Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 50 / III / 2009

DAS HOHE UND DAS ERHÖHTE THRONEN IN DER BRONZEZEITLICHEN IKONOGRAPHIE DER ÄGÄIS

Auf einem hohen Felsen thront ein Mann in einem mit Borten verzierten weißen Gewand, der eine Leier spielt. Von ihm weg fliegt, mit ausgebreiteten Flügeln schwebend, ein Vogel [1]. Eine Rekonstruktion des gesamten Freskos auf der Nordostwand des Thronsaales im Palast von Pylos [2] zeigt, dass der Vogel über zwei in kleinerem Maßstab wiedergegebene, dreibeinige Tische, an denen je zwei Männer auf Klapphockern sitzen, hinweg auf einen gewaltigen, die ganze Höhe des Wandbildes einnehmenden Stier zufliegt. Dieser ist wie der Leierspieler und der Vogel auf den Thronplatz des Thronsaales vor der Nordostwand ausgerichtet. Als Landschaftsangabe verbindet blühendes Gras auf dem unterhalb des Felsens sich in einer Geländestufe absenkenden Boden die Tische der Tafelnden und die von ihnen abgewandte Gestalt des großen Stieres. Mabel L. Lang sieht in dem Stier ein Opfertier, in den Männern an den Tischen Teilnehmer eines Banketts. Stier, Vogel und die Tafelnden seien von der Musik des Lyraspielers verzaubert [3]. Auch für Litsa Kontorli-Papadopoulou scheint es ganz wahrscheinlich, dass der Lyraspieler als Sänger auf einem Bankett agiert [4]. Die Deutung scheint angeregt durch den 8. Gesang von Homers Odyssee, Vers 62-70, wo im Palast des Phäakenkönigs Alkinoos der Sänger mit der klingenden Leier mitten zwischen den Schmausenden einen Ehrenplatz hat, indem er auf einem mit silbernen Nägeln verzierten Thronstuhl an der Säule sitzt und vor ihn auch ein Speisetisch mit Brot und Wein gestellt wird.
Der von Homer entworfenen Szene nahe sind Siegelbilder von Skaraboiden, die zur Leierspielgruppe gehören. Ihr Vorkommen in Gräbern von Pithekousai auf Ischia legt ihre Datierung in die zweite Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. nahe. Ein Beispiel dieser Gruppe zeigt einen Leierspieler, der auf einem hohen Thron sitzt, dessen Fußschemel bis zur halben Höhe eines Klapptisches reicht. Auf dem Klapptisch steht eine Amphora, aus welcher der Leierspieler mittels eines Halmes oder Rohres Wein trinkt. Die Form des Klapptisches entspricht, so John Boardman, solchen, auf denen Teller und Speisen stehen [5]. Das Fresko des 13. Jhs. v. Chr. im Palast von Pylos aber erhebt den Leierspieler weit über die Tafelnden. Das hohe Thronen auf der Spitze eines Felsens, eines Berges, ist sowohl in der frühneusumerischen wie auch der akkadischen Ikonographie der frühen Bronzezeit als auch noch bei Homer einer Gottheit angemessen [6]. Es wird zu fragen sein, wie der Leierspieler zu benennen ist.
Ebenfalls einen Hochsitz nimmt in Akrotiri eine weibliche Gestalt auf dem Fresko der Nordwand im Obergeschoß von Xeste 3, Raum 3, ein (SM IA). Sie sitzt auf einem gestuften, dreiteiligen Podest, dessen Aufbau auf Altären mit konkaven Seitenflächen ruht. Die Thronende wird von zwei zu ihr emporsteigenden Tieren, einem Affen und einem geflügelten Greif, flankiert. Ihr Thron erhebt sich in einer Felsenlandschaft, in der Frauen Krokusse pflücken und in Körben sammeln. Nanno Marinatos erkennt in der Thronenden eine Göttin, die "Herrin der Natur" [7].Nach Christos Doumas, der auch Spyridon Marinatos zitiert, ist sie eine "Gebieterin der Tiere", eine Potnia Theron, und zugleich eine Naturgöttin [8].
Mykenisch beeinflusst zeigt sich das Elfenbeinrelief eines Pyxisdeckels des 14. Jhs. v. Chr. aus Ugarit (Paris, Louvre), das ebenfalls in felsiger Landschaft eine majestätische, weibliche Gestalt auf einem getreppten Podest, flankiert von Bergziegen, denen sie Blattwedel zur Nahrung zureicht, wiedergibt. Sie wird als Göttin angesprochen [9]. Ihr Thronpodest steht hoch über den Menschen der Hafenstadt von Ugarit, Minet el-Beida, in der Region der Bergziegen. Eine Vegetationsgöttin, die Zweige in den Händen hält und auf der Spitze eines Berges aus Getreidekörnern thront, kannte schon die Ikonographie des Zweistromlandes der frühen Bronzezeit. Ein akkadisches Rollsiegel um 2260/2160 v. Chr. in London (Brit. Mus.) stellt sie dar. Obwohl der Getreidekörner-Bergthron ein Fußpodest aus Körnern hat, schwingen die Füße der Göttin hoch in der Luft und betonen dadurch die Höhe ihres Sitzes.
Scheint das hohe Thronen den Göttern vorbehalten, so erbrachten die Ausgrabungen in Knossos und Tiryns, dass auch der Menschenthron durch eine Sockelplatte, wie im Thronsaal von Knossos [10], oder durch einen mäßig hohen Sockelaufbau, wie im älteren Megaron des Palastes von Tiryns [11], über das Gehniveau des Thronsaales erhöht war. Eine Synopse in der Bildwelt der bronzezeitlichen Ägäis soll zeigen, ob das hohe Thronen ausschließlich der Gottheit, das erhöhte Thronen dagegen ausschließlich der irdischen Majestät zukam.

