Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 54 / III / 2010

DIE BEFESTIGUNGSANLAGEN DER BRONZEZEIT IM ÄGÄISCH-ANATOLISCHEN RAUM AUS DER MINOISCHEN PERSPEKTIVE

In der Bronzezeit des ägäisch-anatolischen Raumes gibt es eine Reihe von befestigten Siedlungen und auch andere Arten von Defensivarchitektur. Auf den ersten Blick mag es erscheinen, dass zahlreiche Fortifikationen auf dem griechischen Festland, den ägäischen Inseln, Zypern und an der anatolischen Küste eine Reihe von gemeinsamen oder zumindest ähnlichen Merkmalen aufweisen. Daher wurde vor allem in der frühen und späten Bronzezeit oft auf wechselseitigen Einfluss oder auf direkten "Import" von Architekturformen und Bautechniken innerhalb des ägäischen Raumes geschlossen.
Aufgrund seines in den letzten Jahren erfolgten Studiums der Defensivarchitektur des ägäischen Raumes, vor allem im minoischen Kreta, ist der Autor der Ansicht, dass - trotz einiger ähnlicher Merkmale in den ägäischen Architekturformen in der Ägäis - eine starke gegenseitige Beeinflussung der wichtigsten Gebiete (Inseln, Kreta, Zypern, griechisches Festland, Anatolia) nicht zu definieren ist. Die einzige Ausnahme könnte eine spezifische Bautechnik sein, da die Verteidigungsart und Form der Defensivarchitektur in erster Linie stets als eine Reaktion auf die lokalen politischen und geographischen Bedingungen zu sehen ist. Diese spezifische Form der Befestigungen wird auch durch die lokale architektonische Tradition beeinflusst. Der Autor ist daher der Auffassung, dass die Ähnlichkeiten in der Defensivarchitektur der verschiedenen Gebiete des ägäisch-anatolischen Raumes durch identische Bedingungen verursacht worden sind (die Inseln, der Bergcharakter der Gebiete mit einem Minimum von Tiefland usw. / die Erstellung von lokalen Gebietseinheiten, die Gefahr von Piratenangriffen usw.), die in den Bau gleichartiger Befestigungen in verschiedenen Gebieten, bzw. in der gesamten Ägäis geführt haben.


In diesem Beitrag wird ein kurzer Überblick der grundlegenden Charakteristika und Elemente der Defensivarchitektur im ägäisch-anatolischen Raum präsentiert und ein Vergleich aus der minoischen Perspektive durchgeführt. In der frühen Bronzezeit begegnen uns auf Kreta, auf dem griechischen Festland und den Inseln sehr einfache Umfassungsmauern, manchmal verstärkt mit Türmen und Bastionen, die aus einem militärischen Standpunkt einem stärkeren Angriff nicht standhalten würden. Erst in der mittleren Bronzezeit entstehen im ägäisch-anatolischen Raum massivere Befestigungsmauern, die jedoch in den einzelnen lokalen Gebieten nur rudimentär erhalten oder dokumentiert sind. Seit dem Ende der mittleren Bronzezeit und in der fortgeschrittenen Phase der späten Bronzezeit begegnen auf Zypern Festungen (fortresses), die nach architektonischen Gesichtspunkten den sog. kretischen guard houses ähneln. Ihre genaue Funktion - und mögliche militärische Bedeutung - ist leider nicht klar. Aus der ausgehenden Bronzezeit stammen die großen, von massiven "kyklopischen" Befestigungsmauern umgebenen Zitadellen, die als ein Element festländisch-mykenischen Einflusses zu interpretierten sind. Derartige Zitadellen sind vor allem auf Kreta und Zypern dokumentiert, wurden vor kurzem jedoch auch auf den Kykladen entdeckt (ein Abschnitt einer solchen massiven Befestigungsmauer wurde zudem in Milet an der anatolischen Küste ausgegraben). Ihre Befestigungsmauern wurden oft in der sog. Kastenmauertechnik aufgebaut, die wahrscheinlich aus dem hethitischen Milieu in Zentralanatolien stammt. Diese Kastenmauertechnik kann daher auch als das einzige gemeinsame Merkmal der Defensivarchitekturen des ägäisch-anatolischen Raumes und folglich auch als ein Element direkter Beeinflussung der ägäischen Architektur von der architektonischen Tradition Anatoliens interpretiert werden.

© Tomas Alusik
e-mail: alusikt@seznam.cz


This article should be cited like this: T. Alusik, Die Befestigungsanlagen der Bronzezeit im ägäisch-anatolischen Raum aus der minoischen Perspektive, Forum Archaeologiae 54/III/2010 (http://farch.net).



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