Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 54 / III / 2010

AGRARGESELLSCHAFT UND ALAMANNENBEUTE
Die Villa rustica von Oberndorf a. Lech (Bayern) im 3.Jh. n.Chr.

Die typischen Standorte römischer Villae rusticae in Raetien sind hinlänglich bekannt: v.a. Hangkanten oder leichte Höhenrücken wurden bevorzugt aufgesucht. Der Gutshof von Oberndorf a. Lech (Lkr. Donau-Ries) nördlich von Augsburg stellt hierbei eine Ausnahme dar: 1978 im Lufbild entdeckt und 1988/89 im Zuge einer Rettungsgrabung freigelegt, befindet sich dieser in der hochwassergefährdeten Flussniederung des Lech, unweit dessen Mündung in die Donau.
Der Siedlungsbeginn kann nach der Mitte des 1.Jh. n.Chr. angenommen werden. Bis in etwa hadrianische Zeit bestand die Anlage aus etwa acht von einem Zaun umgrenzten Holz-Pfostenbauten, die sukzessive und ohne erkennbares architektonisches Gesamtkonzept durch Steinbauten ersetzt wurden. In einigen Fällen wurde der hölzerne Vorgänger überbaut, in anderen scheinen gleichbleibende Grundrisse innerhalb des Hofareals "gewandert" zu sein. Die Steinvilla setzte sich aus einem Hauptgebäude vom Typ der Porticus-Eckrisalitvilla sowie aus einem Bad, drei Brunnen und sieben Nebengebäuden - darunter Wagenremise, Speicherturm und vielleicht ein Heiligtum - zusammen. Im Befund selbst fanden sich kaum Mauerreste, lediglich unter dem römischen Gehhorizont liegende Ausrissgräben und Stickungsreste - der neuzeitliche Steinraub wirkte sich hier zu stark aus.
Für das Ende der Villa rustica war ein großes Schadensfeuer verantwortlich, das zwanglos mit den Alamanneneinfällen zwischen 233 und 260 n.Chr. in Verbindung gebracht werden kann. Es findet sich zwar kein durchgehender Zerstörungshorizont, doch künden verbrannte Keramikfragmente (etwa Reliefsigillata der Gruppe IIIb nach H. Bernhard) von diesem Einschnitt in die Siedlungsgeschichte.

Der bedeutendste Befund liegt jedoch etwas versteckter: im Steinkeller von Nebengebäude 5 fand sich ein Materialdepot aus hunderten Eisenobjekten, das von einer massiven Schüttung aus Ziegelschutt überdeckt war. Der gesamte Komplex wiegt nach der Restaurierung noch 33kg. Seine Zusammensetzung lässt sich (nach Masseverteilung) in Funktionsgruppen bzw. Anwendungsbereiche gliedern: Handwerk/Haushalt (Werkzeug) 21%, Kleinobjekte (Ringe, Haken,...) 13%, Versperrmechanismen (Schloss und Schlüssel) 12%, Transportmittel (Pferd und Wagen) 11%, Mobiliar (Kastenteile) 11%, Landwirtschaft (Agrargeräte) 5%, Behältnisse (Eimer und Metallgefäße) 3%, Waffen 1%. Zudem müssen 23% als unbestimmbares genuines Schrottmaterial angesprochen werden.
Dieser Befundtypus ist mit Vergleichsbeispielen wie Regensburg-Harting, Essenbach-Ammerbreite (Lkr. Landshut) oder Michelsbuch-Uttenkofen (Lkr. Deggendorf) in Raetien gut belegt. In der Forschung hat sich die Dichotomie "Angstdepot" - "Plünderungsdepot" herausgebildet. Im Fall von Oberndorf liegt eindeutig Zweiteres vor: der Großteil der Objekte ist seiner ursprünglichen Funktionstüchtigkeit beraubt, die Schlossbleche etwa wurden mit Gewalt von ihren Trägern gerissen.
Die Frage bleibt: Waren es plündernde Germanen der ersten Stunde, die unmittelbar nach der Zerstörung der Villa und der hypothetischen Vertreibung oder Tötung der Bewohner hier dieses Depot anlegten? Einiges - so etwa die Verfüllung des Kellers mit Bauschutt - spricht dafür, dass die Depotanlegung in Zusammenhang mit "Aufräumungsarbeiten" stand. Denkbar wäre also ebenso, dass römische Zivilisten auf Metallsuche oder auch das Militär hier tätig wurden. Im Villenareal - v.a. im Bereich des Bades - ist ein dünner Siedlungsschleier mit alamannischem Material festzustellen, was an dieser Stelle südlich der Donau überraschend erscheint. Sicher ist eines: der eiserne "Schatz" wurde nicht wieder geborgen (und eingeschmolzen), sondern blieb über 1700 Jahre lang unentdeckt an seinem Platz.

© Andreas Picker
e-mail: andreas.picker@tele2.at

This article should be cited like this: A. Picker, Agrargesellschaft und Alamannenbeute. Die Villa rustica von Oberndorf a. Lech (Bayern) im 3.Jh. n.Chr., Forum Archaeologiae 54/III/2010 (http://farch.net).



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