Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 50 / III / 2009

SARDINIEN UND DIE MYKENISCHE WELT: DIE FORSCHUNGEN DER LETZTEN 30 JAHRE

Es war im Jahr 1979, als die ersten Nachrichten der Entdeckung mykenischer Keramik auf Sardinien bekannt wurden [1]. Von diesem Moment an verbreitete sich im Laufe der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts die Gewissheit, dass Beziehungen zwischen der mykenischen Welt und dieser Insel im westlichen Mittelmeer bestanden. Die berühmten Ausgrabungen der Nuraghe Antigori (Sarroch-Cagliari) haben das Interesse an diesem Thema gefördert, sowohl bei denjenigen, die sich mit der Frühgeschichte Sardiniens beschäftigen, als auch den Forscher(inne)n auf dem Gebiet der ägäischen Bronzezeit.
Die Entdeckung von gut stratifiziertem ägäischen Fundmaterial auf Sardinien hat eine intensivierte Kommunikation zwischen beiden archäologischen Arbeitsbereichen bewirkt: Die Auffindung des mykenischen Materials auf der Insel wurde von den Nuraghen-Archäologen als Verknüpfungspunkt bei ihrer Rekonstruktion der absoluten Chronologie der nuraghischen Zeit verwendet. In der Ägäische Archäologie wiederum eröffnete sich dadurch ein neuer Kanal zur Erforschung der Verbreitung von ägäischem Material im westlichen Mittelmeerraum. In der Folge erhielt die Nuraghen-Archäologie einen Stellenwert von grundlegender Bedeutung für die kulturelle Dynamik des 2. Jahrtausends v. Chr., wurde jedoch auch zum Opfer von regionalistischen Interessen, die im Widerspruch zum wissenschaftlichen Diskurs der internationalen Forscher(innen)gemeinschaft stand.
Diese Entdeckungen haben weiters das Interesse an den ägäisch-zyprischen Kupferbarren, auch bekannt als 'ox-hide ingots', geweckt, die seit langer Zeit und von verschiedenen Orten auf Sardinien bekannt waren. Auch wurde in der Folgezeit mit Analysen der Keramik und der 'Ox-hide Ingots' begonnen [2], und tiefer gehende Fragen an das Fundmaterial waren nun möglich. Die behandelten Themen beinhalten auch Fragestellungen unter den Gesichtspunkten der Kolonisierung oder Vor-Kolonisierung [3], die im Zusammenhang mit dem Austausch von Objekten und der möglichen Nutzung der Bodenschätze der Insel stehen, mit dem mykenischen und zypriotischen Handel im Mittelmeerraum und dem Verständnis der Beziehungen zwischen der nuraghischen Kultur und anderen mediterranen Kulturen. Die bekannte und akzeptierte ägäische - besonders mykenische - Herkunft der Materialien unterstützt kulturtheoretische Modelle des "Diffusionismus", die bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts den Bau von nuraghischen Festungen aufgrund ihrer besonderen und exklusiven Architektur unter ägäischem Einfluss gesehen haben. Neuere Studien haben ein aufgeklärtes Bild der Ereignisse in Bezug auf den Handel zwischen dem östlichen und dem westlichen Mittelmeerraum erbracht, so dass die kulturellen Ausdrucksformen im Sardinien des 2. Jahrtausends v. Chr. heute nicht mehr unter dem Aspekt eines "Ex Oriente Lux" verstanden werden können.
Weil diese sich wandelnden Sichtweisen in den Studien während der vergangenen 30 Jahre einen wichtigen, integralen Bestandteil der Forschung bilden, möchte dieser Beitrag den Fokus auf ihr Verständnis und ihre Abfolge legen, um dadurch die Entwicklung der wissenschaftlichen Wege nachzeichnen und die Wege der Forschung besser verstehen zu können.

[1] M. L. Ferrarese Ceruti, Ceramica micenea in Sardegna (notizia preliminare), Rivista di Scienze Preistoriche, Firenze 34, 1979, 242-252.
[2] F. Lo Schiavo et al., Archaeometallurgy in Sardinia. From the origin to the Early Iron Age. Consiglio Nazionale delle ricerche, Istituto per gli Studi delle Civiltà dell'Egeo e del Vicino Oriente, Università degli studi di Cagliari, Dipartimento di geoingegneria e tecnologie ambientali Dipartimento di ingegneria chimica e materiali (2005).
[3] P. Bernardini, Precolonizzazione e colonizzazione, in: Argyròphles nesos. L'isola dalle vene d'argento. Esploratori, mercanti e coloni in Sardegna tra il XIV e il VI sec. a. C. (2001) 27-30; P. Bernardini, Micenei e Fenici. Considerazioni sull'età precoloniale in Sardegna, OAC 19 (1991).

© Laura Soro
e-mail: laurasoro@gmail.com


This article should be cited like this: L. Soro, Sardinien und die mykenische Welt: die Forschungen der letzten 30 Jahre, Forum Archaeologiae 50/III/2009 (http://farch.net).



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