Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 46 / III / 2008

NEUE GRABUNGEN AM NEMESEUM DES AMPHITHEATERS I VON CARNUNTUM

Das Nemeseum am Westtor des Lageramphitheaters wurde in den Jahren 1894-96 freigelegt. Im 1897 erschienenen Grabungsbericht entwarf der Ausgräber C. Tragau ein Bild von den diachronen Erweiterungen des Heiligtums, das bis zur Aufnahme der Nachuntersuchungen des Verf. im Jahr 2007 seine Gültigkeit behielt [1]. Dabei wurde die Cella (C) als ältester Kern des Baus dargestellt, der nachfolgend um eine Vorhalle (D) und ein Vestibül (D1) erweitert worden war. Der Annexraum E stellte gemäß dieser Darstellung den entwicklungsgeschichtlichen Schlusspunkt des Nemesis-Heiligtums dar.
Durch die jüngsten Nachgrabungen konnte eine Grundlage für die stratigraphische Bewertung des Bauwerkes, die bislang ausstand, geschaffen werden. Zudem war es möglich, seine Bauabfolge in wesentlichen Bereichen zu revidieren. Nach dem Isolieren von zahlreichen rezent gestörten Schichten wurden vor allem unter dem Hallenboden von D, D1 sowie innerhalb und außerhalb der Mauern von Raum E ungestörte Horizonte angetroffen.

Revidierte Bauabfolge (Abb.)
In Phase I läßt sich ein Vorgänger der Cella des Nemeseums als Holzfachwerkbau über Mauersockeln mit einer westlich vorgelagerten, etwa 2.5-3m tiefen und 9-10m breiten Halle erschließen, die auf den Verbindungsweg zwischen der südlich des Amphitheaters verlaufenden Limesstraße und dem Westtorgang orientiert war. Die Holzstützen ihrer Front waren in Pfostenlöcher eingespannt.
Leider konnte dieser bislang unerkannten Bauphase nur sehr wenig Fundmaterial zugeordnet werden. Besonders der Bereich der Cella erwies sich als sehr stark rezent gestört. Aussagekräftige Funde, wenngleich in geringer Dichte, wurden jedoch aus den humosen Anböschungen südlich der Cella geborgen; so kann für die Datierung vorerst die Mitte des 1.Jhs. als terminus postquem angegeben werden.
In der nachfolgenden Phase II wurde die hölzerne Halle aufgegeben und die Mauern der Cella in Stein umgesetzt. Auch die Ostbegrenzung der Cella - die Caveamauer -wurde neu aufgemauert und mit einer Nische ausgestattet. Die Westbegrenzung des Raumes wurde vorgezogen und erhielt einen Vorbau (Halle D) mit einem antenartig einspringenden Mauerpfeiler. Gleichzeitig wurde Raum E errichtet, vermutlich zunächst mit einem nach Westen gerichteten Eingang. Beide Räume nehmen dabei die Bauflucht der Vorgängerhalle mit den hölzernen Stützen auf.
Die Bauzeit von Phase II kann in Ermangelung von Funden nur mittelbar erschlossen werden. Sie mag unter Heranziehung der Cavea- Befunde von Vetters mit dem ausgehenden 2.Jh. angegeben werden [2].
Phase III: Die Nord-, West- und Südmauern der Cella wurden in Phase III neu errichtet und letztere dabei mit einer Apsis versehen. Die Vorhalle D wird weiter ausgebaut und um den Bereich D1 erweitert. Die Mauerzunge aus Phase II wird abgebrochen, ein einheitliches Gehniveau mittels Estrich und Ziegelplatten hergestellt. An die Stelle der Mauerzunge tritt nun ein kürzerer Mauervorsprung, der die vergrößerte Halle (D, D1) bestenfalls gliederte, aber nicht teilte. Raum E erhielt einen neuen Nordeingang, der in diese Halle orientiert war.
Schlüssige Datierungsansätze lassen sich über Fundvergesellschaftungen im einplanierten Brandschutt unter dem Hallenboden gewinnen. Erste Auswertungen deuten darauf hin, daß der III. Phase ein massives Zerstörungsereignis im letzten Drittel des 3. Jh. vorangegangen ist.
In Phase IV wurden am Bau vergleichsweise kleinere Modifikationen vorgenommen - die Cella erhielt einen Nordeingang, der über eine Stufenfolge vom Westtorweg betretbar war, während jener in die Halle (D, D1) abgemauert wurde. Ein weiterer Umbau betraf den Raum E, dessen Westeingang anlässlich der Errichtung eines angesetzten Sockels abgemauert wurde.
Die vorläufige Auswertung der Funde aus den späten Straten, die im Zusammenhang mit der Errichtung des Sockels an Raum E stehen, weisen ins 4. Jh.

[1] C. Tragau, II. Westthor des Amphitheaters und Nemesisheiligthum zu Carnuntum. BVC 1895/1896, 1897, 49-92 = AEM 20, 1897, 173-246.
[2] L. Klima - H. Vetters, Das Lageramphitheater von Carnuntum. RLÖ 20 (Wien 1953).

© Dimitrios Boulasikis
e-mail: dimitrios.boulasikis@oeai.at


This article should be cited like this: D. Boulasikis, Neue Grabungen am Nemeseum des Amphitheaters I von Carnuntum, Forum Archaeologiae 46/III/2008 (http://farch.net).



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