Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 46 / III / 2008

ÖSTERREICHISCHE BEITRÄGE ZUR ARCHÄOLOGIE DER INSEL KRETA

Gemessen am Anteil griechischer, italienischer, britischer, französischer und anderer europäischer und nordamerikanischer Wissenschaftler und nationaler Forschungseinrichtungen ist der österreichische Beitrag zur archäologischen Erforschung der Insel Kreta nur marginal zu nennen. Zwar fehlt es nicht an Publikationen österreichischer Forscher zu verschiedenen historischen und kulturgeschichtlichen Aspekten des antiken Kreta; doch während italienische Altertumskundler zumal auf der Suche nach epigraphischen Denkmälern bereits seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts vor Ort tätig geworden sind, und seit Anfang des 20. Jahrhunderts daneben auch britische und amerikanische Forscher und Institutionen vor anderen mit Ausgrabungen auf der Insel begonnen haben (als 'magisches' Datum gilt der 23. März 1900, der Beginn der Ausgrabungen von Knossos durch Arthur Evans), hat die österreichische Gelehrtenschaft diesbezüglich eine bemerkenswerte Zurückhaltung gezeigt - vielleicht, weil man sich in der ausgehenden k.k. Monarchie nur schwer mit den 'revolutionären' Kretern anfreunden konnte. Kollegiale Kontakte sind indessen nicht zu leugnen. 1880 hat der spätere Mitarbeiter Otto Benndorfs in Lykien, der Anthropologe, Ethnologe und Altertumskundler Felix von Luschan, den damals noch jungen Evans mit einer verschlüsselten Mitteilung vor seiner drohenden Inhaftierung durch die österreichische Besatzungsmacht in Ragusa/Dubrovnik zu warnen versucht (Abb.). 1902 bot Benndorf, jetzt Direktor des Österreichischen Archäologischen Instituts, die Vermittlung des Architekten George Niemann für den geplanten Bau eines archäologischen Museums in Iraklio an. Luschan selbst konnte 1912 anthropologische Feldforschung auf Kreta betreiben. Sporadische Aktivitäten österreichischer Altertumswissenschaftler auf der Insel - Fritz Schachermeyr, August Schörgendorfer und der spätere Wiener Ordinarius Ernst Kirsten - haben in deutschem Auftrag kurz vor und während der nationalsozialistischen Besatzungszeit Kretas stattgefunden.

Offiziell seit 1984 widmet sich der Unterzeichnete der Siedlungsgeschichte, Topographie und Siedlungsmorphologie des schwer zugänglichen und wenig bekannten Küstenstreifens gegenüber der Insel Kouphonisi (dem antiken LEUKE) und dessen Hinterland in Südostkreta. Dabei konnten bereits einige Aufsehen erregende Denkmäler entdeckt und dokumentiert werden: die mauerbewehrte endneolithische Höhensiedlung von Katharades, das mittel/spätbronzezeitliche befestigte Kliff von Aspro Nero, ein archaisches Heiligtum mit zahlreichen dädalischen Terrakotten am Ort Moulas beim rezenten Dorf Ziros, die Akropolis der hellenistischen Stadt AMPELOS beim heutigen Xerokampos und andere mehr. Bisher wurden die diesbezüglichen Geländeforschungen hauptsächlich von einer USamerikanischen Stiftung finanziert; es ist bedauerlich, dass sie in der österreichischen Archäologie nur wenig Resonanz gefunden haben.
Als Fortsetzung der jetzt weitgehend abgeschlossenen Arbeiten ist ein neues Projekt zum Siedlungsgebiet der seit Homer bekannten sog. Eteokreter geplant, die man mit den 'Ureinwohnern' der Insel zu identifizieren pflegt, und deren Nachkommen als fremdsprachige ethnische Minderheit in einem sonst von dorische Dialekte sprechenden Griechen geprägten Umfeld bis in den Hellenismus überlebt haben sollen. Die subtile Dokumentation und Interpretation spezifischer Äußerungen in der materiellen Kultur (zumal Architektur) und in den naturräumlichen Bedingungen erscheinen als geeignete Methode, 'Ethnizität' und bevorzugte Siedlungskammern zu eruieren. Dazu bedarf es jedoch auch weiterer Feldforschung. Nun wird sich zeigen, ob die österreichische Wissenschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts ihre reservierte Haltung gegenüber der Archäologie der Insel Kreta als hundertfach zitierter 'Wiege' europäischer Kultur aufzugeben bereit ist.

© Norbert Schlager
e-mail: norbert.schlager@univie.ac.at


This article should be cited like this: N. Schlager, Österreichische Beiträge zur Archäologie der Insel Kreta, Forum Archaeologiae 46/III/2008 (http://farch.net).



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