Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 58 / III / 2011

VOM EROBERN UND ENTDECKEN
Die Teile der Ausstellung in der Kulturfabrik Hainburg

Der dritte Ausstellungsort, die „Kulturfabrik“ (früher: Tabakfabrik) in Hainburg, ist der Gesamtthematik der Ausstellung gewidmet – unter Einbeziehung auch der Römer, aber vielfach darüber hinausführend.

Folgende Gedanken waren für die inhaltliche Gestaltung maßgebend:

  • Keine Angst vor der Chronologie – eine erkennbare zeitliche Abfolge erleichtert den Besuchern eine erste Orientierung
  • Keine sture Aneinanderreihung von Jahreszahlen.
  • Zusammenhängende Themen, aber keine sklavisch „logische“, ermüdende Abfolge von Eroberungen und Entdeckungen.
  • An einigen Stellen bewusste thematische Sprünge – das weckt die Aufmerksamkeit der Besucher.
  • Nicht alles zeigen – eine Ausstellung ist kein an die Wand geklebtes Buch, sondern ein ganz eigenes Medium.
  • Dem eindrucksvollen Originalobjekt Vorrang geben – wenn nötig, finden sich auch illustrative Reproduktionen.
  • Regionale Bezüge – und wenn nicht diese, dann niederösterreichische oder österreichische – in den Mittelpunkt stellen (was nicht einen kleinlichen Lokalpariotismus nähren, sondern das Anknüpfen an die Lebenswelt vieler Besucher erleichtern soll).
  • Auf Objekte setzen, die im Kontext der Ausstellung Aussagekraft besitzen. Am Beispiel des „awarischen“ Steigbügels, eines besonders unscheinbaren Objekts: Er erklärt nicht nur die Möglichkeit des Steppenreiters zum Bogenschuss vom Pferd aus, sondern – nach seiner Übernahme durch die Franken – auch die Stoßkraft des westeuropäischen Panzerreiters. Er ermöglichte ihm, die Energie des galoppierenden Pferdes in seinen Lanzenstoß zu legen.

Thematisch ist das zweite Obergeschoß der Fabrik dem Erobern gewidmet, das erste dem Entdecken. Rekapitulieren wir in knapper Form die in Hainburg gebotenen Inhalte.

