Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 54 / III / 2010

ARCHÄOLOGISCHE PROSPEKTION ZUR BESIEDLUNG VON OBERLIENZ IN DER RÖMERZEIT

Im Bereich des ca. ½km nordwestlich von Oberlienz in Osttirol gelegenen Weilers Lesendorf, der im Volksmund "Schlossacker" genannt wird, wurde schon seit geraumer Zeit eine römische villa rustica vermutet. Nachdem in der Antike die Straße nicht unten im Tal, sondern über die Berloger Höhe verlaufen war, bot die klimatisch günstige und geschützte Lage des sanft ansteigenden Bereiches am Westrand des sonnseitigen Schleinitz-Schuttkegels vor dem eigentlichen Eingang ins Iseltal gute Siedlungsvoraussetzungen. Bei Grabungen 1901 war man bereits auf die Fundamente eines etwa 30m langen Gebäudes mit einfachen, nicht figürlichen Mosaikböden und ausgedehnten Gewölben einer Hypokaustenanlage gestoßen [1]. Begehungen des Ackers erbrachten in den letzten Jahren zudem immer wieder Funde, v.a. Keramik aus römischer Zeit [2].
Aufgrund dieser Hinweise wurde 2007 über einer markanten Geländestufe eine Probemessung mittels Georadar vorgenommen, um mögliche noch vorhandene Überreste zu lokalisieren. Nachdem sich auf der gesamten Messfläche von 1250 m2 Mauern eines ausgedehnten Gebäudekomplexes mit zahlreichen Räumen, vorgelagerter Säulenhalle, zentralem Eingangsbereich und Treppenanlagen abzeichneten [3], entschloss sich das Institut für Archäologien - Fachbereich Klassische und Provinzialrömische Archäologie der Universität Innsbruck in Zusammenarbeit mit der Interdisziplinären Forschungsplattform für Archäologie der Universität Wien (VIAS) im Rahmen des Projektes "Geophysikalische Prospektion römischer Villenanlagen in Osttirol" im Juli 2008 eine weitere großflächige geophysikalische Prospektion des gesamten Areals vorzunehmen, um die genaue Ausdehnung und Detailstruktur der vermuteten villa rustica festzustellen.
Auf einer Messfläche von 12850 m2 ließen sich die Grundrisse einer Reihe von Gebäuden feststellen, welche um einen zentralen Innenhof gruppiert waren (Abb.). Das Gelände war vorab aufwendig terrassiert worden, wobei sich im Innenhof bis zu 1m mächtig aufgetragene Planierschichten über dem geologischen Untergrund zeigten. Die gesamte Anlage war von einer annähernd rechteckigen Mauer eingefasst und konnte durch ein Tor im Süden betreten werden.

Bei den größten Gebäude, einem langgezogenen rechteckigen Bau mit 45m Seitenlänge, vorgelagerter Portikus und einer Vielzahl von Einzelräumen sowie einem stark zerstörten U-förmig um einen kleineren Innenhof gruppierten Bauwerk im Osten dürfte es sich wohl um die Hauptgebäude handeln. Die zahlreichen anderen Bauwerke, vorwiegend im Norden der Anlage, dürften als Neben- und Wirtschaftsgebäude, also als Ställe, Scheunen, Lagerbauten, Remisen und Werkstätten wirtschaftlichen Zwecken gedient haben. Ein Gebäude mit einer halbrunden Apsis und Fußbodenheizung kann wohl als Bad angesprochen werden [4].
Aufgrund der in den letzten Jahren bei Begehungen in diesem Areal gemachten römischen Lesefunden kann bislang für die dortigen Gebäude eine durchgehende römische Besiedelung von der frühen Kaiserzeit bis in die Spätantike (1.-4.Jh. n.Chr.) angenommen werden.

[1] A.B. Meyer, A. Unterforcher, Die Römerstadt Agunt bei Lienz in Tirol. Eine Vorarbeit zu ihrer Ausgrabung (Berlin 1908) 108-109.
[2] H. Stadler, Die Siedlungsgeschichte von Oberlienz nach den archäologischen Zeugnissen, in: Gemeinde Oberlienz (Hrsg.), Oberlienz in Geschichte und Gegenwart (Oberlienz 1998) 10-11.
[3] F.M. Müller, Oberlienz, FÖ 46, 2007, 708.
[4] F.M. Müller, Oberlienz, FÖ 47, 2008, 592.

© Florian Martin Müller
e-mail: Florian.M.Mueller@uibk.ac.at

This article should be cited like this: F.M. Müller, Archäologische Prospektion zur Besiedelung von Oberlienz in der Römerzeit, Forum Archaeologiae 54/III/2010 (http://farch.net).



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