[1] M. L. Lang, The Palace of Nestor at Pylos in Western Messenia II. The Frescoes (Cincinnati 1969) 79 f. Kat. Nr. 43 H 6, Taf. 126.
[2] Lang a. O. (Anm. 1) 79-80 Kat. Nr. 44 H 6; S. 109 f. Kat. Nr. 19 C 6, Taf. 125.
[3] Lang, a. O. (Anm. 1) 110.
[4] L. Kontorli-Papadopoulou, Aegean Frescoes of Religious Character, SIMA 117 (Göteborg 1996) 69 Taf. 121-122.
[5] J. Boardman, Anatolien, Skaraboide Nr. 137, in: Archäologie zur Bibel (Mainz 1981) 178.
[6] W. Ortmann, Der Alte Orient, Propyläen Kunstgeschichte 14 (Frankfurt 1975) 236 Abb. 136c; S. 240 Abb. 138i; Homer, Ilias I, 498-499, V, 753-754.
[7] N. Marinatos, Kunst und Religion im alten Thera (Übersetzung: N. Schlager, Athen 1987) 68.
[8] Teile der Siedlung von Livari/Kastrokephalaki wurden 2008 dokumentiert; die Publikation wird von Ute Günkel-Maschek in Zusammenarbeit mit Ludwig Fuchs und Marco Pietrovito vorbereitet.
[9] A. Parrot - M. H. Chéhab - S. Moscati, Die Phönizier, Universum der Kunst (München 1977) 82 Abb. 84; K. Oberhuber, Die Kultur des alten Orient (Frankfurt 1972) 163 Abb. 121.
[10] Kontorli-Papadopoulou a.O. (Anm. 4) 45 Nr. 18.
[11] S. Hiller, The Spiral as a Symbol of Sovereignty and Power, in: Autochthon. Papers presented to O. T. P. K. Dickinson on the Occasion of his Retirement (London 2005) 264 Abb. 9.

© Brinna Otto
e-mail: Brinna.Otto@uibk.ac.at


This article should be cited like this: B. Otto, Das hohe und das erhöhte Thronen in der bronzezeitlichen Ikonographie der Ägäis, Forum Archaeologiae 50/III/2009 (http://farch.net).



HOME