Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 50 / III / 2009

DER KOSMOS ALS KYLIX
Ägäisches Bildgut in einer Gefäßdarstellung aus dem Grab Ramses' III.

1) In ihrer visuellen Konzeption erweist sich eine Gefäßdarstellung im Grabe Ramses' III. (1182-1151 v. Chr.) als Sinnbild des Kosmos. Das Schuppenmuster des Gefäßfußes symbolisiert im Sinne eines typischen "Wasser-Zeichens" den kosmischen Ozean, die Blattwedel des Kelches den vegetabilen, die laufenden Tiere des Randes der Schale den zoologischen Aspekt der belebten Erde. Diese wird beherrscht vom Palast des Pharao, angezeigt durch den Pylon und den (sic!) darüber liegenden Königs-Sphinx. Wie sich der Name des Pharao als "der (Eigentümer) des Papyrus(landes)" etymologisch erklären läßt, so wird sein Haus umgeben vom fruchtbaren Nilland in der stilisierten Wiedergabe der dreiblättrigen Papyrus- und fünfblättrigen Lotusblüten. Die zentrale Aussage der Darstellung ist: im Zentrum des Kosmos steht, Meer und Erde beherrschend, der Pharao.
2) Die Gefäßdarstellung verbindet ägyptische und ägäische Elemente:
a) Als primär ägyptische Elemente sind der gleichsam hieroglyphische Charakter des Bildkonzeptes wie auch die hybrid anmutende, vielteilig montierte Gestalt des Gefäßes anzusprechen, ferner die Motive des Pylons mit dem (sic!) Königs-Sphinx, schließlich die stilisierten Zitate von Papyrus und Lotus. Doch haben Pylon samt Fabelwesen, nicht minder Papyrus und Lotus auch in die ägäische Kunst Eingang gefunden.
b) Als ein beiden Kulturbereichen gemeinsames Element können die laufenden Ziegen gelten.
c) Als primär ägäische Motive sind Schuppenmuster, stilisierter Blattwedel und das Motiv der das Tor des Pylon rahmenden Laufspirale anzusprechen. Wir finden sie u.a. auf spätbronzezeitlichen ägäischen Boden- und Wandfresken wieder.
3) Die offenkundige Vermischung von Elementen beider Kulturbereiche erklärt sich am leichtesten durch die Annahme, daß hinter der Darstellung im Grab Ramses' III. ein von einem ägäischen Künstler für den ägyptischen Hof gearbeitetes Prunkgefäß gestanden hat, wohl als ein ägyptischem Geschmack angepasstes "Tribut"-Geschenk eines ägäischen Fürsten. Zugunsten dieser Annahme spricht, abgesehen von den genannten spezifisch ägäischen Bildelementen insbesondere auch der Umstand, daß der Import ägäischer Edelmetallgefäße nach Ägypten bzw. in den Vorderen Orient sowohl durch bildliche (Keftiu-Fresken) wie auch schriftliche Quellen (Texte aus Ägypten und Mari) bezeugt wird. Neben die bildlichen Darstellungen lassen sich entsprechende ägäische Edelmetallgefäße der früheren Spätbronzezeit stellen. Die schriftlichen Quellen aus Ägypten resp. dem Vorderen Orient bezeichnen solche Produkte als kretische Erzeugnisse.
4) Aus dem ägäischen Raum sind Edelmetallgefäße vor allem aus den ersten beiden Jahrhunderten der Spätbronzezeit (1600-1440 v. Chr.) greifbar, werden danach selten und sind aus den Tagen Ramses' III. so gut wie unbekannt. Umgekehrt zählen Darstellungen solcher Preziosen zu den traditionellen Bildmotiven der Wandmalereiausstattung in Gräbern der ägyptischen Elite, was aber nicht heißen muß, daß die Darstellungen aus dem Grab Ramses' III. notwendig aus der Tradition zu erklären sind. Die einzige Bilddarstellung einer für die mit Ramses III. gleichzeitigen Phase SH IIIC typischen Form der mykenischen Bügelkanne findet sich ebenfalls in seinem Grab und hat somit höchst aktuellen Charakter. Daß das Prädikat des "made in Crete" noch bis in das beginnende 12. Jh. v. Chr. seine Bedeutung nicht verloren hatte, belegt der Ausdruck ke-re-si-jo-we-ke ‚kresioerges' als - eher ungewöhnliches - Prädikat bronzener Dreifüße auf den pylischen Linear B-Tafeln Ta 641 und 709. Auch ist, wie erst jüngst P. W. Haider in einem seiner immer sehr informativen Beiträge gezeigt hat, die Frage, "ob noch ein Handelskontakt zwischen den ägäischen Eliten der Nachpalstzeit und dem ägyptischen Hof?" existierte, mit guter Evidenz positiv zu beantworten.
So wird man, auch wenn der für die Zeit Ramses' III. negative archäologische Befund an ägäischen Edelmetallgefäßen gleicherweise wie die typologische Zuordnung des Bildobjektes eher an ein der Bildüberlieferung geschuldetes Motiv denken lassen, im Falle der hier besprochenen Darstellung dies nicht mit letzter Sicherheit behaupten wollen. Weder läßt sich ausschließen, daß ein in den königlichen Schatzkammern über Jahrhunderte erhaltenes Gefäß dieser Art dem Maler als Vorbild diente, noch ist, angesichts des im 12. Jh. zwischen der Ägäis und Ägypten fortbestehenden Güteraustausches, der Gedanke gänzlich abzulehnen, daß aus dem ägäischen Raum der Nachpalastzeit noch die eine oder andere Preziose ihren Weg an den Hof in Ägypten gefunden hat.

© Stefan Hiller
e-mail: stefan.hiller@sbg.ac.at


This article should be cited like this: St. Hiller, Der Kosmos als Kylix. Ägäisches Bildgut in einer Gefäßdarstellung aus dem Grab Ramses' III., Forum Archaeologiae 50/III/2009 (http://farch.net).



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