Erobern
1. Nochmals kommen die Römer zu Wort. Anders als in Petronell oder in Bad Deutsch-Altenburg geht es hier auch um vorrömische Eroberer, besonders die Kelten. Die Römer selbst werden primär in ihren militärischen Belangen gezeigt – auch wenn uns bewusst ist, dass die Römer von Carnuntum nicht mehr Eroberer, sondern Verteidiger waren.
2. Carnuntum liegt am Kreuzungspunkt der Donau und der Bernsteinstraße. Bernstein wird an der Ostseeküste gefunden. Das goldbraun glänzende Mineral – ein fossiles Harz – war schon vor den Römern für Schmuck begehrt. Von der Ostseeküste bis Aquileia in Norditalien wurde Bernstein transportiert, eine wichtige Handelsware. Carnuntum war ein wichtiger Umschlagplatz. Von Carnuntum bis Aquileia wurde die Bernsteinstraße im Römerreich zur Straße ausgebaut.
3. Völkerwanderung: 375 n.Chr. besiegten die Hunnen in der ukrainischen Steppe die Ostgoten – die Barbaren drängten ins Imperium Romanum. Nach Hunnen, West- und Ostgoten, Gepiden, Rugiern und anderen tauchten im späten 4. Jahrhundert „neue“ Eroberer auf: Langobarden und – als letzte Eroberer der Völkerwanderung – Awaren. Sie besetzten 568 n.Chr. das Karpathenbecken bis zum Wienerwald. Die Langobarden aber gingen nach Italien.
4. Von den Awaren ins Hochmittelalter erfolgt ein großer zeitlicher Sprung. Das Reich der Awaren wurde – was hier nicht thematisiert wird – von Karl dem Großen um 800 n.Chr. zerstört. Auch ihr Name verschwand innerhalb kurzer Zeit. Mit den Magyaren (Ungarn) rückten im späten 9. Jahrhundert neue Eroberer aus dem Osten vor. 907 erlitten die Bayern bei Pressburg (Bratislava, Poszony) eine schwere Niederlage gegen die Ungarn. Das Land östlich der Enns ging verloren. Erst nach der Schlacht auf dem Lechfeld (955 n.Chr.) wurden die Ungarn sesshaft. Im Osten Bayerns entstand eine kleine Mark, „Ostarrîchi“.
5. Der zweite große Schwerpunkt der Ausstellung ist Hainburg gewidmet. Mit Hainburg wird der Aspekt der Sicherung der Eroberung thematisiert, aber auch das „Mittelalter“. Kaiser Heinrich III. eroberte 1042 die an der Stelle des heutigen Bad Deutsch-Altenburg gelegene „Heimenburg“. Für die deutschen Könige und römischen Kaiser war die ungarische Burg aber schlecht positioniert: Sie bot Schutz gegen Westen, die neue Grenze lag jedoch etwas weiter östlich – daher entstand eine neue „Heimenburg“ weiter im Osten, auf dem beherrschenden Berg über der heutigen Stadt Hainburg. Am alten Ort blieb die Ortsbezeichung „(Deutsch-) Altenburg“ erhalten. Im 13. Jahrhundert eine wichtige Burg und bereits zur Stadt geworden, verlor Hainburg später ein wenig an Bedeutung, blieb aber wichtig für die Versorgung der kaiserlichen Truppen in Ungarn während der Türkenkriege.
6. Der nächste große Bereich behandelt die osmanische Expansion und den Kampf um Ungarn. Das expandierende Reich der Osmanen und die aufstrebende Macht der Habsburger stießen in Ungarn ab 1526 zusammen. Der fast 200-jährige Kampf um Ungarn begann. 1529 zogen die Türken erstmals vor Wien. Die weiträumigen türkischen Eroberungen des 16. Jahrhunderts waren mit dem Namen des großen Sultans Suleiman, der den Beinamen „der Prächtige“ trug, verbunden. Sein letzter Kriegszug führte ihn 1566 wieder nach Ungarn. Der ungarisch-kroatische Adelige Nikolaus (Miklós) Zrinyi hatte seine Festung Szigetvár kräftig ausgebaut. Suleimans Heer belagerte ihn dort mit gewaltiger Übermacht. Knapp vor dem Fall von Szigetvár starb der Sultan. Das osmanische Heer erfuhr nichts davon. Mit den letzten Getreuen fiel Zrinyi aus der brennenden Feste aus, tötete noch zahlreiche Feinde und starb. Hinter ihm explodierte der Pulverturm. Szigetvár fiel, aber die Habsburger waren gerettet. Eine Szene wie bei Homer oder im Nibelungenlied.
Die zweite Belagerung Wiens im Sommer 1683 endete mit einer katastrophalen Niederlage der Türken und leitete die Rückeroberung Ungarns ein. Im Frieden von 1699 wurde ganz Ungarn ohne das Banat habsburgisch, 1718, nach der Eroberung Belgrads durch Prinz Eugen, auch dieser wichtige Teil des damaligen Südungarn.
Die (Rück-)Eroberung Ungarns wurde massiv abgesichert. Zunächst durch die schon im 16. Jahrhundert in Kroatien und Ungarn errichtete Militärgrenze – eine eigene Grenzregion, bewohnt von Bauernsoldaten mit eigenem Recht, meist orthodoxen Flüchtlingen aus den türkischen Gebieten. Ab 1718 erfolgte eine systematische Ansiedlung nicht nur von „Schwaben“, sondern auch von Slowaken, Serben, Lothringern, Italienern, Ungarn etc. Festungen und Städte wurden gegründet.
7. Themenwechsel: Die wohl größte Eroberung aller Zeiten war die Unterwerfung großer Teile der Erde durch die Europäer. In diesem Bereich geht es um die Eroberung der Welt mittels Kanonen und Silber. Die Motive waren nur scheinbar einfach – die Gier nach Gold und Edelsteinen, die Nachfrage nach Gewürzen sowie feinen Seiden- und Baumwollstoffen.
Spanier, Portugiesen, Holländer, Franzosen und Briten eroberten Amerika, Ozeanien, Indonesien, Stück für Stück auch Indien. Ihre Feuerwaffen und ihre eisernen Rüstungen verschafften ihnen oft militärische Überlegenheit. Oft, aber nicht immer: Wo man nicht mit Gewalt an die begehrten Güter herankam, musste man bezahlen, und zwar mit Silber. Für die Gewürze und Juwelen Indiens ebenso wie für die Seide und das Porzellan Chinas. Über mehr als zwei Jahrhunderte floss ein enormer Strom Silbers von Europa nach Asien – als Barren oder gemünzt. Das Silber kam zunächst aus Europa selbst: aus Tirol, Sachsen, Böhmen und Ungarn (Oberungarn, heute Slowakei). Ab etwa 1550 strömten gewaltige Mengen von Silber aus Südamerika nach Europa – und von da weiter nach Asien. Der Bergbau in Böhmen, Tirol und Oberungarn begründete die Macht der Habsburger und den Reichtum der Fugger sowie der Kaufleute von Amsterdam.

