellen Erbes erfassen und sie visualisieren. Besonders die 3D-Visualisierung ermöglicht eine koordinative Erfassung unserer Welt, die die räumlichen Verhältnisse in ihren verschiedenen Teilen respektiert [9]. Interaktive Visualisierungen ermöglichen einen einfacheren Zugang zu Informationen und steigern das Erlebnis für den Anwender [10]. Bei Systemen der 3D-Umwelt mittels eines intuitiven Interface kann der Anwender Daten nicht nur anschauen, sondern auch gestalten und verändern.
Das Zafar Virtual Museum ist eine interdisziplinäre Arbeit, die mit sehr bescheidenen Mitteln kreiert wurde. Das 3D-Modell war anfangs nicht konzipiert, sondern es wurde aus bereits bestehenden Bildern gestaltet, die ursprünglich andere Zwecke hatten. So war eine exakte Rekonstruktion weder möglich, noch konnte sie angestrebt werden. Die virtuelle Wirklichkeit kann aber eine dreidimensionale Umwelt, einen Container, kreieren - die darin gelagerten Gegenstände sind aber wichtiger als das Museumsgebäude selbst.

Wissenserwerb
Die im Museum gelagerten Artefakte bestehen aus steinernen Reliefs, altsüdarabischen Inschriften, metallischen und sonstige steinernen Artefakten. Das ZVM verwendet vorwiegend Fotos in JPG- und TIF-Format. Sie wurden in das Modell eingespiegelt, in wenigen Fällen auch als 3D-Modell.
Zu den einzelnen Exponaten gehören erklärende Texte; englisch und arabisch werden unterstützt. Wie die Fotos werden diese Informationen ebenfalls in das 3D-Modell eingebettet. Solche ‚Zusatzinformationen’ sind genau das, was ein Besucher gern wissen möchte. Wir binden diese ‚nicht 3D-Informationen’ in das Modell mit einer Programmierung namens ISEE ein. Das Programm ISEE (englisch „I see“) erlaubt die interaktive Navigation im dreidimensionalen Raum. Es handelt sich um ein synthetisches 3D-Modell, das die Realität widerspiegelt.
Die ISEE-Methode ermöglicht die Veranschaulichung von Gegenständen, zum Beispiel aus der Denkmalpflege, wie ein Mensch sie sieht: Er schaut ein Objekt an. Das Hinschauen ermöglicht das erfassen und die Eingliederung von Informationen. Die Grundidee ist zuerst in eine 3D-Umwelt hineinzuschauen und dann Informationen zu erhalten. ISEE ermöglicht die Erfassung von räumlichen Daten mittels der Navigation in einer 3D-Umwelt. Es setzt keine Spezialkenntnisse des Anwenders voraus.
Alle Informationen, die im System eingegeben werden, sind mit approximierten Bereichen (Information Zones, IZs) verbunden. Der Bereich, der angeschaut wird, wird als Sichtbereich (View Zone, VZ) definiert.
ISEE arbeitet nicht nur mit Punkten sondern mit ausgedehnten Bereichen und definiert eine räumliche Relevanz. Diese Relevanz hängt mit der Größe und Entfernung zwischen den Sicht- und Informationszonen zusammen. Wenn die beiden übereinstimmen, erreicht die Information maximale Relevanz. Der verwendete Ranking-Algorithmus kann hohe Volumen von Informationen verarbeiten (Abb. 4). Die räumliche Relevanz ist durch die Überschneidung von genormten 3D Gaußschen Funktionen definiert [11].
Jedes Objekt im Museum hat verschiedene eingebettete Informationen, z.B. eine Beschreibung, Fotos etc. In den Räumen des Museums befinden sich Exponate und Poster auf beiden Seiten der Wände. In einem solchen Fall können wir nicht die direkte Distanz benützen, um die Relevanz zu berechnen: Gegenstände, die unsichtbar sind (hinter einer Wand zum Beispiel), könnten näher sein und fälschlicherweise als relevant klassifiziert werden. Wir benutzen dieselbe Lösung, die wir bereits z.B. in einem Raum mit geteilten Zimmerhälften getestet hatten [12]: Wir teilen den Raum in konvexen Sektoren auf und vergrößern den Abstand der Gegenstände in verschiedenen Sektoren künstlich.
Die Benutzeroberfläche von ISEE ist konzipiert, einfach und benutzerfreundlich zu sein. Man kann die Interaktion als Fensterrahmen verstehen, der eine 3D-Ansicht des virtuellen Modells enthält. Innerhalb des interaktiven 3D-Modells kann man ungehindert navigieren und den räumlichen Kontext anpeilen. Während der Anwender sich bewegt, erzeugt das Programm eine Liste von relevanten Zielen in der VZ. Wählt man einen Gegenstand, erscheinen zusätzliche Informationen in der Bildfläche.
Künftige Zugänglichkeit ist ein wichtiger Aspekt. Unser Programm sichert dies, soweit wie möglich, – wie das Web - durch die Verwendung gängiger und weit verbreiteter Datenformate. Darüber hinaus können alle Dokumente auch mittels URL (Uniform Resource Locator) aufgerufen und gespeichert werden.
Unsere Anwendung beruht auf dem Webrahmen Ruby on Rails (http://rubyonrails.org). Auf der Basis einer Datenbank und eines auf Dateien basierenden Archivs ermöglicht sie dem Anwender mit dem 3D-Betrachter Informationen einzufügen, zu ändern und zu browsen.
Obwohl es einige Standards und Technologien gibt, die das 3D-Navigieren im Web ermöglichen, ist deren allgemeine Nutzung noch etwas eingeschränkt. Für die Visualisierung von 3D-Modellen und die Navigation benutzen wir Unity3D-Technologie (http://unity3d.com). Das Unity-Plugin existiert für die wichtigsten Browser (IE, Firefox, Safari) und Plattformen (Windows, OsX, Linus) und begrenzt die Anwendung nicht.
Wir haben die mit dem Modell interagierenden Elemente definiert und das gesamte Paket auf den Server der Heidelberger Universität exportiert. Es soll auf der Homepage des Seminars für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (http://semitistik.uni-hd.de/mitarbeiter.html) residieren. Dies scheint passend, da Mitarbeiter des Seminars seit 1985 im Jemen aktiv arbeiten.
Das Zafar Virtual Museum ist für alle, die das Internet verwenden, allgemein zugänglich.

