Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 54 / III / 2010

ORIENTALISCHE GOTTHEITEN IN DER MINOISCH-MYKENISCHEN IKONOGRAPHIE

Die intensiven Kontakte zwischen den Kulturen der Ägäis, Ägyptens und des Alten Orients bilden eine feste Ausgangsbasis eines vielseitigen Austausches, sowohl materiellen als auch ideologischen, die uns zu einem Vergleich von ihren religiösen Systemen und Ikonographie berechtigt. Schon seit der frühminoischen Zeit sind die Minoer mit einer großen Zahl der orientalischen Götterdarstellungen in Kontakt gekommen. Selbst in den östlichen Kulturen mit zahlreichen schriftlichen Quellen, die wir in der Ägäis größtenteils vermissen, ist aber die Identifikation einer bestimmten Gottheit oft umstritten. Überall sind wir Zeugen synkretistischer Verschmelzungen und zahlreicher Erscheinungsformen der einzelnen Gottheiten, der Austauschbarkeit ihrer Attribute, der Benutzung der göttlichen Attribute durch die herrschende Elite und zeitlicher und regionaler Unterschiedlichkeiten. Diese Häufigkeit und Variabilität hat bestimmt stark auf die Ägäer gewirkt und sich in ihrer Bildwelt teilweise gespiegelt. Aus diesem Grund lässt sich nur schwer feststellen, welche Gottheit, aus welchem Kulturkreis, in welcher Zeit die minoische Ikonographie beeinflusst haben könnte. Bewiesen werden die fremden Impulse durch die Adaption einer Gottheit - der ägyptischen Ta-wrt oder einzelner Elementen der verschiedenen Gottheiten. Es handelt sich vor allem um unterschiedliche ikonographische Motive, die mit den anthropomorphen Götterdarstellungen zusammenhängen, wie z.B. ihr Aussehen, ihre Bekleidung oder Enthüllung, ihre Gesten und Stellung in der gesamten Komposition der abgebildeten Szene, andere symbolhaft-attributive Gegenstände und assoziierte Figuren und Tiere.
Im Vordergrund steht die Gestalt der minoischen Göttinnen, die den Einfluss von verschiedenen Gottheiten reflektiert. Ihr Volantrock wurde aus Mesopotamien übernommen und der betonte, teilweise oder völlig enthüllte Oberkörper reflektiert den magisch-erotischen Fruchtbarkeitsaspekt der syrischen Göttinnen. Nach dem Vorbild der kriegerischen Göttinnen tragen sie Waffen, von anderen Gottheiten übernehmen sie ihre Bergthrone, hörnerartige Kopfbedeckungen und andere symbolische Gegenstände. Genauso wie ihre östliche Entsprechungen bezwingen sie verschiedene Tiere und Mischwesen, benutzen sie als Verkehrsmittel oder werden von diesen beschützt. Schließlich werden sie thronend von den adorierenden Menschen und Tiere verehrt. Keines der Motive wird aber ohne Veränderung kopiert.

Vergleicht man eine der prominentesten minoischen Göttinnendarstellungen, den "Mother of the Mountain"-Siegelabdruck aus Knossos (Abb. a) mit der häufigsten Erscheinungsform der mesopotamischen Göttin Ištar (Abb. b), derer Einfluss hier oft vermutet wird [1], erweisen sich die Ähnlichkeiten als eher symbolisch und können einen ideologischen Hintergrund haben. Beide Göttinnen besitzen einen kriegerisch-erotischen Aspekt, sie sind der Tierwelt übergeordnet und werden von den männlichen Adoranten verehrt. Was aber die Ikonographie betrifft, findet man keine Darstellung der Ištar, wo die Motive auf diese Weise wiedergegeben und kombiniert werden. Andererseits unterscheidet sich die minoische Göttin wesentlich, sie steht nicht auf einem Tier, ihre Bekleidung ist anders gestaltet, sie trägt eine andere Waffe oder einen Szepter und keine Hörnerkrone. Eher als von einem einzelnen Bild wurden die Motive von mehreren Erscheinungsformen der Ištar oder anderer Gottheiten übernommen. Das alles zeugt über die Kreativität und Einzigartigkeit der minoischen Kultur. Übernommen wurde nur das, was irgendwie in das Konzept der minoischen Vorstellungen - ideologisch oder ästhetisch gepasst hat. Teilweise könnten die ausgewählten Bildmotive zufällig benutzt werden, die Mehrzahl zeugt aber eher von einer absichtlichen Suche nach neuen Ausdrucksmitteln, mit denen die Religion und Kult präsentiert werden könnten.

[1] B. Otto, Minoische Bildsymbole, in: W. Schiering (Hrsg.), Ägäis-Kolloquium, Schriften des deutschen Archäologen-Verbandes IX. Deutscher Archäologen-Verband e.V., (Mannheim 1987) 9-26; Ch. Sugaya, A foreign goddess in the Minoan world, in: A. Karetsou - D. Theocharis (Hrsg.), Pepragmena H' Diethnous Kritologikou Synedriou, Irakleio, 9-14 Septemvriou 1996, Vol. A3: Proïstoriki kai Archaia Elliniki Periodos (Irakleio 2000) 273-286; M. Moss, The Minoan Pantheon. Towards an Understanding of its Nature and Extent, BAR Int. Ser. 1343 (Oxford 2005) 202.

© Veronika Dubcová
e-mail: veronika.dubcova@gmail.com


This article should be cited like this: V. Dubcová, Orientalische Gottheiten in der minoisch-mykenischen Ikonographie, Forum Archaeologiae 54/III/2010 (http://farch.net).



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