Entdecken
Dem Entdecken ist das erste Obergeschoß der Kulturfabrik gewidmet. Sicher waren die militärischen Eroberer auch die ersten Entdecker – wie Hernán Cortés, der das Aztekenreich in Mexiko entdeckte und zerstörte.
1. Aber schon im Gefolge der Konquistadoren kamen Missionare. Für die christliche Mission war das Bibelwort „Geht hin in alle Welt und lehret alle Völker ...“ (Matthäus 28,19) der entscheidende Ansporn. In der frühen Neuzeit wurde christliche Mission zur wichtigsten Legitimation des Kolonialismus – auch wenn sich viele Eroberer und Entdecker nicht besonders „christlich“ verhielten.
Missionare wurden zu Forschern: Sie mussten Sprache, Religion, Sitten und Gebräuche der Menschen kennen, die sie bekehren wollten. So wurden sie zu (Mit-)Begründern von Sprachwissenschaft, Ethnologie und Anthropologie.
2. Einer der bedeutendsten Entdecker des 18. Jahrhunderts war James Cook. Er schloss die Entdeckungsfahrten im Indischen Ozean und im Pazifik ab. Seine Seekarten waren die besten seiner Zeit. Doch was hatte Cook mit Österreich zu tun? Er persönlich nichts. Aber als die große Sammlung Cooks einige Zeit nach seinem Tod versteigert wurde, beauftragte Kaiser Franz den Leiter der naturkundlichen Sammlungen des Kaiserhofes damit, bei der Versteigerung in London zahlreiche und wichtige Stücke zu erwerben. Sie befinden sich bis heute in Wien, im Naturhistorischen Museum ebenso wie im Museum für Völkerkunde.
3. Der folgende Teil der Ausstellung macht besonders auf einige österreichische Entdecker- und Forscherpersönlichkeiten aufmerksam. Die großen Entdeckungen wurden ja von Italienern in spanischen (oder anderer Länder) Diensten, von Portugiesen, Spaniern, Niederländern, Engländern und Franzosen gemacht, im Norden auch von Dänen und Norwegern. Sibirien wurde von Russen erschlossen. Aus Österreich kamen Missionare (als Jesuiten bis China), ab dem späten 18. Jahrhundert auch Naturforscher.
Einen besonderen Ansporn für intensivere Forschungen in fernen Ländern bildete die Verheiratung von Erzherzogin Leopoldine mit Dom Pedro, dem späteren Kaiser von Brasilien (1817). Auf ihrer Reise in die Neue Welt wurde sie nicht nur von bekannten Malern wie Thomas Ender begleitet, sondern auch von Naturforschern wie Johann Natterer. Er blieb 18 Jahre dort, durchzog beinahe alle Teile des riesigen Landes und schickte über 50.000 Präparate von Tieren (darunter 12.293 Vögel, 1.146 Säugetiere, 1.678 Reptilien und Amphibien) nach Wien. Sie sind noch heute kostbare Bestandteile der Sammlung des Naturhistorischen Museums. Neben Natterer werden in diesem Abschnitt der Geologe Virgil Helmreichen von Brunnfeld, der ebenfalls in Südamerika forschte, Ferdinand Lukas Bauer, Blumenmaler, Botaniker und einer der ersten Österreicher in Australien, sowie die bekannte Weltreisende Ida Pfeiffer dokumentiert.
4. Das größte österreichische Forschungsunternehmen in Übersee war zweifellos die Weltumsegelung durch die Fregatte „Novara“ (1856–1859). Sie erfolgte auf Initiative von Erzherzog Ferdinand Maximilian, dem Bruder des Kaisers, dessen Leben später als Kaiser Maximilian von Mexiko unglücklich und gewaltsam endete (1867). Die Expedition war gleichermaßen wissenschaftliches Unternehmen wie politische Demonstration. Die wissenschaftliche Dimension wurde von der noch jungen Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien betreut. Die politische war in Richtung des außerösterreichischen Deutschland gedacht: Seht her, wir können das!
Aus Neuseeland, wo die „Novara“ länger verweilte, kamen zwei hochgestellte Maoris nach Wien – man könnte das als die Umkehrung der bis dahin „gewöhnlichen“ Entdeckungen bezeichnen. Sie blieben mehrere Monate, lernten setzen und drucken und genossen den Wiener Fasching.

