Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 50 / III / 2009

FRÜHÄGÄISCHE KANALISATIONSANLAGEN: EINE PRESTIGESACHE?

Die Auseinandersetzung mit Entwässerung ist seit Beginn der Architekturgeschichte allgegenwärtig. Anfangs waren es schräge Dächer und Erdrinnen, die das Regenwasser vom Wohnbereich ableiteten und den Menschen vor der Nässe schützten. Doch weiter entwickelte Bau- und Siedlungsformen brachten u. a. auch ausgefeilte Abwassersysteme mit sich, die nicht nur Regen-, sondern in Folge auch Brauch- und Schmutzwasser entsorgten. Hinter diesem technischen Fortschritt steckt das Zusammenspiel politischer, wirtschaftlicher und sozialer Faktoren, das mit einer gesellschaftlichen Hierarchie, technischen Kenntnissen und nötigen Ressourcen einhergeht. Je komplexer die Kanalisationsanlagen waren, desto höher kann man die Beziehungs- und Autoritätsintensivitäten einer organisierenden Gesellschaftsschicht einschätzen.
Die ältesten Entwässerungsanlagen im ägäischen Raum lassen sich während der Frühbronzezeit II-III in Siedlungen auf dem griechischen Festland und v. a. auf den ägäischen Inseln lokalisieren. Besonders gut erforscht ist die planmäßig angelegte Siedlung von Poliochni auf Lemnos, in der bereits seit der blauen und grünen Phase Anzeichen für punktuelle Entwässerung, dann ab der roten und gelben Phase großflächig entsorgende Kanalisationsnetze belegt sind. Es handelt sich dabei nicht um erste Experimente, sondern um voll entwickelte Systeme, welche die Siedlung in Form einer hierarchischen Struktur entsorgten. Woher also bezog man diese technischen Kenntnisse? Auf der Suche nach Vorbildern wendet man den Blick zwangsläufig nach Osten: Als nächster Nachbar zu Poliochni wäre Troja zu nennen, allerdings tauchen dort Entwässerungssysteme etwa gleichzeitig mit den ägäischen Beispielen auf. Ältere Kanalisationsformen sind uns hingegen aus dem weiter entfernten Mesopotamien und Syrien bekannt, wo erste Entwässerungsansätze in das 6. Jahrtausend zurückreichen und sich dann ab dem 4. Jahrtausend als Standard durchsetzen. Neben lokal bedingten Entwässerungsformen (wie Sickerschächte oder Ziegelkanäle) gab es solche, die man auch im ägäischen Raum wiederfinden kann.
In der Siedlungsgeschichte während der Mittelbronzezeit gibt es dem bisherigen Forschungsstand zufolge im ägäischen Bereich eine deutliche Gewichtsverlagerung vom griechischen Festland und den meisten Inseln nach Kreta. Dies schlägt sich auch in der Verteilung der Kanalisationsanlagen nieder. Zu bedenken sei allerdings, daß entsprechende Anlagen im frühminoischen Kreta noch relativ schlecht erforscht sind; gerade an den späteren ‚Palaststätten' darf man annehmen, daß es entsprechende Vorgängerbauten gegeben haben kann. Die Entwässerungsformen auf Kreta sind während der Palastphasen in der Mittelbronzezeit und der Spätbronzezeit gleichermaßen stark vertreten. Auffallend ist, daß diese eine deutliche Präsenz in Palästen und in Siedlungen mit palatialen Gebäuden zeigen. Auch sind komplexe Entwässerungsformen, die aus mehreren Ordnungen bestehen, v. a. in Palästen, aber auch in einigen Siedlungen Kretas anzutreffen, Besonders großflächig angelegte Kanalisationsnetze kann man in den spätbronzezeitlichen Siedlungen auf den ägäischen Inseln beobachten.
Die Frage stellt sich nun, inwieweit man von einem Technologietransfer sprechen kann. Ein gemauerter Steinkanal ist die häufigste Entwässerungsform, die man nicht nur im ägäischen Raum, sondern weltweit antrifft, und erweckt an und für sich noch keinen Verdacht auf das Rückgreifen auf Vorbilder. Häufen sich aber Kennzeichen, wie Form, Gestaltung und Material, außerdem der Kontext (was wurde entwässert? Ein Hof? Ein Sanitärraum? Das Obergeschoß?), dann kann man noch am ehesten von einem übertragenen Gedankengut sprechen. Besonders gut bieten sich andere Entwässerungsformen an, wie etwa mit Henkeln versehene Tonrohre, die v. a. in Israel ab der Mittelbronzezeit häufig in Verwendung waren. Aber auch Sonderformen, die etwa vertikale und horizontale Elemente miteinander verbanden, wurden im Vorderen Orient bereits früh entwickelt und fanden auch auf Kreta Verwendung, wie etwa ein Beispiel aus Palaikastro (Abb.) zeigt. Vertikale Schächte in Mauern gibt es in neupalastzeitlichen Gebäuden auf Kreta, aber auch in späteren, mykenischen Anlagen kann man diese Entwässerungsform oft beobachten.
Entwässerungsformen gibt es viele; sie sind die logische Folgerung einer Baukultur, die im Laufe ihrer Entwicklung immer mehr bedacht auf Komfort nimmt. Einen Technologietransfer muß es m. E. gegeben haben, der bis in den Vorderen Orient reichte, aber auch innerhalb des ägäischen Raumes stattgefunden hat. Wie dieser Transfer konkret aussah, ob Fachpersonal anreiste, ob man sich mündlich austauschte oder ob man von der Toilette des Handelspartners dermaßen beeindruckt war, daß man sich diese nach seiner Rückreise schnurstracks selber in seinem Haus baute, kann leider nicht beantwortet werden. Was aber interessant ist: Wie sah es mit den einfacheren Haushalten dieser Zeit aus? Wurden die technischen Errungenschaften diesen zugänglich gemacht bzw. weitervermittelt oder behielten sich diese die Eliten vor, um auch dadurch ihren Status aufrecht zu erhalten? Nach den wenigen heute vorliegenden Befunden ist eher letzteres zu vermuten.

© Maja Aufschnaiter
e-mail: aufschnaiter@rgzm.de


This article should be cited like this: M. Aufschnaiter, Frühägäische Kanalisationsanlagen: eine Prestigesache?, Forum Archaeologiae 50/III/2009 (http://farch.net).



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