Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 46 / III / 2008

PAUSANIAS UND DIE AIGINETISCHEN BILDHAUER

Mit Ausnahme eines, auf einer Statuenbasis aus Olympia verbliebenen Fußes einer Bronzestatue, kann kein einziges Bildwerk, weder im Original noch in Kopie, einem Bildhauer aus Aigina sicher zugewiesen werden. Demgegenüber steht ein reicher Befund der literarischen Überlieferung: Aus der Zeit der Hochblüte der Insel zwischen 530 und 460 v.Chr. sind mindestens 11 Bildhauer aus Aigina bekannt, mehr als aus jeder anderen griechischen Landschaft.
Diese reichhaltige Überlieferung beschränkt sich im Wesentlichen auf Pausanias, ohne dessen Werk wir auf Basis der literarischen Quellen keinen einzigen Bildhauer Aigina zuweisen könnten, da die wenigen Belege anderer Autoren keine Herkunftsangabe nennen. Dieser einseitige Befund muss umso mehr überraschen, wenn man sich die lobenden Worte des Plinius über die aiginetische Bronze in Erinnerung ruft (nat.hist. 34,10). Allerdings findet sich in seinen umfangreichen Aufzählungen trotz dieser Wertschätzung nur ein einziges sicheres Zeugnis eines aiginetischen Werkes. Auch in der antiken Kunsttheorie treten aiginetische Bildhauer fast völlig zurück.
Im Gegensatz dazu ist bei Pausanias unter den Werken der spätarchaischen und frühklassischen Zeit, unabhängig davon, ob es sich um Siegerstatuen, Zeusstatuen und andere Weihgeschenke oder monumentale Gruppenanatheme handelt, eine eindeutige quantitative Vorrangstellung aiginetischer Bildhauer festzustellen. Mit den aufwendigen Weihgeschenken der sizilischen Tyrannen Gelon und Hieron, den Siegerstatuen des Glaukos und des Theagenes, dem kolossalen Zeus der panhellenischen Symmachie und dem von Onatas angefertigten Weihgeschenk der Achaier (Abb.) sind unter den Werken dieser Zeitstellung auch besonders bedeutungsreiche und fortschrittliche zu finden.

Diese überproportionale Häufung liegt nicht in einer besonderen Vorliebe des Pausanias für die aiginetische Kunst begründet, sondern spiegelt entsprechend seiner Zielvorgabe, nur die berühmtesten und hervorragendsten lógoi und theorémata zu beschreiben, allem Anschein die führende Stellung der aiginetischen Bildhauer innerhalb der spätarchaischen und frühklassischen Plastik wider.
In seinem Bemühen den Künstler des jeweiligen Werkes zu ermitteln agiert Pausanias weitgehend unabhängig von der literarischen Überlieferung, indem er sich vornehmlich auf die Inschriften der Statuenbasen stützt. Dadurch haben sich die Namen zahlreicher Bildhauer erhalten, obwohl sie "von den Schriftstellern übergangen worden sind" (Paus. 5,23,3). Seinem Leitmotiv einer Bewahrung der vom Vergessen bedrohten Erinnerung an die griechische Vergangenheit ist es zu verdanken, dass sich zumindest eine ungefähre Vorstellung der einst führenden Stellung der aiginetischen Bildhauer gewinnen lässt.
Die Ursachen für ihre weitgehende Absenz bei anderen Autoren dürften sowohl darin liegen, dass das Interesse der antiken Kunsttheorie vornehmlich erst mit Pheidias und somit nach der Blütezeit der aiginetischen Bildhauerkunst einsetzt, als auch daran, dass diese Tätigkeit nach dem Verlust der Autonomie (457/6 v.Chr.) keine Fortsetzung auf der Insel fand. Demnach hat es für Aigina, im Gegensatz zu anderen Landschaften, die eine frühe Blütezeit erlebten, keine spätere einheimische Schule gegeben, die sich auf ihre Vorgänger berufen und ihr Andenken hätte bewahren können. Schließlich dürfte auch die Hochschätzung des Attischen, das besonders in römischer Zeit zum Leitbegriff der gesamten höheren Bildung und zum Symbol für die geistige Kultur Griechenlands wird, zu einer Zurückdrängung von Leistungen anderer Landschaften beigetragen haben.


© Jörg Weilhartner
e-mail: joerg.weilhartner@sbg.ac.at


This article should be cited like this: J. Weilhartner, Pausanias und die aiginetischen Bildhauer, Forum Archaeologiae 46/III/2008 (http://farch.net).



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