Schlüsse
Die ISEE-Methode für das Zafar Virtual Museum ermöglicht einem breiten Anwenderkreis Zugang zu Informationen über das Internet. Die Webanwendung erlaubt einen virtuellen Besuch und man kann von Raum zu Raum gehen, wie bei einem analogen Besuch. Anhand von ISEEs Interaktionen erhält der Besucher während des Museumsbesuchs weiterführende Einzelinformationen (Abb. 5).

Die ISEE-Webanwendung ist ein Werkzeug für Bildung und Training (E-Learning) und um Daten zu teilen. Sie verbindet diverse Forschungsbereiche technologisch, benötigt aber keine speziellen Voraussetzungen; sie funktioniert mit allen vielverwendeten Webbrowsern (http://zafar.iwr.uni-heidelberg.de/). Sie ist bedienerfreundlich, preiswert und zuverlässig.
Wir hoffen, dass das Zafar Virtual Museum (ZVM) als Modell dienen wird, auch um die touristische Infrastruktur des Jemen zu stärken. Ein weiteres Virtuelles Museum ist für das Sultanat Oman geplant.

Danksagung
Unser Dank gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft an Werner Arnold bewilligt (AR 231/9-1-3). Unsere Arbeit genoss auch die Unterstützung des jemenitischen Antikendiensts GOAM. Sabina Antonini korrigierte den Textteil über den Bau des Zafar-Museums.

[1] P. Costa, Antiquities from Zafar (Yemen) – II, Annali dell’Istituto Orientale di Napoli, 36, 1976, 445-456.
[2] R. Tindel, Archaeological Survey of Yemen: The First Season, Current Anthropology, 21.1, 1980, 101-102.
[3] R. Tindel, A Preliminary Survey of the Zafar Museum Collection, Proceedings of the Seminar for Arabian Studies 10, 1980, 111-114.
[4] Ein entsprechender Katalog ist in Vorbereitung.
[5] http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/schriftenreihen_ebene2.php?sr_id=5&la=de
[6] http://heidicon.ub.uni-heidelberg.de/module/extlinks.php/pool/zafar
[7] http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/savifadok/
[8] D.A. Bowman - E. Krujff – J.J. La Viola - I. Poupyrev, 3D User Interfaces, Theory and Practice (Boston 2005).
[9] I. Kulitz - P. Ferschin - P. Matejowsky, 4d Visualization Methods in Archaeology, in: Archäologie und Computer, Kulturelles Erbe und Neue Technologien, Workshop 11, Wien, Austria, 2006. [10] D.A. Bowman - E. Krujff – J.J. La Viola - I. Poupyrev, 3D User Interfaces, Theory and Practice (Boston 2005).
[11] L. Pecchioli - M. Carrozzino – F. Mohamed, Isee: Accessing Relevant Information by Navigating 3d Interactive Virtual Environments, in: Digital Heritage Proceedings of the 14th International Conference on Virtual Systems and Multimedia, IEEE VSMM 2008 - Limassol (Cyprus) (http://www.map.archi.fr/aibm/Portal_of_Architectural_Image-Based-Modeling/Article-Pecchioli.html).
[12] L. Pecchioli, Accessing Information Navigating in a 3D Interactive Environment (PhD thesis, IMT Institute for Advanced Studies, Lucca 2008).

© Laura Pecchioli, Paul Yule, Fawzi Mohamed
e-mail: laura.pecchioli@gmx.de, Paul.Yule@t-online.de


This article should be cited like this: L. Pecchioli, P. Yule, F. Mohamed, Das durch ISEE kreierte Zafar Virtual Museum (ZVM), Jemen, Forum Archaeologiae 62/III/2012 (http://farch.net).



HOME