Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 50 / III / 2009

VOM THRONRAUM IN KNOSSOS ZUM LÖWENTOR VON MYKENE: KONTINUITÄTEN IN BILDKUNST UND PALASTIDEOLOGIE

Nur wenige Beispiele komplexer Bildmotive der Altägäis lassen sich unmittelbar als Herrschaftsembleme definieren, und wo dies der Fall ist, stoßen wir auf eine variable, abwechslungsreiche, nur wenig standardisierte und somit auch inhaltlich ambivalente Ikonographie. Dies gilt für die Bildwelt des neupalastzeitlichen Kreta ebenso wie für jene des mykenischen Griechenland. Durchaus abenteuerlich gestaltet sich daher ein Vergleich zwischen zwei prominenten, monumentalen Bildkompositionen, und zwar dem in SM I (ca. 16./15. Jh.) entstandenen Wandmalereiprogramm des sog. 'Thronraumes' im Palast von Knossos und dem in SH IIIB (ca. 13. Jh.) geschaffenen monumentalen Steinreliefblock des 'Löwentors' in Mykene, deren ikonographisches Grundmotiv auf dieselbe Bildtradition und allem Anschein nach auch auf einen zumindest eng verwandten Bildgedanken zurückzuführen sein dürfte.
Die Nordseite des 'Thronraumes' von Knossos [1] wird dominiert vom zentralen Steinthron mit seiner markanten Rückenlehne, der im Wandfresko der Sockelzone von bikonkaven Altären flankiert ist, während die friesförmige Hauptzone eine Papyruslandschaft mit Palmen und gelagerten Greifen präsentiert, die nach jüngsten Untersuchungen emporgerichtete Flügel getragen haben könnten [2]. Wesentliche Elemente dieses knossischen Raumensembles begegnen in einer Gruppe von Siegelbildern, die eine Göttin mit 'Snake Frame' zwischen Greifen oder Löwen zeigen und als Innenraumbilder mit dem 'Thronraum' ebenso in Verbindung gebracht werden können wie mit der 'Osthalle' des Palastes von Knossos [3]. Der Steinreliefblock des Löwentors in Mykene [4] entfaltet in monumentaler Ausprägung ein emblemhaftes Bildmotiv, dessen Einzelglieder den zuvor genannten bemerkenswert nahe kommen: halbaufgerichtete Raubkatzen, die ihre Vordertatzen auf Altäre mit seitlichen Einziehungen stützen und eine Säule mit Gebälk sowie einem nicht erhaltenen Bekrönungselement flankieren.


Obgleich eine Vielzahl von Unterschieden in Kompositionsweise, ikonographischen Details und Attributen, Zeitstellung, architektonischem Kontext sowie Funktion erkennbar sind, dürfte dennoch eine engere ikonographische Verwandtschaft zwischen beiden Bildwerken bestehen. Variable Motivausprägungen des oben genannten Siegelbildtypus der 'Göttin mit Snake Frame' bilden gewissermaßen das 'Missing link' zwischen diesen prominenten großformatigen Bildwerken und führen uns in diesem konkreten Motivvergleich die Flexibilität in der ikonographischen Ausformung und die inhaltliche Gleichwertigkeit unterschiedlicher Kompositionsschemata, Symbole und Attribute in der frühägäischen Bildsprache vor Augen. So bezeugt etwa ein Lentoidsiegel aus dem kretischen Sphakia (Abb. a) die Auswechselbarkeit von liegenden Feliden, wie im 'Thronraum'-Fresko von Knossos, und solchen in halbaufgerichteter Position, wie im 'Löwentor'-Relief. Ein Siegel im Fogg Art Museum in Cambridge (Abb. b) präsentiert eine verkleinerte 'Göttin mit Snake Frame' über einer stilisierten Palme, die auf einem bikonkaven Altar positioniert ist, der auch den flankierenden Greifen als Stütze dient. Dies sind nur zwei Beispiele aus einer Vielzahl variierender Ausprägungen des zur Diskussion stehenden Motivtypus, die verdeutlichen, daß unsere Erwartungen starr definierter, standardisierter Bild-Topoi dem flexiblen, phantasievollen Variantenreichtum des minoisch-mykenischen Kunstschaffens nicht gerecht werden.
Die Verwandtschaft der beiden prominenten Bildwerke in Knossos und Mykene reicht jedoch noch weiter. Der Zusammenhang dieses Bildmotivs mit Tor- und Eingangssituationen entstand keineswegs erst in der mykenischen Palastzeit, sondern läßt sich bereits für das neopalatiale Kreta klar nachweisen. Ohne daß wir diese Ikonographie in all ihrer Komplexität konkret auszudeuten imstande wären, steht doch eines fest: auch die sakral-herrschaftliche Komponente dieses palatialen Bild-Emblems hat seit ihrer ursprünglichen Definition im Neuen Palast von Knossos bis in die Zeit der 'wanax-Ideologie' der mykenischen Paläste in Semantik und Brisanz nichts eingebüßt.

[1] A. Evans, The Palace of Minos at Knossos IV (London 1935) 906-921; S. Mirié, Das Thronraumareal des Palastes von Knossos. Versuch einer Neuinterpretation seiner Entstehung und seiner Funktion, Saarbrücker Beiträge zur Altertumskunde 26 (Bonn 1979); W.-D. Niemeier, Zur Deutung des Thronraumes von Knossos, AM 101, 1986, 63-95.
[2] E. B. Shank, Throne room griffins from Pylos and Knossos, in: Ph. P. Betancourt - M. C. Nelson - H. Williams (Hrsg.), Krinoi kai Limenai. Studies in Honor of Joseph and Maria Shaw, Prehistory Monographs 22 (Philadelphia 2007) bes. 162-164 Abb. 19, 4-5.
[3] R. Hägg - Y. Lindau, The Minoan "snake frame" reconsidered, OpAth 15, 1984, 67-77; S. Hiller, The Throne Room and Great East Hall. Questions of iconography, in: Acts of the IXth International Cretological Conference, Elounda, 1-6 October 2001, I, 3 (Irakleio 2006) 245-258.
[4] P. Aström - B. Blomé, A reconstruction of the Lion relief at Mycenae, OpAth 5, 1964, 159-191; M. C. Shaw, The Lion Gate Relief of Mycenae reconsidered, in: Filia Epi eis Georgion E. Mylonan I (Athen 1986) 108-123.

© Fritz Blakolmer
e-mail: Fritz.Blakolmer@univie.ac.at


This article should be cited like this: F. Blakolmer, Vom Thronraum in Knossos zum Löwentor von Mykene: Kontinuitäten in Bildkunst und Palastideologie, Forum Archaeologiae 50/III/2009 (http://farch.net).



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