Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 50 / III / 2009

DER PHARAO WEISS ALLES: DIE GEOGRAPHISCHEN KENNTNISSE VON GRIECHENLAND AM ÄGYPTISCHEN HOF WÄHREND DES 14. JH. V. CHR.

Seit den Grabungskampagnen im Jahre 2004 sind im "Millionenjahrhaus", dem sogenannten Totentempel des ägyptischen Pharao Amenophis' III. (1392-1354 v. Chr.) in Theben-West, immer wieder Fragmente von neuen topographischen Listen, die auf den dortigen Statuensockeln angebracht sind, ans Licht gekommen. Das Entscheidende und besonders Interessante dabei ist, dass diese Orts- und Fremdvölkerlisten auch neue, bisher aus ägyptischen Quellen nicht bezeugte geographische Namen enthalten. Sie ergänzen somit die schon seit 1966 aus diesem Tempel bekannten und damals von Elmar Edel publizierten Listen. Unter diesen fand sich auch jenes inzwischen berühmte "Itinerar", das die damals bedeutendsten Örtlichkeiten auflistet, die an der Nordküste Kretas, in der Argolis, in Messenien, Kythera und wieder zurück an Kretas Nordküste aufgesucht wurden. Dabei lässt sich neben dem schon längst bekannten ägyptischen Namen für Kreta, nämlich "Kaftu", für die Peloponnes die Bezeichnung "Tanaja" identifizieren.
G eradezu Aufsehen erregte nun die Mitteilung seitens der Ägyptologen Rainer Stadelmann und Hourig Sourouzian, dass in den neu entdeckten Listen unter anderem "Luwien(?)" und ein "Groß-Ionien" genannt erscheinen. Diese seien aufgrund der übrigen dort aufgelisteten Namen im westkleinasiatischen Raum zu lokalisieren. Sollten Lesung und Lokalisierung richtig sein, dann läge damit bereits für die Zeit des frühen 14. Jh. v. Chr. ein Beleg für die Existenz eines entweder flächenmäßig bedeutenden oder politisch potenten "Groß-Ionien" im westkleinasiatischen Küstengebiet vor.
Unterzieht man die vorgeschlagenen Lesungen und Lokalisierungen jedoch einer kritischen Prüfung, so erheben sich nicht unerhebliche Zweifel an der Richtigkeit derselben. Auf einem Fragment (FN) folgt auf die Nennung des schon bekannten "Fremdlandes Tanaja", also das Gebiet der Peloponnes, eine leider nur fragmentarisch erhaltene topographische Angabe, die als "Šagar[i/a/u ..]/Šagal[i/a/u ..]" oder möglicherweise auch "Šapar[i/a/u ..]/Šapal[i/a/u ..]" zu lesen ist. Diese Angabe mit einer kleinasiatischen Lokalität, wie Šakarita, Šaparanta bzw.Šaparašana, zu identifizieren, stellt zwar eine grundsätzlich akzeptable Möglichkeit dar, doch kann sie nicht als die einzige betrachtet werden, denn diese Örtlichkeit kann auch innerhalb oder sogar westlich des ägäischen Raumes gelegen haben. In diesem Fall wäre nicht zuletzt an den Namen der Bevölkerungsgruppe der "Šakaluša" zu denken, die uns im ausgehenden 13. Jh. aus den Briefen am Hof von Ugarit wie aus den historischen Nachrichten des Pharaos Merenptah sowohl als Seeräuber wie als Verbündete der zu Land ins westliche Ägypten einfallenden libyschen Invasoren bekannt ist. Als Herkunftsort dieser Leute wird eine "Stadt" namens "Šikila" genannt. Schwerlich ist der Name dieser Lokalität bzw. derjenige der besagten Bevölkerungsgruppe von dem der Insel Sizilien und den dort beheimateten Sikulern und Sikanern zu trennen. Dazu kommt, dass es im 14. und 13. Jh. auch einen immer intensiver werdenden Handelskontakt zwischen der mykenischen Welt und den Bewohnern des östlichen Sizilien gegeben hatte, wodurch zweifellos eine Anbindung der damaligen sizilischen Bewohner an den ägäischen und östlichen Mittelmeerraum erfolgt war. Sollte diese Identifizierung zutreffen, dann läge hier das erste und damit älteste Zeugnis für die Kenntnis von der Existenz der Insel Sizilien und einer ihrer Bevölkerungsgruppen am ägyptischen Hof vor.
Ein zweites Listenfragment (GN), das aller Wahrscheinlichkeit nach zum selben Basisblock wie das eben genannte gehört, zählt die Lokalitäten "L/Rawana", "(Groß-?)Ijaunia" bzw. "(Groß-?)Ijawa/inia" und "Medun[a ..]" auf. Für eine Lokalisierung des "L/Rawana" innerhalb der kretisch-mykenischen Welt spricht der im späten 13. Jh. v. Chr. aus den Wirtschaftstexten in Knossos zu erschließende Ortsname "*ru-wa-no". Jedenfalls bezeugt diese Quelle die sprachliche Nähe zwischen den beiden topographischen Namen. Da eine Identifizierung dieses Namens auf Grund der Schreibung mit "Luwien" nicht möglich ist, entfällt auch der Zwang zu einer Lokalisierung der folgenden geographischen Angabe auf kleinasiatischem Boden. Gegen eine dortige Ansetzung spricht zudem die diesbezüglich informationsreiche hethitische Überlieferung. Sie kennt kein "(Groß-?)Ionien" in Westkleinasien, und es bleibt für ein solches dort auch kein Platz. Falls die vorliegende, unkonventionelle Schreibung dieses Namens tatsächlich die adjektivische Ergänzung "groß" enthalten sollte, bliebe bezüglich einer Lokalisierung nur an den engeren ägäischen Raum bzw. an Griechenland selbst zu denken übrig. In diesem Fall läge eine Ansetzung nördlich von "Tanaja", also im östlichen Mittelgriechenland am nächsten.
So müsste auch die dritte Lokalität, "Meduna(..)", nicht ausschließlich mit "Madunašša", einem Grenzort des arzawäischen Königreiches Mira im Mäandertal gleichgesetzt werden, was sprachlich möglich wäre. Denn auch in diesem Fall gilt es zu prüfen, ob es im griechisch-ägäischen Raum eine Lokalität mit einem entsprechenden Namen gegeben hat, die nachweisbar im 14. Jh. v. Chr. existent war. Dies träfe z.B. für die Hafenorte Medión in Phokis als auch für Méthana an der Nordküste der Argolis zu. Sprachlich wäre Méthana der Vorzug zu geben, archäologisch erweist sich Medión als die bedeutendere Stadt. Letztere würde topographisch auch zu dem vorher in der Liste genannten (Groß-?)Ionien in Mittelgriechenland passen. Sollten die hier vorgeschlagenen Lokalisierungen zutreffend sein, dann belegen sie am ägyptischen Hof Amenophis' III. eine noch umfangreichere geographische Kenntnis vom Mittelmeerraum, als bisher bezeugt, da sie auch Sizilien und Mittelgriechenland einschloss.

© Peter Haider
e-mail: peter.haider@uibk.ac.at


This article should be cited like this: P. Haider, Der Pharao weiß alles: Die geographischen Kenntnisse von Griechenland am ägyptischen Hof während des 14. Jh. v. Chr., Forum Archaeologiae 50/III/2009 (http://farch.net).



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