5. Die bekannteste Forschungsreise der österreichisch-ungarischen Monarchie war zweifellos die Arktisexpedition der „Admiral Tegetthoff“ unter Carl Weyprecht und Julius von Payer (1872–1874). Weyprecht und Payer suchten die Nordostpassage (also einen durchgängigen Seeweg nördlich von Sibirien zum Pazifik), wurden aber vom Eis eingeschlossen und trieben nach Norden, wo sie eine bis dahin unbekannte Inselgruppe fanden – das Franz-Joseph-Land. Der wichtigste Förderer des Unternehmens war Hans Graf Wilczek. Carl Weyprecht, Offizier der Kriegsmarine mit wissenschaftlichen Interessen, leitete die Expedition auf See als Kapitän. Julius Payer war Offizier des Landheeres, Geograf und Hochalpinist mit über 30 Erstbesteigungen in den Ostalpen.
6. Ein neues Thema und eine wichtige Entdeckung: jene des „Volkes“. Im ländlichen „Volk“ suchte eine städtische, bürgerliche Wissenschaft das Urtümliche, Ursprüngliche, Echte – im Gegensatz zum raschen, oft radikalen Wandel von Kultur, Kunst und Lebensweise der Städter. Dahinter hoffte man das gemeinsame kulturelle Erbe einer Abstammungsgemeinschaft („Volk“ als Kern der „Nation“) zu finden. Im alten Österreich entwickelten sich aber auch wichtige Ansätze einer vergleichenden Analyse der „naturwüchsigen Volksäußerungen, welche über alle nationalen Grenzen hinwegreicht“ (Michael Haberlandt). Der Semmering steht – in unserer Ausstellung – neben Sarajevo, Niederösterreich neben Bosnien.
Der Film „Das Fest des Huhnes“ kehrt die Attitüde der forschenden Entdecker gegen ihre Herkunftsländer – Forscher aus Schwarzafrika erkunden auf einer Reise die exotischen Gebiete Mitteleuropas. Sie suchen den religiösen Hintergrund seltsam anmutender Bräuche, vor allem von Zeltfesten, bei denen ungeheure Mengen an Brathühnern verzehrt werden.
7. Neuerlicher Themenwechsel: die Eroberung der Donau und die – sehr partielle – Rückgabe der Eroberung an den Strom in Form des Nationalparks. Carnuntum-Petronell, Bad Deutsch-Altenburg, Hainburg liegen am zweitlängsten Strom Europas. Er trennt und verbindet, ist Grenze, Verkehrsweg, Quelle für Nahrungsmittel, Bewässerung, Energie. Einst gestaltete dieser Strom mit seinen Überschwemmungen und Mäandern die Landschaft, schuf Inseln, Arme und Aulandschaften. Über Jahrhunderte wollten Menschen die Donau „erobern“, durch Regulierungen und Dammbauten die Hochwasser bändigen, eine sichere und gleichmäßige Schifffahrtsstraße schaffen, zuletzt durch Wasserkraftwerke „saubere“ Energie gewinnen. Aus dem Protest gegen ein Kraftwerk bei Hainburg (1984) erwuchs der Nationalpark Donauauen, mit dem der eroberte Strom ein Stück seiner natürlichen Umwelt zurückerhält.
8. Die neue Sicht der Dinge: Sie begann mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften ab dem 17. Jahrhundert und ist noch lange nicht zu Ende. Brillen und Mikroskope ermöglichten einen schärferen Blick auf immer kleinere Details, Fernrohre immer bessere Einblicke über immer größere Entfernungen. Das bringt der Forschung immer neue Entdeckungen von Mikrowelten, aber auch im Universum. Satelliten eröffnen eine neue Sicht auf unsere Erde. Roboter senden Daten vom Mars zur Erde, das Hubble-Teleskop bietet Einblicke in bisher unbekannte Welten im Universum – Entdeckungen ungeahnten Ausmaßes.
9. Das letzte Objekt der Ausstellung: der Insight-Turm. Diese Installation von Elisabeth Schimana und ihrem Team symbolisiert eine „Weltenmaschine“. Man steckt den Kopf in den Turm, der Körper bleibt draußen. Im Turm wird sichtbar, wie das „Netz“ funktioniert – jenes geheimnisvolle Wesen, aus dem wir immer mehr Informationen beziehen, dem wir aber auch laufend neue Informationen zuführen. Gezeigt wird hier nicht die neue Sicht der Dinge selbst – gezeigt wird, wie diese neue Sicht erzeugt wird. Die neue Realität unserer Zeit.
Was soll die Ausstellung bewirken? Natürlich jenes „Erleben“, das im Titel auch vorkommt. Erleben, Freude, Kopfschütteln, Neugierde, ein bewussteres Hinausgehen in die Welt des Alltags, mit ihren kleineren oder größeren Eroberungen und Entdeckungen.

© Ernst Bruckmüller
e-mail: ernst.bruckmueller@univie.ac.at


This article should be cited like this: E. Bruckmüller, Vom Erobern und Entdecken. Die Teile der Ausstellung in der Kulturfabrik Hainburg, Forum Archaeologiae 58/III/2011 (http://farch.net).



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