Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 54 / III / 2010

EIN WIEDERAUFGEFUNDENES KAPITELLFRAGMENT IM ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUT, GRAZ

Während der kürzlich durchgeführten Inventarisierungsarbeiten am Institut für Archäologie der Universität Graz wurde das Fragment eines ionischen Kapitells wiedergefunden. Erhalten ist das Unterteil einer Volute und eines Polsters. Die Polsterseite zeigt eine horizontale, geschlossene Palmette, die aus einem Akanthusbusch herauswächst. Die Palmette besitzt ein Mittel- und jeweils vier seitliche Blätter. Das Mittelblatt reicht bis zur Balteusstirn. Die seitlichen Blätter zeigen ein sichelförmiges Ende.
Ab archaischer Zeit vorwiegend zu finden, wird die ionische Ordnung in Kleinasien auch in hellenistischer Zeit weitgehend bevorzugt. Die Polsterseiten werden reichlich dekoriert. Schuppen- Schilf- und Akanthusblätter, Ranken sowie Palmetten sind die beliebtesten Motive [1], so dass die Polsterseite zur Hauptseite wird [2].
Ab dem 1.Jh. n.Chr. wird die ionische Ordnung in Kleinasien immer seltener verwendet [3]. Ionische Kapitelle mit Palmetten, offen oder geschlossen, sind auf der Hallenstraße in Pergamon zu sehen [4]. Ihre Ausführung ist aber stilisiert und modelliert.
Das Motiv der nebeneinander stehenden Lotosblüten (auch als offene Palmetten bezeichnet) und Palmetten in verschiedenen Kombinationen tritt hauptsächlich auf Friesen auf. Die Palmetten dort zeigen deutlich mehr Plastizität und Lebendigkeit [5].
Seit dem 2. Jh. n.Chr. taucht das Motiv des sogenannten "feingezahnten Akanthus" auf [6]. Bei den Blättern werden die Bohrlöcher ausgelassen, so dass kleine, spitze Zähne entstehen und auf diese Weise das Licht-Schatten-Spiel betont wird. Das Grazer Fragment ist ebenfalls mit dem feingezahnten Akanthus dekoriert.
Die Blätter der Palmetten des Grazer Fragments sind durch eine tiefe Rille getrennt, besitzen scharfe Kanten und sind im hohen Relief gearbeitet. Ähnlich sind die Palmettenblätter des Zwischengesimses des Heroon II in Milet [7] und des Geisons des Markttors gestaltet. Das Grazer Fragment zeigt große Plastizität, starken Licht-Schatten-Kontrast und akkurate Bohrungen auf den Akanthusblättern.


Unter Kaiser Trajan wurden den künstlerischen Aktivitäten in Kleinasien neuer Aufschwung gegeben [8]. Unter Hadrian wurde die dortige Kunst in ihrer Qualität wirklich vergleichbar mit den stadtrömischen Monumenten. Das Grazer Kapitellfragment liegt weit entfernt von einer provinzialen Beschaffenheit, es zeigt große Präzision in der Ausführung, hohe Qualität und dynamische Wirkung. Zusätzlich ist es wegen seines hohen Reliefs und des gelungenen Licht-Schatten-Effekts sowie der Parallele zu den oben erwähnten kleinasiatischen Monumenten meines Erachtens in mittel/späthadrianische Zeit einzuordnen.

[1] O. Bingöl, Das ionische Normalkapitell in hellenistischer und römischer Zeit in Kleinasien, IstMitt Bh. 20, 1981, 81-120 und Taf. 24-41.
[2] J. Rohmann, Die Kapitellproduktion der römischen Kaiserzeit in Pergamon, PF 10 (Berlin 1998) 70-71.
[3] R. Köster, Die Bauornamentik von Milet, Teil 1, Die Bauornamentik der frühen und mittleren Kaiserzeit. Milet VII 1 (Berlin 2004) 158-159.
[4] Rohmann a.O. 82-84, Nr. C34-C42, Taf. 47-49.
[5] In Milet: Markttor, V.M. Strocka, Das Markttor von Milet. BWPr 128, 1981, Abb. 18, 20-23; in Ephesos: Hadriantempel, FiE XI 1, Abb. 165, Köster a.O. Taf. 116, 2.
[6] J. Rohmann, Einige Bemerkungen zum Ursprung des feingezahnten Akanthus, IstMitt 45,1995, 109-121.
[7] Köster a.O. Nr. 18Z1 Taf. 49, 1-4; 51, 2-4.
[8] V.M. Strocka, Wechselwirkungen der Architektur, IstMitt 38, 1988, 294-299.


© Maria Christidis-Poulkou
e-mail: maria.christidis@uni-graz.at


This article should be cited like this: M. Christidis-Poulkou, Ein wiederaufgefundenes Kapitellfragment im archäologischen Institut, Graz, Forum Archaeologiae 54/III/2010 (http://farch.net).



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