Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 46 / III / 2008

VOM "ZWERGENGEBÄU" ZUR RÖMISCHEN VILLA
300 Jahre archäologische Forschungen in Nußdorf-Debant (1707-2007)

Im Jahre 1707 stießen Bauern, als sie einen Acker am linken Ufer der Drau in der Nähe von Nußdorf-Debant in Osttirol auf der Suche nach Schätzen durchsuchten, auf Mauern, einen von Steinplatten eingefassten Kanal sowie einen Mosaikfußboden, der auf einem darunter liegenden Gewölbe auflag. Die in diesem Bereich gemachten Funde weckten das Interesse der Oberin des Haller Damenstiftes, dem von 1653-1783 die Herrschaft Lienz gehörte. Sie entsandte den später als Vater der Tiroler Archäologie bekannten Anton Roschmann (1694-1760) im Herbst 1746 dorthin, um dies genauer zu erforschen und eine archäologische Ausgrabung durchzuführen [1]. In einer noch im selben Jahr verfassten Handschrift, die sich heute im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck befindet, berichtet er über seine Funde und beschreibt, dass zwischen Mauerresten zahlreiche römische Bodenmosaike sowie ausgedehnte Reste einer Fußbodenheizung zum Vorschein kamen [2]. Abschließend geht er der Frage nach, warum den dort aufgefundenen römischen Ruinen von der einheimischen Bevölkerung der Name "Zwergerlgebäude" gegeben worden war. Die kleinen Gewölbe der Fußbodenheizung wurden nämlich - aufgrund ihrer Größe - für die Behausungen von Zwergen gehalten, und man vermutete, dass die römischen Überreste eine Zwergenstadt gewesen waren. Die Ergebnisse Roschmanns ließen Kaiser Franz I., den Gatten Maria Theresias, auf die Ruinen in Osttirol aufmerksam werden, und er sandte 1753 seinen Architekten Josef Anton Nagel (1717-1794) nach Lienz, um die von Roschmann zum Teil untersuchten Gebäudereste weiter freizulegen, zu vermessen und einen detaillierten Plan anzufertigen.

Auf Basis der handschriftlichen Aufzeichnungen, Zeichnungen sowie dieses Übersichtsplanes wurde im November 2006 versucht, den Platz der älteren Grabungen zu lokalisieren und noch vorhandene archäologische Überreste festzustellen. Bei einer Begehung der Wiesen östlich von Nußdorf konnten an einer Stelle oberflächlich zahlreiche Funde eingesammelt werden. Neben einer Münze Kaiser Hadrians und Keramikfragmenten fanden sich - wie als Bestätigung der älteren Berichte - dutzende weiße und schwarze Steinchen von römischen Bodenmosaiken [3]. Im Zuge einer im folgenden Jahr durchgeführten Georadarmessung in diesem Bereich konnten auf den untersuchten 4000 m2 die Überreste von zwei Gebäuden entdeckt werden, die klar mit den alten Aufzeichnungen und Plänen aus dem 18. Jahrhundert in Übereinstimmung gebracht werden können. Im westlichen Bereich befand sich aufgrund des Grundrisses mit zwei aus der Front ragenden Ecktürmen wohl eine Portikusvilla mit Eckrisaliten. Neben dem Haupthaus lag im Osten ein zweites größeres Gebäude mit rechteckigem Grundriss, bei dem es sich möglicherweise um die zum Landhaus zugehörige private Badeanlage handeln könnte. Hier wurden im Oktober 2007 Ausgrabungen vorgenommen und das Nordosteck des Gebäudes mit vier Räumen vollständig freigelegt [4] (Abb.). In drei davon fanden sich z.T. großflächig Mosaikfußböden, die in dieser Erhaltung und Dimension bisher einzigartig in Tirol sind. Neben geometrischen Mustern waren sie vor allem mit aus Rauten gebildeten Kreuzen geschmückt. Alle Räume waren flächig mit Wandmalerei versehen, ein Teil zudem mit einer Fußboden- und Wandheizung ausgestattet. Die gesamte Ausstattung des Gebäudes weist auf einen reichen römischen Bürger, der sich hier in bester Lage am Übergang des Lienzer Talbodens hin zum Hang mit Aussicht auf das gesamte Tal eine repräsentative Vorstadtvilla errichtet hatte.


[1] A. Dipauli, Anton Roschmann und seine Schriften, Zeitschrift des Ferdinandeum, 1. Folge, 2, 1826, 1-185; A. Auer, Anton Roschmann 1694-1760. Aspekte eines Polyhistors - Leben und Werk (Dissertation Innsbruck 1979) 1-50; A. Auer, Der Historiograph Anton Roschmann (1694-1760), Innsbrucker historische Studien 4, 1981, 66-98.
[2] F.M. Müller - F. Schaffenrath, Anton Roschmanns lateinische Beschreibung der Ruinen von Aguntum - "Reliquiae aedificii Romani ad oppidum Tyrolense Lienz detectae, vulgo das Zwergen-Gebäu (Die Überreste eines römischen Gebäudes, das in der Nähe von Lienz entdeckt wurde und im Volksmund "das Zwergerlgebäude" heißt)", Commentationes Aenipontanae 36 - Tirolensia Latina 6 (Innsbruck 2007); F.M. Müller - F. Schaffenrath, Anton Roschmanns Ausgrabungen in Osttirol 1746, ArchaeoTirol Kleine Schriften 5, 2006, 161-164.
[3] F.M. Müller, Unternußdorf, FÖ 45, 2006, 712-713.
[4] F.M. Müller - M. Laimer, Unternußdorf, FÖ 46, 2007 (im Druck 2008).

© Florian Martin Müller
e-mail: florian.m.mueller@uibk.ac.at


This article should be cited like this: F.M. Müller, Vom "Zwergengebäu" zur römischen Villa. 300 Jahre archäologische Forschungen in Nußdorf-Debant (1707-2007), Forum Archaeologiae 46/III/2008 (http://farch.net).



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